Weil Reden manchmal hilft...


Mondkind sitzt am heimischen Schreibtisch. Eine Teetasse neben ihr. Tränen in den Augen. Diesmal nicht, weil alles so furchtbar schief gelaufen ist, sondern weil sie so, so, wirklich so erleichtert ist.
Zwar hat sich ihre aktuelle Situation nicht signifikant verändert, aber besser hätte es wohl kaum laufen können im PSZ.

In aller Früh fährt sie erstmal im Labor vorbei. Mittlerweile hat sie hinsichtlich der Dokumentation wirklich fast alles erledigt. Im Laborbuch war sie an einigen Stellen zu unordentlich – das muss sie noch ausbessern. Der weitere Fortgang ihrer Doktorarbeit hängt jetzt im Wesentlichen davon ab, ob ihr Doktorvater sich mal dazu herablässt, ihr einen Termin zu geben. Und das wiederrum hängt wahrscheinlich davon ab, wie sehr Mondkind ihn in den nächsten Tagen noch nervt.

Mondkind hat die Ambulanz heute anders vorbereitet als sonst. Sie hat ihrer Therapeutin schon vorab eine Mail geschrieben und ihr erklärt, dass sie gern einen Zettel mitbringen würde, auf dem es um ein wichtiges Thema geht, über das sie eben nicht reden kann. Mondkind hat erklärt, dass es daher sehr hilfreich wäre, wenn die Therapeutin Mondkind auf den Zettel anspräche.

Am späten Vormittag macht Mondkind sich auf den Weg in die Ambulanz. Obwohl die Sonne scheint und es schon recht warm ist, friert sie und hat blaue Fingerspitzen. Ihre Beine zittern ein wenig auf den Pedalen. Das kann jetzt einfach auch ganz arg schief gehen.

Absätze klappern schnellen Schrittes den Flur hinab. Noch einmal kurz durchatmen und dann geht es los. „Hallo Frau Mondkind“, begrüßt die Therapeutin sie und nimmt sie mit.

Ihre Therapeutin fragt sie zuerst, wie ihre Reise war und wie weit Mondkind mit der Organisation des PJs ist. Bezüglich der Reise gibt es wenig Positives zu berichten, aber Mondkind ist froh zumindest sagen zu können, dass hinsichtlich des PJs so gut wie alles in trockenen Tüchern ist.
Zwar gibt es immer noch viel zu organisieren – beispielsweise weiß sie noch nicht, wie sie ihre Kisten transportieren soll, wenn sie sich nicht das Auto ihrer Schwester leihen kann – aber das wird sie schon alles hinbekommen. Mondkind hat schon chaotischere Dinge irgendwie hingebogen.

„Ich sollte Sie auf einen Zettel hinweisen…“, beginnt die Therapeutin.
„Ja…“ sagt Mondkind. „Also… - so neu ist das Thema jetzt nicht, aber… - ich habe einfach so, so Angst vor den Konsequenzen. Auch mit dem PJ im Hinterkopf und so… - aber vielleicht lesen sie ihn erstmal einfach.“
Sie zupft ihn an einer Ecke aus ihrer Handtasche und gibt ihn aus ihren Händen.

Stille.
Mondkind hat sehr lange an diesem Zettel gearbeitet. Es galt, irgendwie einen Mittelweg zu finden. Es nicht so rüber kommen zu lassen, dass sie sich umbringt, wenn sie Mondkind jetzt gehen lassen. Ziel war ja nicht unbedingt eine Einweisung. Aber das auch nicht zu sehr beschönigen. Sie erwähnt, dass sie die Gedanken in der jetzigen Form quasi täglich seit über 2 Monaten mit sich herum schleppt, dass über die Zeit aus der Idee ein Plan geworden ist und sie mittlerweile auch die nötigen Utensilien zu Hause hat. Mondkind schreibt, dass sie oft das Gefühl hat, dass die Sicherungen kurz vor dem Herausspringen sind und sie deshalb wann immer es geht ins Labor fährt, um nicht alleine zu sein. Auch, wenn sie dort mittlerweile wirklich fast fertig ist mit der Dokumentation.

Mondkinds Muskeln spannen sich alle an und sie achtet auf irgendeine Bewegung ihrer Therapeutin, aber ihre Miene spiegelt wenig wieder. 



Die Therapeutin legt den Zettel zurück auf den Tisch. Überlegt ein paar Sekunden, was sie sagt.

Die Situation ist schwierig. Ihr Lieblingssatz. Aber jetzt versteht auch sie, dass Mondkind vor der Reise unter Druck gesetzt wurde in der Ambulanz wenig zu sagen und dass es jetzt ein bisschen spät ist, um noch viel erreichen zu können. Der Plan ihrer Familie hat mal perfekt funktioniert.

Wenn die Situation so sei wie auf dem Zettel beschrieben, dann könne Mondkind jederzeit in die Klinik, erklärt sie. Es sei auch möglich, dass Mondkind aus dem PJ zurückkommt, wenn es nicht gehe und dann in die Klinik geht. Mondkind merkt an, dass es schwierig wird zurück zu kommen, da sie ja nicht mal mehr eine Wohnung hat.

„Wollen Sie denn das PJ dort unten machen?“, fragt die Therapeutin.
Mondkind erklärt, dass sie am Wochenende lange mit einem Freund darüber geredet hat. Der Gedanke, erstmal hier zu bleiben und nicht das komplette Außen zu verlieren, fällt ihr leichter. Sie hätte ja nicht gedacht, dass sie es mal sagen würde, aber sie kommt langsam in der Stadt an. Und ihr wird einfach viel fehlen, das ihr Stabilität gegeben hat – unter anderen ihre Freunde, das Labor und das Umfeld, an das sie sich gewöhnt hat.
Allerdings kommt sie aus der Kiste eben einfach nicht mehr heraus. Nachdem jetzt auch alles mehr und mehr auf den Oberarzt zurück fällt, der sich so viel Mühe für sie gegeben hat, kommt er dann da auch in Erklärungsnot.
Die Therapeutin kann das nachvollziehen und auch, dass Mondkind da keinen enttäuschen will.

Mondkind erklärt weiter, dass das ja jetzt genau die Situation ist, die seit Ende Dezember absehbar war. Sie wusste, dass sie eines Tages hier steht, wissen wird, dass sie geht und keine Ahnung hat, wie das gehen soll. Es sind nur noch 2,5 Wochen – wenn Mondkind daran denkt, wird sie verrückt.

Wenn sie mit den Kollegen in der Inneren zurechtkommt, könnte es noch irgendwie gehen. Dann ist sie da zumindest abgelenkt und tut etwas Sinnvolles. Aber wenn das nicht klappt – wie das bisher in den meisten Famulaturen der Fall war – dann wird der Druck sich ja den ganzen Tag nicht mindern und das wird dann sehr schnell zu viel.

Aber Mondkind stellt halt die Uni und die Anderen über sich. Sie weiß, dass sie in ihrer Verfassung gerade wahrscheinlich in der Klinik besser aufgehoben wäre, aber das kann sie sich nicht erlauben.
„Ja, das ist bei Ihnen das Problem, ich weiß“, sagt die Therapeutin.

Mondkind hat gestern Abend heraus gefunden, dass es gar nicht so unmöglich ist wie sie dachte, von dort zurück in ihre Uni – Stadt zu kommen. Zwar ist der Weg von dem Dorf bis zur nächsten großen Stadt sehr abenteuerlich, umständlich und vor allen Dingen teuer, aber dann kann sie einen Fernbus nehmen und landet direkt auf dem Hauptbahnhof ihrer Uni - Stadt. Zwar müsste sie sich dann bei Freunden einquartieren, weil sie die Wohnung hier finanziell nicht parallel unterhalten könnte, aber es würde ihr ermöglichen ab und an hier ihre sozialen Kontakte zu pflegen.
Schon die Erkenntnis hat sie gestern Abend ein wenig beruhigt.

„Können Sie eigentlich auch mal einen Tag frei bekommen oder so?“, fragt die Therapeutin.
Mit Urlaub ist das eher nicht zu machen, da der sehr begrenzt ist und am Ende der Zeit als Vorbereitung auf die mündliche Prüfung verbraucht wird. Aber sie könnte versuchen, ab und an am Wochenende zu arbeiten und dann mal einen Freitag frei zu bekommen. Auf der Neuro funktioniert das mit Sicherheit, in der Inneren kommt es auf den Chef an.

Und dann kommt das, womit Mondkind nie gerechnet hätte. Zwar soll sie sich dort umschauen, ob sie eine Anbindung findet, aber da das nun mal schwierig wird und Mondkind es aber unbedingt versuchen möchte mit dem PJ, obwohl es ihr im Moment nicht gut geht, würde ihre Therapeutin ihr anbieten in unregelmäßigen Abständen von 6 – 8 Wochen vorbei kommen zu können.
„Aber dann jetzt wirklich nicht mehr bei Ihnen, oder?“, hakt Mondkind sich ein.
Die Therapeutin erklärt, dass das mit so langen Abständen und einem neuen Therapeuten natürlich blöd ist und er darüber hinaus sehr viel Wert auf regelmäßige – also wöchentliche – Termine legt, was beim besten Willen nicht geht. „Von daher würde ich das als Ausnahme übernehmen, solange es noch irgendwie in meinen Terminplan passt.“
Mondkind ist überwältigt von so viel Einsatz um ihre Person. Wieder mal so eine Situation, in der selbst fünf Mal bedanken nicht ausreicht. Vielleicht findet sich ja am Ende doch immer eine Lösung… - wenn man es schafft, ehrlich darüber zu sprechen, was aktuell los ist.

Mondkind hat das schon recherchiert. Sie könnte entweder Donnerstag spät abends los fahren und dann gegen 4 Uhr morgens hier ankommen, oder Freitagmorgens um 5 am Bahnhof stehen und dann gegen Mittag da sein. Klar ist das alles irre anstrengend, aber wenn Mondkind dafür zumindest hin und wieder einen Streckenposten hat, lohnt sich das vielleicht.

Es ist ungelogen das erste Mal seit Monaten, dass Mondkind das Gefühl hat, das PJ doch irgendwie überleben zu können. Und nicht nur das, sondern dass es vielleicht sogar ein annehmbarer Plan ist. Sie wollte ja dorthin, um möglichst viel zu lernen. Um irgendwann eine gute Ärztin zu werden.
Und wenn es einen Weg gibt ihren Chaos – Kopf im Zaum zu halten und sie dennoch Dinge tun kann, die sie zwar einfacher haben könnte, aber die es ihr ermöglichen sich nicht nur nach ihrer Krankheit zu richten, dann ist es am Ende vielleicht doch gar kein so schlechtes Projekt.

Zwar fühlt Mondkind immer noch zu jedem Zeitpunkt diese Schwere auf ihr, die sie fast erdrückt, aber dennoch hätte dieser Termin kaum besser laufen können. Jetzt in die Klinik zu gehen hätte zwar für den Moment den Druck raus genommen, aber langfristig wäre es die ungünstigste Lösung gewesen. Sie wird es versuchen. Hoffen, dass es entgegen aller Befürchtungen irgendwie klappt. Und, dass sie sich da unten nicht zu sehr quält. Und wenn es nicht klappt, dann ist das nicht das Ende. Denn irgendwo ist da noch jemand, der Mondkind auch dann noch hilft.

"Sie melden Sich auf jeden Fall bei mir", schärft die Therapeutin ihr ein, bevor sie Mondkind entlässt. Also ist die nächste Mail schon mal keine "ich - nerve - obwohl - ich - eigentlich - nicht - darf - Mail." Sie wartet sogar darauf...
Wahrscheinlich sehen sie sich gar nicht mehr vor dem PJ. Mondkind hat lediglich nochmal einen Arzttermin. Die Therapeutin hat extra nachgeschaut, ob sie an den Tagen im Haus ist und wenn etwas sein sollte, solle Mondkind sich vorher melden - dann darf sie vielleicht noch vorbei schauen, aber geplant ist das nicht.

Mondkind

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