Eltern...
Mondkind hat
ihren Mietvertrag genehmigen lassen. Danach setzt sie sich an der Uni auf eine
Bank und liest ein wenig weiter in ihrem Buch. Es ist übrigens gar
nicht uninteressant. Eigentlich ein Fachbuch, das ein sehr langes Interview mit
einem Professor über alle möglichen Aspekte der Depression enthält und obwohl
Mondkind das Meiste davon weiß, braucht sie das manchmal, dass jemand die
wichtigen Dinge heraus kehrt. Dass die Betroffenen es nicht Schuld sind, dass
es keine Einbildung ist, dass es – auch wenn man das nicht für möglich hält –
Heilung gibt und die Hoffnungslosigkeit genauso wie die Suizidalität nur ein
Symptom ist.
Zwischendurch
macht sich ihr Handy bemerkbar und als sie eine kurze Lesepause einlegt,
beschließt sie nachzuschauen, wer da etwas von ihr wollte.
Ihr Vater… -
und was sie da liest, macht Mondkind ein bisschen fassungslos.
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Mit Buch in der Sonne... 🌞- den Fotopreis gibt es dafür nicht, aber egal... |
Vor ein paar
Tagen hatte er in der whatsApp – Gruppe zwischen ihrer Schwester, ihrem Vater
und Mondkind nach Geburtstagswünschen gefragt. Ihre Schwester hatte daraufhin
formuliert, dass sie für materielle Dinge im Moment keine Idee habe. Aber
zwischenmenschlich gesehen sei das sehr einfach. Sie würde sich wünschen, dass
die drei sich einfach mal wieder treffen könnten. Vielleicht irgendwo ein
bisschen spazieren gehen. Quatschen. Einen Kaffee trinken. So ein Papa –
Töchter – Tag eben.
Er echauffiert
sich nun darüber, dass ihre Schwester und Mondkind ja nun schließlich keine 16
Jahre mehr alt sind und der Vater seine Töchter nicht mehr „bespaßen“ müsse
(wovon ja nie die Rede war). Außerdem sei er auch privat und beruflich sehr
eingespannt und habe keine Zeit (für seine Kinder… - die dann ja wohl eher
nicht privat sind… ?)
In einem
Seitenhieb geht es dann noch darum, dass man als Eltern mit seinen erwachsenen
Kindern ja auch nicht mehr in den Urlaub fährt – er weiß von dem geplanten Trip
nach Paris.
Letzterer Punkt
hängt wahrscheinlich vom familiären Klima ab. Mondkind kennt viele
Kommilitonen, die auch noch mit ihren Eltern im Urlaub sind. Natürlich nicht
ausschließlich und nur ein paar Tage, aber warum sollte man nicht als Familie
ein paar Tage weg fahren und Zeit miteinander genießen?
Wenn das
Verhältnis zu zerrüttet ist, wie es zwischen ihrer Mutter und Mondkind ist, ist
das allerdings vielleicht wirklich keine gute Idee, zumal Mondkind ja auch
nicht vernünftig gefragt wurde.
Und was heißt
das jetzt? Nur weil ihre Schwester und Mondkind erwachsen sind, dürfen sie ihre
Eltern nicht mehr sehen? Ist das so wie bei einigen Tieren? Irgendwann wird man
aus dem Nest geschmissen und dann hat man mit seinen Eltern auch bitte nichts
mehr zu tun?
Mondkind stört
es auch schon, dass ihr Umzugswochenende seit Monaten bekannt ist und ihr Vater
sich unbedingt auf Samstagabend einen Termin legen muss, sodass Mondkind jetzt
alles drum herum basteln muss. Wenn es gar nicht anders ginge, dann müsse er
halt zur Not weg bleiben, immerhin habe er Mondkind ja versprochen, dass er
ihren Kram in die neue Wohnung bringt.
Aber das klingt
einfach anders als: „Mondkind, ich helfe Dir gerne.“
Für Mondkind
scheint es so, als wäre alles was mit ihrer Schwester und Mondkind zu tun hat,
eine nervige Pflicht für ihn.
Das Verhältnis
zu ihrem Vater war schon immer schwierig – auch für Mondkind, weil er andere
Meinungen und Lebenseinstellungen nicht zulässt.
Mit ihrer
Mutter ist es genauso schwierig. Sie akzeptiert Mondkind nicht so, wie sie eben
ist. Eine perfekte Mondkind ist okay für sie. Aber keine Mondkind, die ab und
an strauchelt. Zwar sagt sie „Mondkind, Du kannst Dich immer melden, wenn etwas
ist“, aber wenn dann wirklich etwas ist – zum Beispiel ein geplanter
Klinikaufenthalt – dann funktioniert das eben auch nicht. Mondkind hätte sich
gewünscht, dass ihre Mutter zumindest mal versucht hätte, sich mit Mondkinds
Krankheit auseinander zu setzen. Vielleicht kann man das nicht nachvollziehen,
wenn man es nie selbst erlebt hat. Aber dass Sätze wie „Reiß Dich zusammen“ und
„Das ist alles nur Einbildung“ absolut kontraproduktiv sind, steht in jeder
Apothekenumschau. Dafür muss man nicht mal recherchieren. Aber da sie so eine
Mondkind nicht annehmen möchte, sieht sie darüber eben hinweg und speist ihre
Tochter lieber mit Floskeln ab.
Womit Mondkind
immer nur sehr schwer zurecht kommt ist, wenn andere Menschen deren Pflicht das
nicht ist, im Gegensatz zu dem handeln, was man von ihnen erwarten würde.
Der Oberarzt
der Neuro hatte ihr bei ihrer letzten Famulatur angeboten, sie abends noch vom
Zug abzuholen und hinauf aufs Klinikgelände zu bringen, wenn sie keinen hat,
der sie fährt. Zu Fuß ist das ein Weg von 40 Minuten – den kann man ein
Köfferchen hinter sich her ziehend auch ohne Probleme erlaufen. Aber es war ihm
wichtig, dass Mondkind die Reise am Ende nicht noch „kompliziert“ gemacht wird.
Allein dieses Angebot hat Mondkind so gerührt.
Auch, dass er
Mondkind so nimmt, wie sie eben ist, berührt sie immer. Sie hat es ihm ja
erzählt, warum sich ihr PJ nochmal verschoben hat (und er hatte dann
zwischendurch sogar interessiert nachgefragt) und wenn hier alle Stricke mit
der Ambulanz doch reißen sollten, kann sie sich darauf verlassen, dass er ihr
hilft eine ärztliche Anbindung zu bekommen.
Genau dasselbe
mit ihrer Therapeutin. Sie geht in die Forschung und hat dort genug zu tun. Die
Termine mit Mondkind kommen „on top“ obendrauf. Sie muss das nicht machen. Sie
hätte es Mondkind nicht anbieten müssen, auch noch im PJ für sie da zu sein.
Auch das hat Mondkind sehr bewegt.
Vielleicht muss
sie sich gar nicht dafür verurteilen, dass ihr Kopf immer auf der Suche nach „Familienersatz“
ist und da manchmal ziemlich ungeachtet von den Positionen der anderen Leute
vorgeht.
Ihr Oberarzt
ist so ein bisschen ein „Papa – Ersatz“. Sie hat es schon beim letzten Mal
gemerkt, dass sie sich sicher fühlt, wenn sie in der Frühbesprechung neben ihm
saß oder unter seiner Anleitung irgendwelche Dinge machen durfte. Und die
Gespräche am Wochenende auf der Stroke unit, die hat sie auch genossen. Und für
einen ganz kleinen Augenblick war es, als würde dieses Loch in ihrem Herz,
welches immer da bleibt unabhängig davon, mit was auch immer man versucht das
zu stopfen, ein bisschen kleiner werden. Ein bisschen weniger Schmerz in ihr.
Und vielleicht
muss man sich damit anfreunden, dass es Dinge gibt, die sich einfach nie
realisieren lassen werden. „Ersatz“ kann immer nur flicken. Vielleicht temporär
den Schmerz nehmen. Aber niemals heilen.
Und Mondkind
muss auch aufpassen, dass sie sich nicht zu sehr von der Sehnucht ihres Herzens
leiten lässt und die gesellschaftlichen Regeln nicht vermischt.
Mondkind
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