Erster PJ - Tag in der Inneren


6 Uhr morgens.
Mondkind kann nicht mehr schlafen. Es hat auch keinen Sinn mehr, das zu versuchen. Zu viel Angst hat sie vor dem, was da heute auf sie zukommt. Es ist ein Tag, an dem viele Weichen gestellt werden. An dem ihre Antennen viel von dem Wind wahrnehmen werden, der durch die Klinik weht. Und sie hofft, dass es sich lohnt so weit weg zu sein.

Kaffee kochen und ein bisschen Müsli löffeln. Nebenbei in alten Tagebucheinträgen lesen. Heute vor einem Jahr.
Psychiatrie. Visite. Ansprechen, dass der Oberdoc den Termin am Freitag verpennt hat. Anbringen, dass sie auf WG – Suche ist, um da erste Mal in der Visite nicht überfahren zu werden. Sie hat noch nicht geglaubt, dass sie bald umziehen wird. Und ein Jahr darauf das nächste Mal umgezogen ist. Und hätte ihr das jemand vor einem Jahr erzählt – sie hätte es nicht für möglich gehalten.

Kurz vor 9 Uhr.
Mondkind läuft los. Den Berg hinauf. Sie orientiert sich nach links, um das Gebäude aufzusuchen, in dem die Personalabteilung sitzt. Die Tür, an der der Name der von ihr gesuchten Person steht, ist halb offen. Mondkind klopft vorsichtig und streckt ihren Kopf um die Ecke. Die Dame deutet auf ihr Headset und auf den Stuhl vor sich. Mondkind ist drei Minuten zu früh und die Frau aus der Personalabteilung noch im Gespräch, aber sie soll sich schon mal setzen.
Mondkind wird gefragt, ob sie gut angekommen ist, was sie bejaht. Die Personalerin entschuldigt sich nochmal, dass keiner persönlich anwesend war. Normalerweise hole der Neuro – Oberdoc die PJler ja schon mal ab und bringe sie in die Wohnungen, aber der sei dieses Wochenende leider auch verhindert gewesen. Mondkind sagt sofort, dass das überhaupt kein Problem ist und sie auch absolut nicht erwartet hätte, dass sich jemand am Wochenende darum kümmert.
Man hat eine Mappe für Mondkind vorbereitet mit den wichtigsten Telefonnummern. Außerdem ist das Klinikkonzept erklärt und die Planung für den Neubau, die Mondkind auch noch in aller Ausführlichkeit erzählt bekommt. Am Ende ist sie - was den aktuellen Stand des Neubaus des gesamten Klinikkomplexes angeht - sicherlich schlauer, als so manch betroffener Arzt oder Pfleger auf Station. Zwischen den Jahren soll die Klinik umziehen – also kurz nachdem Mondkind wieder weg ist. Je nachdem wie gut sie im Team zurechtkommt, hat sie sich aber schon überlegt, dass es doch auch mal spannend wäre, so einen Umzug der kompletten Klinik mitzuerleben und ein Teil davon zu sein. Dann müsste sie aber hier sein zwischen den Jahren.

„Wir gehen jetzt mal nachsehen, wie weit Ihre Verträge sind“, sagt die Personalerin. Die beiden gehen eine Etage nach oben und klopfen an einer Tür. Da habe es letzte Woche Probleme gegeben, irgendwie habe man das nicht auf dem Schirm gehabt und die seien jetzt auf dem Weg in ihre Studienstadt. Das mache ja nun wenig Sinn, merkt Mondkind an. Das habe die Personalerin auch mitbekommen und veranlasst, dass die hier nochmal aufgesetzt werden, aber noch sind sie eben in der Mache. Es sei ja nun auch egal, ob der Vertrag eine Woche früher oder später unterschrieben sei. „Also bezüglich der Wohnung“, wirft Mondkind ein, „ich fände es langsam schon interessant, was die mich kostet…“ „Die kostet Sie gar nichts“, sagt der Verträge – Mensch, „machen Sie sich da mal keine Sorgen.“ Mondkind ist erleichtert. Also wird das mit den Finanzen schonmal hinhauen.
Und was sie verdienen wird… - nun ja, das wird man sehen.

„Wir haben heute  Morgen zufällig einen der drei Menschen aus dem Vorstand hier – vielleicht sprechen Sie mit dem auch nochmal kurz…“, erklärt die Personalerin. Na super…
Da er aber gerade noch beschäftigt ist, schlägt die Dame vor, dass sie Mondkind das Klinikgelände und den aktuellen Stand des Neubaus erstmal zeigt. Bei schönstem Wetter brechen die beiden auf zu einem Spaziergang. Sie kommen nebenbei ein wenig ins Gespräch. „Woher kommen Sie eigentlich?“ – die Frage kommt immer irgendwann. Und wenn das Gegenüber dann feststellt, dass es die andere Seite von Deutschland ist, wird Mondkind nicht selten gefragt, wie sie denn gerade auf diese Klinik kommt, woraufhin Mondkind immer das Kardiovaskuläre Praktikum und die Neuro – Famulatur erwähnt und anschließend erläutert, dass der Neuro – Oberdoc ihr vorgeschlagen hat, nicht nur für die Neuro, sondern auch für die Innere zu kommen.
Im Lauf des Gesprächs stellt Mondkind fest, dass sie im Moment die einzige PJlerin auf dem kompletten Campus ist. Auch die anderen Fachrichtungen haben aktuell keine PJler. „Sie haben also eine Sonderstellung – in der Inneren sind Sie sogar die Pionierin“, erklärt die Personalerin, „das hat immer Vorteile, aber auch Nachteile. Sie können Ihr Praktikum sicherlich sehr individuell gestalten und wir sind noch stolz darauf PJler zu haben – das sieht an der Uni sicher anders aus (oha – ja… ). Aber da das Konzept natürlich neu für uns ist, gibt es keine Struktur. Da müssen Sie selbst die Initiative ergreifen und Dinge auch einfordern.“
Das war Mondkind ja auch von Anfang an bewusst. Sie weiß, dass sie auch einige Nachteile in Kauf nimmt. Erstmal muss sie jetzt noch einen Staubsauger besorgen, Internet wird wohl auch eher schwierig werden (dazu später…) und die Wäsche kann sie zumindest eine Zeitlang noch den Berg hoch schleppen und in einer der Kliniken waschen. Aktuell gibt es Streit um die Waschmaschinen wegen der Hygiene. Eventuell muss sie dann in den Waschsalon – was ziemlich zeitintensiv und wahrscheinlich auch nicht gerade billig ist.
„Wo wollen Sie denn später hin?“, wird Mondkind gefragt. „Naja, ich warte natürlich noch das PJ ab, aber ich bin ja nicht umsonst hier. Wenn ich fertig bin und hier gerade eine Stelle frei ist, dann könnte ich mir schon vorstellen hier in der Neuro anzufangen…“ „Dann würden Sie den Neuro – Oberdoc stolz machen, wenn Sie die erste PJlerin wären, die man anschließend hier für eine Assistenzarztstelle anwerben könnte.“
Mondkind soll sich außerdem überlegen, ob sie am Stadtlauf und am Sommerfest teilnehmen will – Mondkinds erster Impuls schreit laut „nein“, aber sie wollte ja offener sein und sich so gut wie möglich in das Klinikteam integrieren. Sie darf sich das bis zum Ende der Woche überlegen, aber es sollte verünftigerweise wohl ein „ja“ werden.

Als sie von dem Spaziergang wiederkommen, hat der Mensch aus dem Vorstand gerade Zeit. Mondkind kennt ihn. Als sie das erste Mal hier war, war er noch Chef der Neuro. „Ihr Gesicht kenne ich“, stellt er treffend fest, woraufhin Mondkind die Story mit dem kardiovaskulären Praktikum wiederholt. Er wünscht ihr eine gute Zeit und meint, dass sie sich dann sicher öfter sehen, wenn Mondkind in der Neuro ist.

Nachdem Mondkind auch noch ihren Mitarbeiterausweis hat, ist hier oben erstmal alles geklärt. „Dann bringe ich Sie jetzt runter in die Kreisklinik“, sagt die Personalerin. „Und vielleicht machen wir noch eine kleine Stadtrundfahrt, dann zeige ich Ihnen nochmal die wichtigsten Stellen, wie Einkaufsläden, Bushaltestellen und den Bahnhof. 



Rund eine halbe Stunde später parken die beiden vor der Kreisklinik. Mondkind wird noch in das Vorzimmer des Chefs gebracht und der Sekretärin übergeben. Der Chef sei gerade im Urlaub, deshalb wird ihr erstmal eine Oberärztin zugeteilt.
Mondkind wird mit einem Zettel versorgt, auf dem sie die Zeiten notieren muss, die sie im Krankenhaus verbringt. Dann wird die Oberärztin angerufen.
Sie stellt sich kurz vor und fragt Mondkind dann aus, wo sie schon Famulatur gemacht hat und was sie dort alles tun durfte. „Wir werden in den nächsten Tagen noch Schlüssel, Telefon und ein Diktiergerät für Sie besorgen“, erklärt sie.  So richtig scheint sie allerdings nicht begeistert zu sein, sich jetzt auch noch um eine PJlerin kümmern zu müssen und deshalb gibt sie sie nach fünf Minuten auch an eine vorbei kommende Assistenzärztin ab. Bei der ist sie circa zehn Minuten, ehe sie an die nächste Assistenzärztin weiter gegeben wird. Wenn das jetzt so weiter geht…  Mondkind merkt, wie sie innerlich langsam den Rückzug antritt und stiller wird. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, sich überall vorzustellen. Es ist nicht mal Mittag und eigentlich reicht das mit Eindrücken schon für heute.
Sie wird flott mit Klamotten eingedeckt und soll dann hoch auf die Station kommen.
Im Stationszimmer geht es zu, wie im Taubenschlag. Mondkind schlägt sich zu „ihrer“ Ärztin durch. Wenn jemand gerade nicht absolut gestresst aussieht, stellt Mondkind sich vor – wenn jemand gerade gar nicht zugänglich ausschaut, lässt sie es. Nur um im Verlauf des Tages doch zwei oder drei Mal zu hören „Was machen Sie eigentlich hier?“ Perfekt funktioniert so etwas wohl nie.

Mit der ihr zugeteilten Ärztin macht sie dann erstmal die Kurvenvisiste und stellt fest, dass die Inneren – Station auf der sie eingeteilt ist, eine versteckte Geriatrie ist. 95 % der Patienten sind 80+, die meisten hier mit irgendeiner dekompensierten chronischen Erkrankung – allen voran die Herzinsuffizienz. Dabei scheinen sich die Herzklinik auf dem Berg und das Kreiskrankenhaus die Patienten gegenseitig zuzuschubsen, denn in nicht wenigen Akten findet Mondkind Briefe von der HGK, die selten älter als wenige Wochen sind.

Nachdem die Patienten dann visitiert sind, nimmt eine der Assistenzärztinnen Mondkind mit zum Essen. Es spricht schon für sich, dass Mondkind die Essensmarken vor Schlüssel und Telefon bekommen hat. Die Mittagspause ist hier ziemlich heilig. Alle Krankenhäuser in diesem Ort sind sehr stolz darauf, dass sie noch jeden Tag frisch kochen und das Essen schmeckt wirklich gut und ist wahrlich nicht zu vergleichen mit dem versalzenen, undefinierbaren Brei, den es in vielen Krankenhäusern gibt.
Eigentlich ist Mondkind ja gar nicht der Mittagess – Typ, aber da wird sie sich wohl umstellen müssen.

Nach dem Essen bleibt Mondkind bei der Assistenzärztin und geht mit ihr in den Sono – Raum, in dem sie dann auch eine Weile bleibt.
Später am Nachmittag laufen die Assistenzärztin und Mondkind nochmal in die Technik, um sich nach dem Stand von Diktiergerät und Telefon zu erkundigen. „Ja, also der Kollege bei dem der Zettel gelandet ist, ist gerade im Urlaub“, wird Mondkind aufgeklärt. Der Techniker läuft zum Tisch seines Kollegen und sucht den Zettel. „Das hätte dann wohl bis heute gemacht sein sollen“, stellt er treffend fest. Man kümmere sich bis morgen darum.

Mondkind wird angeboten, morgens bei der Blutabnahme zu helfen. Dann müsse sie schon um sieben Uhr da sein. Da sie ja noch keinen Schlüssel habe, müsse sie dann auf den Stützpunkt laufen, dort um den Schlüssel bitten, sich umziehen und ihn wieder zurück bringen. Und dann bei Leuten, die eigentlich keine Venen mehr haben, Blut abnehmen und Zugänge legen.
Allein das ist für Mondkind am frühen Morgen eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Die Ängste vor Ablehnung und Versagen - das was im Arztbrief so treffend mit „Insuffizienzgefühlen“ beschrieben wurde - sind bei ihr morgens immer so stark, dass jeder Tagesbeginn auf der Station ein Kraftakt ist.
Aber da muss sie durch. Das wusste sie vorher, dass sie hier viel mehr fragen und machen muss, als in einem Unibetrieb, wo sich die PJler morgens um die Blutabnahmen streiten und sie sich im Hintergrund halten könnte. Aber das bringt ihr langfristig eben auch nichts.

Gegen 16 Uhr wird Mondkind nach Hause geschickt. Das Problem Internet ist immer noch nicht gelöst. Mondkind wohnt – auf Initiative des Neuro – Oberdocs – in einem Gebäude, in dem normalerweise Assistenzärzte wohnen, die pendeln. Unter der Woche sind sie da – am Wochenende zu Hause. So sind auch die Wohnungen ein- und ausgerichtet.
Mondkind beschließt hinauf zur Klinik zu gehen und zu fragen, ob sie sich eine zeitlang ins Patientennetz hängen kann. Es ist eben Eigeninitiative gefragt – das löst keiner für sie. Man erlaubt es ihr für die nächsten zwei Wochen – bis dahin muss sie eine Lösung haben. Fragt sich nur welche… Mondkind hatte an einen Internetstick gedacht, aber die Frage ist, ob das mit dem Empfang hinhaut. Die whatsApps kommen erst nach Stunden durch und je nach Laune des Handys kann sie auch mit ihren mobilen Daten nicht auf die Mails zugreifen. Die Zeit Youtube – Videos schauend morgens im Bett das Müsli zu löffeln sind definitiv vorbei, aber die Frage ist, ob so ein Stick es ihr ermöglicht zumindest die Mails und den Blog zu machen. (Hat jemand Erfahrungen oder Tipps bezüglich dessen?)

Gegen 17 Uhr setzt Mondkind sich in den Kurpark und verarbeitet den Tag, indem sie den Blog schreibt. Es kommt Mondkind vor, als sei der Wind ein wenig rauer als in der Neuro, der da über die Flure der Kreisklinik weht. Zwar hat eine Assistenzärztin ihr heute erklärt, dass es im Prinzip sei wie in einer großen Familie, aber Mondkind ist noch nicht so überzeugt davon. Aber vielleicht ist es auch nur ihre Unsicherheit und Angst, die die Antennen anschlagen lässt. So schwer wie es ihr auch fällt, aber Mondkind muss sich bemühen, sich aktiv zu integrieren und ein Teil dieser Familie zu werden. Die Oberärztin sei auch wirklich sehr streng, hat Mondkind heute gehört und gleich danach, dass man ja auch nicht mit jedem auskommen müsse – das sei ja immer so. Blöd nur, dass Mondkind eben ausgerechnet ihr zugeteilt ist. Aber vielleicht werden die beiden ja auch noch warm miteinander. Positiv ist, dass sie Mondkind auf die Urlaubsplanung angesprochen hat und Mondkind antwortete, dass sie sich darüber noch nicht so viele Gedanken gemacht habe, aber aufgrund der Doktorarbeit in der Heimat in Erwägung gezogen hatte, mal einen Freitag frei zu bekommen und das mit Wochenendarbeit auszugleichen. Das müsse sie mit dem Chef besprechen – und vielleicht ist das auch besser so, denn der soll sich wirklich für Personal und Patienten bemühen hat Mondkind heute aus mehreren Ecken gehört. 

Heute Abend wird sie sich vielleicht noch ein wenig damit beschäftigen, wie man eine Anamnese macht und sich eventuell schon mal ein Konzept zurecht legen. Zwar sollte es auch funktionieren, wenn man den Anamnesebogen gründlich durcharbeitet, aber sie hat Angst wichtige Dinge doch zu vergessen. Und dann wird sie bald ins Bett gehen, um morgen früh fit zu sein. 

Und vielleicht schreibt sie morgen dem Neuro - Oberdoc nochmal und bedankt sich für seine Mühe. Vielleicht weist sie ihn auch nochmal darauf hin, dass er ihr Bescheid geben soll, wenn ihm eine Doktorarbeit über den Weg läuft. 

Alles Liebe
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen