Tag 98 / 116 Ein bisschen Optimismus



„Mondkind, Du bist ja ganz kalt! Da ist meine -80 Grad – Truhe ja nicht viel kälter“, sagt er und nimmt mich ganz fest in den Arm."Und müde siehst Du aus..."
Stippvisite im Labor.
Es hat gestern Abend noch eewwiigg gedauert die Dokumente fertig zu machen, aber ich wollte sie ja heute drucken.
„Komm, wir gehen erst mal einen Kaffee holen“, schlägt der MTA vor.
Also gegen den Kaffee aus dem Labor kommt meiner ja nun mal wirklich nicht ran…
Und während ich meine Hände an der Tasse wärme und auf dem Tisch im Labor sitze, grummelt der Drucker neben mir vor sich hin und wirft die Dokumente raus.
„Komm Mondkind, ich zeige Dir mal, was ich fürs Kryomikrotom gebastelt habe…“
Ich springe vom Tisch und laufe ihm hinterher…

Nächster Stopp heute Morgen: Ambulanz.
Heute ist der Arzt mal überpünktlich! Das ist das Gute an frühen Terminen. Da kann man noch nicht so sehr in den Verzug geraten. Nachmittags sitzt man da häufig ewig.
Wir reden über das Examen und er fragt mich genau, wie das jetzt alles läuft. „Ich habe in Griechenland studiert“, wirft er irgendwann ein. Wahrscheinlich fängt er meinen fragenden Blick auf, warum ich das jetzt alles erklären muss, wo er doch selbst noch nicht so lang fertig ist. Zumindest sieht er noch relativ jung aus.
Ich erkläre, dass ich mit dem Lernen im Moment nicht ganz zufrieden bin, dass es irgendwo langsam auch ein wenig an der Motivation hakt, weil ich nicht so genau weiß, wofür ich das mache und wie es hinterher für mich weiter geht. Und dass es mich stresst, dass jetzt eben gerade noch so viel drum herum passiert, aber das wohl jedem so gehen kann und ich da jetzt einfach durch muss und das Beste draus machen muss.
„Wie ist das denn jetzt nach dem Examen… ?“, fragt er. „Haben Sie da schon etwas mit der Therapeutin vereinbart – Sie haben ja gesagt, dass sie Angst haben, dass das nicht funktioniert….“
„Nee noch nicht“, erwidere ich. „Da müssten wir uns nächste Woche vielleicht mal drum kümmern“, sage ich. (Ich hatte gestern ernsthaft überlegt, es schonmal anzusprechen, aber nachdem mir meine Therapeutin vor ein paar Wochen klar gemacht hat, dass ich es auch ohne Ambulanz schaffen muss, wollte ich nicht schon wieder den Eindruck erwecken, irgendwie doch ein wenig auf diese Termine angewiesen zu sein…).
Ich betone noch einmal, dass ich möglichst pünktlich ins PJ starten will und er findet auch, dass sich mein Plan mit dem Krankenhaus dort wirklich gut anhört und jeder möchte, dass es klappt.
„Also ich hatte ja schon mal gesagt“, beginnt er, „das Elontril ist zwar ein ganz nettes Medikament, aber in der Dosierung und bei Ihrer Problematik ziemlich nutzlos.“ „Ja ich weiß“, sage ich, „aber vor dem Examen würde ich da nichts mehr ändern wollen. Es muss jetzt halt noch irgendwie so gehen.“
„Aber hinterher könnten wir da ja nochmal etwas versuchen“, sagt er. „Und wir können das dann ja auch schnell hochdosieren – viel Zeit ist ja nicht - die Nebenwirkungen sind dann ja ziemlich egal.“
„Das stimmt“, gebe ich zurück, „was in diesem Monat dazwischen passiert, ist mir eigentlich generell komplett egal.“
„Und wenn es nicht geht, können wir das auch tagesklinisch oder stationär machen – das ist alles kein Problem…“ ergänzt er.
„Naja“, gebe ich zurück, „also mit der Klinik – das fände ich halt nicht so gut, weil ich da schon Angst hätte nicht mehr pünktlich raus zu kommen. Prinzipiell wäre ich zwar nicht abgeneigt, aber dieser Druck im Hintergrund es bis dann schaffen zu müssen, wird halt schwierig.“
„Frau Mondkind“, beginnt er, „dann telefoniere ich höchstpersönlich mit dem Oberarzt und kläre das mit dem. Wir wissen alle, dass es wichtig ist. Sie kommen da pünktlich raus… und wenn Sie noch die Vermietung Ihres Zimmers oder den Umzug organisieren müssen, dann machen Sie das und nehmen dann halt mal an einer Tanztherapie weniger teil… das lässt sich alles klären.“
Also manchmal könnte ich den Menschen ja echt um den Hals fallen. Womit habe ich das denn verdient, dass die sich alle so viel Mühe geben? Und gesetzt dem Fall, dass ich auf der Station landen würde auf der ich das letzte Mal war, weiß der Oberarzt auch ohne Telefonat, was das Ziel ist, obwohl ein „Erinner – mich“ nicht schaden kann und ich das dann vielleicht nicht wie eine Schallplatte auf Endlosschleife immer wieder erwähnen muss.

Ernsthaft, es beruhigt mich alles wirklich. Bis der Fall eintritt, dass ich nicht ins PJ starten kann, muss wirklich noch einiges passieren. So nach und nach formen sich Alternativen für die Zeit nach dem Examen. Ich werde nicht ins Nichts fallen, wenn ich das zulasse, dass die Menschen mir helfen. Das Examen ist nicht das Ende.
Und das fördert gleichzeitig die Motivation. Ich habe heute gemerkt, dass ich beim Lernen wieder so viel mehr bei der Sache bin. Irgendwie bin ich echt erleichtert. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich nicht die einfachste Patientin bin und dennoch geben die sich alle so viel Mühe, mir so viel wie es irgend geht zu ermöglichen.

Ich habe das jetzt so gemacht, dass ich den Termin beim Psychiater am Ende der Woche nach dem Examen habe. Der Zahnarzttermin stört halt so richtig. Der liegt auf dem Dienstag nach dem Examen. Davor in der Ambulanz zu sein, macht irgendwie keinen Sinn, weil ich dann hinsichtlich der Ehrlichkeit mich wirklich in die Bredouille bringen könnte, was man ja jetzt nicht unbedingt provozieren muss. Ich habe halt keine Lust auf die Nummer: Ich erkläre denen jetzt, dass ich alles im Griff habe, obwohl ich wenn ich ehrlich bin nicht weiß, wie ich die nächsten Tage schaffen soll. Sowas zieht dann immer noch mehr runter, als wenn man weiß, dass es eben irgendwie gehen muss.
Den Zahnarzt muss ich nämlich definitiv noch mitnehmen – jedenfalls habe ich keine Lust mir neben dem PJ – Start noch den Stress antun zu müssen, einen Neuen zu suchen. Und das Problem mit meinen Zähnen muss ja jetzt mal geklärt werden. Theoretisch ist es nämlich nicht möglich, während einer stationären Behandlung noch zu einem ambulanten Arzt zu gehen. Mit Sondergenehmigung der Klinik geht es zwar, aber ich weiß ja nicht mit hundert prozentiger Sicherheit, auf was ich für einer Station landen würde und wie die dortigen Stationsärzte bzw. der Oberarzt so drauf ist.

Das sind jetzt halt nur ziemlich viele Tage nach dem Examen, die ich erstmal irgendwie überstehen muss und das stresst mich schon etwas.
Nach dem Dienstag habe ich dann noch zwei Tage Luft, in denen ich nochmal meine Therapeutin sprechen könnte, wenn sie denn da ist und Zeit hat. Das ist mir sehr wichtig, sie nach dem Examen nochmal zu sehen.
Zwar war dieser Arztwechsel glaube ich das Beste was mir passieren konnte und er macht es mir leicht ihm zu vertrauen, aber dennoch kenne ich meine Therapeutin halt doch schon etwas länger.

Irgendwie weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, was das jetzt für eine Schnapsidee ist. Dann bricht eben alles einen Monat später zusammen. Also entweder mit enger Anbindung an die Ambulanz oder noch schlimmer von der Klinik aus direkt einmal quer durch Deutschland ohne Anbindung – das ist nach wie vor ein bisschen irre.
Aber vielleicht habe ich mich dann ja (Achtung, grenzenloser Optimismus bezüglich etwas, das in den letzten drei Jahren nicht geklappt hat) soweit stabilisiert, dass ich es ohne Ambulanz schaffe.


Alles Liebe
Mondkind

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