Diskussion über Diagnosen und Krankheitsakzeptanz
Ein Thema, das
mich immer wieder umtreibt.
Inwieweit
sollte eine Diagnose mein Leben bestimmen? Wie sehr sollte ich mich nach meiner
Krankheit richten? Muss ich sie bei jeder folgenschweren Entscheidung
berücksichtigen? Was ist, wenn ich sie einfach außen vor lasse? Wenn ich mein
Leben so lebe, als gäbe es die Krankheit gar nicht? Ist das fahrlässig? Ist das
dann fehlende Krankheitsakzeptanz?
Und was
bedeutet es, sein Leben eben mit der Krankheit einzurichten und dennoch das
Beste draus zu machen? Zu akzeptieren, dass es eben da ist, aber der Sache
keine übermäßige Aufmerksamkeit schenken.
Und wo sind die
Grenzen aus diesen ganzen verschiedenen Möglichkeiten?
Das Thema wird
mit dem PJ eben immer wieder aktuell.
Eine Freundin
sagte mir mal, dass sie es blöd findet nicht „frei“ sein zu können. Man kann
eben nicht einfach mal – in ihrem Fall nach dem Abi – spontan eine Reise planen kann
(das heißt heute Abend überlegen und morgen früh am Flughafen stehen), ohne
nachzuzählen, ob die Medikamente reichen.
Und man kann
auch nicht einfach so ein Praktikum auf der anderen Seite von Deutschland
machen ohne zu wissen, wie es dort mit der ärztlichen Versorgung aussieht. Und
wenn man sich darum nicht so richtig kümmert – wie in meinem Fall – führt das
unter Umständen wochenlang zu Stress.
Auf eine
gewisse Art ist die Krankheit nun mal ein Teil von mir. Aber ich bin eben auch
mehr als meine Diagnose. Und das kann ja auch alles im Fluss sein. Es kann ja
sein, dass dieser Teil sich irgendwann aus dem Leben schleicht – so wie er sich
damals eingeschlichen hat. Gehen kann ich den Teil aber nur lassen, wenn ich
eben weiß, dass ich auch noch ganz vieles anderes und mehr als das bin.
Es gibt einen
Kanal auf Youtube mit dem Namen „Wie geht Psychotherapie“, auf dem sich eine
Psychotherapeutin und Philosophin aus Österreich mit den verschiedensten
psychotherapeutischen Themen auseinander setzt und ihre Gedankenanstöße dazu in
kurzen Videos mitteilt.
Ich bin da
irgendwann mal drüber gestolpert und habe ein bisschen gewühlt – jeder muss das
für sich das „Passende“ heraus suchen, aber dann ist der Kanal wirklich eine
Fundgrube.
Kann ich jedem
nur empfehlen. 👉Link zum Kanal
Eines der neuesten
Videos auf dem Kanal setzt sich genau mit dem Thema Diagnosen und inwiefern
diese Einfluss auf die Lebensgestaltung nehmen können auseinander. (Das ist
jetzt ehrlich gesagt nicht ganz zufällig passiert… ;) )
Eventuell ist
es nützlich, sich das Video vor dem Weiterlesen anzusehen 👉Diagnosen - Fluch oder Segen
Der zentrale
Tipp in dem Video ist: „Spüre, was die Diagnose für Dich bedeutet.“
Ist es eher
entlastend, dass man verschiedene Denk- bzw. Verhaltensmuster auf die Diagnose
zurück führen kann? Oder ist es umgekehrt eher belastend, stellt man die
Diagnose und sich selbst in Frage und überlegt immer wieder: Wer bin ich selbst
und was ist die Diagnose?
Entlastend ist
es für mich auf jeden Fall. Ich glaube man muss aufpassen, dass man sich nicht hinter
der Krankheit versteckt und einfach alles darauf zurückführt. Aber gerade für
die teilweise extreme Negativität kann das hilfreich sein. Was
Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und Suizidalität anbelangt; das kann man
schlecht weg diskutieren. Selbst wenn mir Menschen sagen, dass es alles doch
Sinn hat und dass es immer Auswege gibt, fällt es mir schwer das länger als ein
paar Sekunden zu glauben.
Aber wenn ich
mir sagen kann: Das sind Symptome und die gehören zu der Krankheit dazu und
bilden im Moment meine Realität ab, die sich aber mit dem Abklingen der
schwierigen Phasen auch wieder ins Positivere verschieben wird, kann ich mich
eher damit anfreunden. Denn es leugnet nicht, dass es im Moment ist, wie es
eben ist, macht aber auch deutlich, dass es da eine gewisse Realitätsverschiebung
gibt.
Und
gleichzeitig ist es natürlich auch eine Belastung. Ich erwische mich oft dabei
zu fragen: Wer wäre ich, wenn es diesen Teil in mir nicht geben würde? Was
wären Hobbies, Ziele, Wünsche? Wie hätte ich dann mein PJ geplant? Wäre ich
ohne zu zögern durch Deutschland gereist? Hätte ich viele Ängste einfach nicht?
Oder hätte ich vielleicht auch nie so eine Faszination für diesen Ort
entwickelt, weil es in meinem Herz kein Loch gegeben hätte, das dieser Ort auf
merkwürdige Art teilweise zu füllen weiß?
Ich kann mich
an die Worte meines alten Oberarztes erinnern: „Frau Mondkind – was wollen Sie
denn in diesem Dorf? Es gibt noch so viele anderen Krankenhäuser – wenn Sie
eine Empfehlung brauchen, können Sie mich gern fragen.“ Der Ortsname ist über
die Zeit der Insider schlechthin auf der Station geworden und immer wenn er
fiel, musste der Oberarzt einmal kurz die Augen verrollen ;)
Irgendwie – ob ich
es will oder nicht – macht die Krankheit mich schon ein bisschen zu der Person,
die ich heute bin. Was aber auch nicht unbedingt immer schlecht ist. Ich glaube
gerade im zwischenmenschlichen Bereich sind meine Antennen überempfindlich, was
mir immer wieder Probleme in der Hierarchie im Krankenhaus bereitet, aber den
Patienten zu Gute kommt. Und dass ich das System von der anderen Seite kennen
gelernt habe, schadet auch nicht.
Und in Bezug
auf das PJ… was machbar ist oder auch nicht, hängt wohl auch immer ein wenig
von der Krankheitsaktivität ab. Nach all den Überlegungen würde ich sagen, dass
es auf jeden Fall richtig ist, es mit dem PJ in der Ferne versuchen zu wollen
(wenn man jetzt mal die Überlegung raus lässt, ob mir der Ort ohne die
Krankheit so wichtig geworden wäre).Und wenn es nicht klappt, dann ist das mit Sicherheit blöd und auch dann werde ich mir viele Vorwürfe machen, aber mal objeketiv betrachtet wäre es auch kein Weltuntergang. Nur es nie versucht zu haben aus Angst, dort nicht zurecht zu kommen - das wäre vielleicht wirklich unklug.
Und ein
bisschen Angst ist wohl bei jedem, der einen solchen Schritt wagt, dabei.
Aber hätte ich
meinen Radius um die Ambulanz herum aufgebaut, hätte ich der Krankheit wirklich
zu viel Raum gegeben.
Man kann
natürlich jetzt argumentieren, dass das so instabil nicht die beste Idee ist.
Denn im Notfall sehen die Möglichkeiten da eher nicht so gut aus. Aber ein „Restrisiko“
bleibt wohl immer. Und meistens sind es die tausend Sachen an die man denkt und
die am Ende nicht das Problem werden. Und die eine Sache, an die man nicht denkt
– die wird meist das Problem.
Und wenn noch
jemand seine Gedankenanregungen zu dem Thema teilen möchte… - die
Kommentarfunktion freut sich über ihren Gebrauch und ich mich gleich mit!
Liebe Mondkind,
AntwortenLöschenich les per Zufall schon länger mit und kommentiere grundsätzlich nie (hab auch keinen Blog), aber du bist mir sehr sympathisch und irgendwann gibt es immer ein erstes Mal ;)
Wie sehr man sich von der Diagnose beeinflussen lassen sollte, sich persönlich und seine Lebensplanung, das beschäftigt mich auch immer wieder.
Ich denke, es gibt einen entscheidenten Unterschied zwischen uns beiden, bei dir läuft das alles noch recht "freiwillig" ab, also in dem Sinne, dass du dir selbst Hilfe holst. Die hole ich mir auch, aus der puren Notwendigkeit der Situation heraus (ich habe schon seit Jahren mit Psychose zu tun), aber bei mir ist insofern die Situation eine andere, dass mir kaum jemand, insbesondere von familiärer oder ärztlicher Seite, noch etwas (berufliches) zutrauen wollten. Ich musste gerade mein erstes Studium vor dem Hintergrund der Heftigkeit der Erkrankung abbrechen, ich bin zwar schon seit meiner Kindheit/Jugend (vor allem affektiv) erkrankt, aber der Einbruch in meinen Zwanzigern war dann doch zu heftig. Und ich kann nicht mal richtig rebellieren, denn alle wollen ja nur das Beste, "wir machen uns Sorgen" hebelt jedes andere Argument aus. Mein jetztiges Studium musste ich mir erkämpfen, genauso wie die Fortführung (bin jetzt im Master). Auch ambitionierte berufliche Pläne werden alle mit größter Skepsis betrachtet und immer nur vor dem Hintegrund meiner Instabilität (die ich ja gar nicht bestreiten will) beurteilt. Du siehst, auch wenn die Familie grunsätzlich die Erkrankung akzeptiert hat (manches trotzdem nicht bis heute und die anderen Streitpunkte bleiben trotzdem, was es nicht einfacher macht), ist nicht alles "gut". Dazu kommt, dass du (so vernehme ich es deinen Texten), sehr viel Glück bisher mit der Psychiatrie hattest. Ich habe leider auch viel Zwang und Gewalt erlebt (ohne selbst je gewalttätig geworden zu sein, nur zur Information). Das prägt natürlich und macht es nicht einfacher für mich, sich Hilfe zu holen.
Wenn ich dir etwas sagen darf (ich möchte dir nichts raten, den Ratschläge sind immer auch Schläge), dann nimm deine nun getroffene Entscheidung für das PJ an, es bringt nichts, ewig darüber zu grübeln was wäre wenn. Das bindet nur deine Energie. Und ich denke, du wirst auch viel Kraft aus deine Arbeit ziehen, sie wird "bedeutsam" für dich sein, in dem Sinne, dass auch Schwierigkeit hinter der Bedeutung deiner Aufgabe zurück treten werden (im Sinne von Antonovskys Salutogenesetheorie, vielleicht kennst du die ja). Oder frei nach Viktor Frank, dass der Mensch jedes Wie erträgt, wenn er ein Warum hat. Trotzdem würde ich dir (und ich kenne das von mir selbst, man will dann ja alles möglichst gut und perfekt machen), anraten, dir auch Fehler zuzugestehen und bewusst Pausen zu gönnen. Und in diesem Sinne die Krankheit zu akzeptieren, dass die Erschöpfung dazu gehört, und dass 90% Leistung auch genug sind (und die meisten anderen kochen auch nur mit Wasser ;)).
In diesem Sinne wünsche ich dir alles Gute fürs PJ! Und viel Spaß in Paris (und versuch dich bitte von deiner Familie ein wenig abzugrenzen, ohne Schuldgefühle, du bist ein erwachsener, mündiger Mensch).
Liebe Grüße
Anonym
Hallo,
AntwortenLöschendanke für Deine liebe Rückmeldung. Es bedeutet mir viel, dass Menschen meinen Blog gern lesen.
Das stimmt – da sind wir beide wohl in einer unterschiedlichen Situation. Während Du Dich zu sehr ausgebremst fühlst, habe ich das Gefühl, dass man mich zuweilen überfordert. Allerdings… - wenn ich nicht wüsste, dass die anderen das eben so erwarten – vielleicht hätte ich längst aufgegeben und würde hinter meinen Möglichkeiten zurück bleiben.
Bezüglich Erfahrungen in der Psychiatrie: Da hast Du Recht. Ich musste zum Glück noch nie Zwang und Gewalt erleben und habe es auf der Station auf der ich war, auch nicht mitbekommen. Und dennoch schwingt ja auch bei mir ab und an die Angst mit ganz ehrlich in der Ambulanz zu sein - nicht zuletzt aus dem Grund auf einer Station zu landen, auf der ich so etwas vielleicht erlebe. Nicht unbedingt an mir selbst, aber allein das mitzubekommen, reicht.
Ich hatte halt den Vorteil vorher ziemlich genau zu wissen, auf was ich mich da einlasse, da ich die Klinik ja schon von einem Praktikum kannte. Hätte ich nicht Medizin studiert, wäre ich vielleicht mit der Endstation Psychiatrie anders umgegangen.
Hinsichtlich de PJs bin ich auch schon zuversichtlicher geworden seitdem ich weiß, dass ich in dem Ort nicht "festhänge". Ich weiß, dass es Möglichkeiten gibt zwischendurch hier hoch zu kommen. Ob ich das mache, steht auf einem anderen Blatt, aber es vermittelt viel Sicherheit.
Alles Liebe
Mondkind