Von einem kleinen Versuch


Sie wälzt sich schon seit Stunden im Bett hin und her und versucht es mit aufstehen. Die Sonne und der blaue Himmel treiben sie gerade nicht aus dem Bett, nachdem die Schlafstörungen wieder stärker geworden sind und „Wie willst Du das eigentlich alles lösen in den nächsten Wochen?“, eine auf Schritt und Tritt begleitende Frage geworden ist.

Weißt Du Mondkind“, sagt es im Innen, „es sind einfach ein paar Dinge in den letzten Wochen ziemlich mies gelaufen. Das Problem daran ist, dass Du es nicht mehr ändern kannst. Du kannst Dich darüber aufregen und Dich dafür fertig machen, Du kannst Dich verfluchen, dass Du Dich zu Dingen hast verleiten lassen, die Dir nicht gut taten und dass Du bei den richtigen Leuten die falschen Dinge erzählt hast.
Aber auch jetzt gibt es Momente, die gelebt werden wollen und müssen. Natürlich kannst Du weiterhin darauf warten, dass die Tage beginnen und enden. Du kannst viel in Deinem Zimmer sein, die notwendigen Dinge erledigen und den Rest schleifen lassen.
Oder Du gibst Dir eine Chance. Vielleicht machst Du einfach mal. Die Zeit wird ohnehin vergehen. Und wenn Du am Ende keine gute Bilanz solltest ziehen können, dann ist es ja immerhin egal, ob Du das mit teilnahmslos vor Dich hin leben vollbracht hast oder damit, dass Du zwischendurch zumindest versucht hast, es anders zu machen.“

Mondkind verflucht sich fast für ihre eigenen Gedanken. Denn das bedeutet, dass sie jetzt mal los legen muss.

„Was musst Du heute machen?“, fragt es im Innen.
„Einkaufen“, gibt Mondkind zurück.
„Okay, dann lässt Du Dir damit schon mal Zeit und studierst mal den Laden. Was noch?“
„Mietvertrag kopieren und Kontoauszug drucken.“
„Gut, also Uni. Dann schau vorher, ob es nicht in der Zentralbibliothek ein Buch gibt, das Dich interessieren und das Du ausleihen könntest und mach einen kurzen Abstecher im Labor. Was noch?“
„Putzen…“
„Dann wird dabei heute zumindest schonmal das Radio angestellt.“

Mondkind beschließt mit dem Putzen los zu legen.

Heute Abend sitzt sie mit einem Buch in der Sonne auf der kleinen Mauer an dem Bach, der 10 Minuten von ihrer Haustür entfernt ist. 
Der Kühlschrank ist gefüllt mit mehr als den „Standarddingen“, die Mondkind immer einkauft. Sie hat ein paar Sachen gesehen, die sie so im Laden tatsächlich noch nie bewusst wahrgenommen hat. Nur Süßkartoffelgewürz hat sie gleich in zwei Läden gesucht und nirgendwo gefunden. Und Tofu – Gewürz. (Aber vielleicht hilft da auch erstmal eine Prise Chili aus, bis Mondkind etwas geeignetes gefunden hat?)
Mal sehen, was sie daraus zaubern wird. Da ihr die Leute immer noch sagen, dass sie schmal geworden ist, sollte sie sich jetzt vielleicht einfach in der Küche austoben. Mondkind nimmt das immer nicht so wahr – ihr Körpergefühl ist einfach immer schlecht. Ein Überbleibsel aus früheren Tagen. Weshalb sie irgendwann beschlossen hat, dass sie dann auch einfach mehr wiegen kann, dann geht es ihrem Körper wenigstens besser. Eine der wenigen nachhaltigen Errungenschaften der Therapie.
Und im Tiefkühlschrank hat sie doch tatsächlich das erste Mal seitdem sie hier eingezogen ist, ein Eis deponiert.

Ergebnis im Labor war übrigens, dass Mondkind sich dort nächste Woche Umzugskartons abholen darf, die noch im Keller der Anatomie lagern. Wie gesagt... - die Anatomie ist eher eine Fundgrube, als alles andere.

Der Weg zum Bach... - eigentlich richtig schön, wenn man mal drauf achtet...🌺


Mondkind überlegt, wie sie die Tage füllen kann. Morgen ist sie eventuell zum Grillen eingeladen, Sonntag geht sie mit einem Freund auf die Büchermeile, Montag hat sie noch frei (da könnte sie versuchen sich mit ihrem Buch ins Kaffee zu setzen – das Wetter soll ja gut werden) und Dienstag übt sie FKDS.
Und immer schön raus gehen zwischendurch und die Zeit mit sich selbst aushalten und für sich nutzen. Nicht stressen.

Zusammengefasst: Sozialkontakte, Aktivitäten, Bewegung.
Also alles was man braucht, um Depression und Suizidgedanken in den Allerwertesten zu treten.
Mal sehen, wie lange und ob das klappt.

Und wenn ganz viel Energie übrig ist, wäre das ja mal eine Maßnahme, sich um die immer noch vorhandene Fußheberschwäche zu kümmern…


Mondkind

***


Kleiner Exkurs

4. Mai 2017
Letzten Endes bist Du allein. Mindestens genauso alleine wie "zu Hause". Du hast gerade keinen, der Dich in den Arm nimmt. Der Dir sagt, dass alles gut und okay wird. Keinen, der Dich schnappt, der Dich vor den Kamin packt oder mit dem Hund und Dir raus geht oder Beides.

Der Arzt kann zwar nett lächeln und aussehen tut er wirklich gut, aber wie er sich das hier vorstellt, dass es mir besser geht, das weiß ich auch nicht. Er will mir morgen zwei Kapitel aus einem Buch mitbringen. Na da bin ich ja mal gespannt.
(Keine Ahnung, wo ich den morgen aufgabeln soll, oder ob wir etwas wie Visite haben… Insofern wäre das besser gewesen, wir hätten die Blutabnahme tatsächlich morgen gemacht.
Wobei seine Art Blut abzunehmen übrigens auch…. interessant war… ;)  )

Ich meine ernsthaft – was wollen mir die Therapeuten langsam noch erzählen? Ich kann das  auswendig mitreden… (wobei die hier glaube ich jedem dieselbe Schallplatte runter rasseln. "Suchen Sie sich einen Freund" (mal so eben nebenbei...), ist ziemlich sinnlos, wenn man aufgrund des psychischen Zustandes derzeit absolut beziehungsunfähig ist...)
Ich weiß doch alles in der Theorie. Und keiner kann in mir Einstellungen oder Gefühle erzeugen, die es einfach nicht gibt. Das ist so ein Kreisen auf der Metaebene um etwas, das theoretisch vorhanden sein müsste.
Wie wollen die mir denn hier helfen?

Wenn ich bedenke, dass dieser Eintrag letztes Jahr entstanden ist, nachdem ich schon über zwei Wochen in der Klinik war…

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