Stippvisite auf der Neuro


„Du musst bitte unbedingt vorbei kommen und kurz „Hallo“ sagen.“
Worte, die Mondkinds Neuro – Oberdoc ihr im Verlauf der Woche geschrieben hat. „Melde Dich einfach kurz vorher.“ Und danach seine Durchwahl.

Mondkind steht mit dem Handy in der Hand in ihrer Wohnung.
Tippt die Nummer ein. Und nach kurzem Zögern auf den grünen Hörer.
Er kennt ihre Nummer nicht. Meldet sich mit dem „Standardspruch“ für externe Anrufer. „Neurologische Klinik“, danach der Klinikname und sein Name.
Wow… wie lange hat Mondkind diese Stimme nicht mehr gehört.
„Wo soll ich denn hinkommen?“, fragt Mondkind. „Komm einfach auf die U2.“ Stroke Unit.

Wie lange ist Mondkind nicht mehr durch diesen Eingang gelaufen? An der Rezeption vorbei und die Treppen hinab. Den gelben Schildern mit der Aufschrift „Notaufnahme“ gefolgt, um dann kurz davor  auf die U2 abzubiegen.
Mondkind schaut sich suchend um. Und dann sieht sie ihn auf dem Flur stehen. In den roten Klamotten der Stroke Unit. Mit einem anderen Oberarzt.
„Da ist doch die Mondkind“, ruft er von der Ferne. Und dann zu seinem Kollegen „Ich habe doch gesagt, dass sie kommt.“ Der andere Oberarzt ist schon auf dem Sprung, deshalb fängt er Mondkind noch schnell ab, bevor er weiter zieht. „Wo bist Du denn jetzt gerade?“, fragt er. „Unten in der Kreisklinik“, gibt Mondkind zurück. „Aber im September komme ich dann hoch in die Neuro“, ergänzt sie. „Das ist schön, ich freue mich“, sagt der Oberarzt. „Und bis dahin eine gute Zeit…“

Und dann sitzt sie mit „ihrem“ Oberarzt auf dem Flur der Neuro. Zum Freitagabend. Komisches Gefühl. „Gefällt Dir die Wohnung?“, fragt der Oberdoc. Mondkind betont noch einmal, dass sie die Wohnung von Anfang an super fand und sich das wohl kein Student in ihrer Studienstadt ohne finanzielle Unterstützung der Eltern leisten könne. Ob Mondkind viel Licht im Zimmer habe, will er wissen. Mondkind erklärt, dass die Sonne nur Morgens hinein scheint, aber das auch nicht viel ausmache, weil sie eine lange Fensterfront hat. „Und im Erdgeschoss bist Du…“ Mondkind weiß nicht, ob das eine Feststellung oder eine Frage ist. „Ja“, gibt sie zurück, „es sind ein bisschen viele Spinnen da unten, aber dann verliere ich vielleicht über die nächsten Monate meine Angst Spinnen hinaus zu geleiten.“

„Und wie ist das PJ bisher so?“, wird Mondkind gefragt.
Sie erklärt, dass es bisweilen chaotisch ist. Dass man sie auf der einen Seite nicht alleine Blut abnehmen lassen möchte, sie aber auch der anderen Seite ganz alleine die Notaufnahme schmeißen soll wenn keiner da ist und die Oberärztin für Rückfragen teilweise nicht mal erreichbar ist. Mondkind ist ein bisschen stolz, dass ihr so viel Vertrauen entgegen gebracht wird, aber es stresst sie auch etwas, wenn sie da mit einer hypertensiven Entgleisung steht, und von keinem das „go“ für die dringend angezeigte Nitro – Gabe bekommt.
Aber sie werden es schon noch lernen miteinander in den nächsten Wochen, was ein PJler macht. Sie ist ja nicht nur die erste PJlerin in der Klinik, auch für Mondkind ist es das erste Tertial. Ihr Oberarzt erklärt es so: PJ sei wie Fahrschule. Am Anfang habe man ständig einen Fahrlehrer neben sich sitzen – zum Beispiel ihn. Und im Lauf der Zeit wird man immer selbstständiger und der Fahrlehrer greift immer weniger ein. Und irgendwann darf man dann alleine über die Landstraßen fahren und der Fahrlehrer kommt nur noch im Stadtverkehr dazu. So sei auch ein relativ angstfreies Lernen möglich.
„Wir hätten das wohl andersherum machen sollen, gell?“, fragt er. „Dann hättest Du zum einen hier erstmal in Ruhe ankommen und zum anderen hier hinein finden können unter meiner Anleitung…“ „Ja, unter dem Gesichtspunkt habe ich mir das auch schonmal gedacht“, gibt Mondkind zurück, „aber ich dachte ich arbeite eben erst die Innere weg – sozusagen das Pflichtprogramm – dann kann ich mich noch auf die Neuro freuen. Denn darauf freue ich mich wirklich. Und außerdem habe ich dann auch schon wieder etwas Erfahrung im Klinikalltag. Die letzte Famulatur ist ja nun schon eine Weile her.“
Er versteht Mondkinds Argumentation. „Mondkind, wenn Du aber merkst, dass es Dir damit schlechter geht und Du überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommst, dann meldest Du Dich bei mir. Dann versuchen wir das zu switchen.“
„Ja, aber ich kann doch nicht ein paar Tage in der Inneren sein und dann gehen und irgendwann wieder kommen. Da machen die sich ja auch so ihre Gedanken“, erwidert Mondkind.
„Es ist ja auch nur ein Notfallplan, wenn hier gar nichts mehr geht… - Du weißt… Ich kenne Deine Qualitäten und ich weiß, dass Du das alles gut schaffen kannst, aber dass Du eben auch sehr hohe Erwartungen an Dich selbst hast.“

Sie reden noch ein wenig weiter und irgendwann fragt er sie, ob sie ein Verkehrsmittel dabei habe. „Ein Fahrrad…“, gibt Mondkind zurück. Und nach einer kurzen Pause: „Bei dem im Moment aber leider die Gangschaltung kaputt ist. Aber zum Glück wohne ich ja ganz unten am Berg.“
Er lächelt. „Das ist jetzt wirklich sinnbildlich Mondkind. Es passt schon alles irgendwie, aber da ist doch immer noch eine kleine Schwierigkeit…“



Mondkind bespricht mit ihm auch noch schnell ihren Arbeitsvertrag, was sie da wo ausfüllen muss und wo sie ihn abzugeben hat.
Auch auf das Thema Internet kommen sie noch zu sprechen. Mondkind erklärt, dass sie mittlerweile an einer Lösung dran ist, aber mal gespannt ist, ob das dann auch so funktioniert, weil der Empfang hier überall ziemlich schlecht ist und das dann eventuell auch mit dem Surfstick nicht funktioniert.
„Komm mal mit“, sagt er und gemeinsam gehen sie zur Rezeption. „Wir versuchen mal etwas.“
Die beiden stehen vor der Rezeptionistin.
„Also“, beginnt der Oberarzt. „Das ist die Mondkind. Und die Mondkind kommt aus der Großstadt.“
„Das wird jetzt etwas längeres“, sagt die Rezeptionistin lächelnd und lehnt sich zurück.
„Die Mondkind macht gerade ihr PJ und wird jetzt acht Monate hier wohnen. Sie wohnt unten am Berg und möchte ja trotzdem im Kontakt mit ihren Freunden bleiben. Deshalb braucht die Mondkind ein bisschen Internet. Und wir haben doch da immer so Nummern, die wir raus geben können. Vielleicht können wir ihr ja so eine Art „Notanker“ machen, wenn es bei ihr mal nicht läuft.“
„Können wir machen“, sagt die Rezeptionistin.
„Wie lange kann man das machen?“, fragt der Oberarzt.
„Fast unbegrenzt“ gibt die Rezeptionistin zurück.
„Okay, dann machen Sie mal acht Monate“, sagt der Oberarzt
Leichtes Entsetzen in ihrem Gesicht. „Okay, so lange vielleicht doch nicht…“
Aber der Drucker grummelt los und Mondkind ist für die nächsten 50 Tage versorgt.
„Wenn das dann verbraucht ist, einfach zur Rezeption kommen – wir können das verlängern“, erklärt die Rezeptionistin.
„Dann kannst Du Dich jetzt im vierten Stock ins Rondell unter die Palmen setzen und das Internet nutzen“, erklärt der Oberdoc. „Und dann hast Du immer mal einen Grund in die Neuro zu kommen“, ergänzt er, „dann wird die Neuro ein bisschen Deine Home – base.“
Mondkind bedankt sich und sie ist so, so froh Menschen wie ihn zu kennen.

„Und melde Dich nächste Woche auf jeden Fall und berichte, wie es läuft“, sagt der Oberdoc, während die beiden auf den Ausgang der Neuro zusteuern.
„Und jetzt komm mal her“, sagt er und nimmt Mondkind ganz fest in den Arm. Und Mondkind spürt das Herz eines fremden Menschen schlagen. Das Herz eines Menschen, der dieses Loch in ihr füllt, solange wie er da ist.

„Oh man, das ist mein Chef“, wird Mondkind später zu einer Freundin sagen.
„Dann ist das eben so, da kannst Du doch nichts für. Akzeptier das doch einfach und sei froh darum.“

***
Am Wochenende werde ich hoffentlich auch mal dazu kommen zu berichten, wie es mir hier in den letzten drei Tagen ergangen ist. Es war eine Menge los und ich kam meist nur nach Hause, habe mich um organisatorischen Krempel gekümmert und bin danach ins Bett gegangen. Aber diese Begegnung musste jetzt noch schnell eingefangen und schwarz auf weiß verewigt werden.

Mondkind

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