Leben und Überleben
Tapfer durch die Tage schlagen.
Die Schwere aushalten. Nicht aufgeben. Es sind immer noch so viele Dinge liegen
geblieben von der Zeit vor dem Examen. Ich bin immer noch am Rotieren, aber
auch irgendwie dankbar dafür.
Unterdessen hat sich die nächste
kleine Familienkrise angebahnt. Nicht so dramatisch, wie die letzte Aktion,
aber doch immer eine Sache, die man einfach nicht braucht. Nicht in einer
Situation, in der man ohnehin permanent am Limit geht.
Ein bisschen frage ich mich, wo
die Energie für all die Ideen und Dinge ist, die ich nach dem Examen tun
wollte. Endlich mal vernünftig kochen. Mit der Müsli – Schale mit Bett
frühstücken. Einfach mal in die Stadt fahren und einen Kaffee am Fluss trinken.
Keyboard spielen.
Bei Verabredungen habe ich noch
das Gefühl, die auch einhalten zu müssen, aber sonst fehlen mir einfach die
Kraft und die Motivation.
***
Ein kleiner Survival – Plan.
Mittlerweile habe ich das an der Hand, das so lange gefehlt hat. Und dass die
Ambulanz sich da so hinein hängt – damit hätte ich nach den letzten Wochen
wirklich nicht gerechnet. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass sich die Therapeutin
da wirklich ziemlich abgrenzt. Ich habe letztens mit jemandem gesprochen, der
die Vermutung aufgestellt hat, dass die Therapeutin vielleicht auch etwas
überfordert ist. Dass sie zwar die Not und den Bedarf erkennt, aber eben auch
nicht viel machen kann, außer da sein. Das würde eventuell erklären, warum es
immer diese vermeintlich „letzte Stunde“ gab, die dann doch nie die Letzte war.
Vielleicht ist das so. Ich bin
ihr auf jeden Fall sehr dankbar, dass sie diesen Weg trotzdem mitgeht. Dass sie
mich – egal was ich entschieden oder gemeint habe tun zu müssen – letztendlich
doch nie im Regen hat stehen lassen.
Ich habe zum ersten Mal seit
Monaten das Gefühl, dass ich das Praktikum überleben kann. Dass es Hilfen gibt,
wenn alle Stricke reißen.
Aber so manches Mal frage ich
mich: Warum das alles?
Die Ambulanz hat sich viel Mühe
gegeben, mich durch die letzten Jahre zu ziehen. Jede Klausurenphase war ein
Kraftakt. Und die Examenszeit erst… die letzten vier Monate. Der Plan war gar
nicht, dass es mir gut geht. Der Plan war, dass ich das erstmal überlebe. Dann
sehen wir weiter.
Und auch jetzt ist der Plan, dass
ich das Praktikum überlebe. Mit was für einer Lebensqualität spielt da erstmal
keine Rolle, weil es um viel existentiellere Dinge geht.
In acht Monaten bin ich dann
wieder zurück in der Stadt. Mit dem nächsten Staatsexamen vor der Nase. Ich
ahne, was das Ziel sein wird.
Und dann… - Arbeitsleben. Es wird
ein sinnstiftender Beruf. Ein Leben für die anderen. Leben retten und sein
eigenes dafür aufgeben.
Arbeitsschluss wird eine Uhrzeit
auf dem Papier sein. 24 – Stunden – Dienste. Unfassbar viel Verantwortung. Unfassbar
viele Schicksale. So viel Hoffnung, die in die eigene Person gelegt wird.
Personalknappheit. Funktionieren.
Überleben.
Wird mir der Job so viel geben,
dass das den ganzen Rest aufwiegt? Dass Privatleben irgendwo in diesem Beruf
einfach nicht vorgesehen ist? In diesem Job, in dem die Rate der psychischen
Erkrankungen höher ist, als in der Normalbevölkerung - nicht ohne Grund. Hat
eine ohnehin zerbrechliche Seele wie ich, darin überhaupt Platz?
Dinge, über die ich mit meiner
gerade begonnenen Volljährigkeit damals nicht nachgedacht habe, als ich die ersten
Schritte ins Studium unternommen habe.
Ich frage mich, ob Leben je etwas
anderes sein wird, als Überleben.
Und ob das überhaupt Sinn macht,
sich von Fixpunkt zu Fixpunkt zu hangeln.
Was will ich denn irgendwann mal
sagen? Wofür habe ich gelebt? Was bringt es, etwas immer vor mir her zu
schieben, das doch nie umsetzbar sein wird? „Irgendwann wird es besser“, sagen
die Menschen. Aber wann ist denn irgendwann? Es ist so viel Zeit, die ins Land
geht, die ich damit verbringe, mich irgendwie durch die Tage zu hangeln auf der
Suche nach diesem Irgendwann.
Wenn man sich überlegt, dass die
Zeit auf dieser Erde begrenzt ist und dass wir danach wieder zu Staub zerfallen
und es so etwas wie ein Bewusstsein vielleicht gar nicht mehr gibt – dann bleibt
eigentlich nur übrig, das Leben zu leben. Die Zeit zu nutzen, ohne alles
existentiell in Frage zu stellen. Vielleicht auch, ohne einen übergeordneten
Sinn zu suchen. Eventuell gibt es den auch gar nicht.
Was nützt es, das ganze Leben auf
der Suche zu sein? In jeder Lebenslage zu funktionieren, wenn ich weiß, dass es
auch anders geht? Dass ich auch erst versuchen könnte Frieden mit der eigenen
Existenz zu schließen und dann weiter zu suchen?
Was nützt es unzählige Jahre
überlebt zu haben, wenn ich dabei doch nie glücklich geworden bin?
Wann hat man das Recht die
Reißleine zu ziehen? Wann darf man sagen: Ich funktioniere zwar objektiv
gesehen noch, aber die Tage sind so schwer, dass ich das einfach nicht mit mir
vereinbaren kann. Weil ich zwar grundsätzlich leben möchte, aber eben nicht so.
Und wieso nehmen sich andere
Menschen heraus, das beurteilen zu können, wo ich es doch für mich selbst kaum kann? Und es besser zu wissen? Und einen
doch zurück auf den Weg zu zwingen, in den Strom der Gesellschaft.
Liebe Grüße von einer nachdenklichen Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen