Tag 105 / 116 Von Altklausuren und Ambulanzbesuch...


Heute ist dann also mal wieder Schreibtag… oder so ähnlich…
Lernen ist ein bisschen wie Roulette spielen im Moment. Man weiß nie was los ist, wenn ich morgens aufwache.
Da ist so oft einfach eine Blockade in meinem Kopf. Ich merke, wie die Infos nur durch mich hindurch rieseln und ich einfach nur müde bin. Und mein Kopf denkt…

Und so generell weiß ich nicht, ob das überhaupt noch Sinn hat. Ich habe die alte Auflage von den Scripten und während ich mit den alten Examen gut zurecht gekommen bin, sieht das mit den Neuen anders aus. Da stehen viele Sachen einfach nicht drin.
Antibiotika zum Beispiel. Das ist eine einzige Katastrophe. Ich habe es heute nochmal bei Amboss nachgelesen und einiges raus geschrieben. Vielleicht werde ich auch noch mal ein Dokument erstellen mit den wichtigsten Krankheiten und den zugehörigen Antibiotika. Aber das nimmt eigentlich viel zu viel Zeit in Anspruch.
Einige Medikamente gab es damals wahrscheinlich noch nicht. Dass Ceftarolin gegen MRSA wirkt, steht bei mir nicht. Ist auch noch neu. In meinen Scripten steht auch eindeutig, dass Aminoglykoside nicht gegen Pseudomonas aeroginosa wirken. Da bin ich letztens über eine Frage gestolpert, in der anzukreuzen war, was denn noch wirkt. Laut meinem Kenntnisstand war es eben nichts. Laut Amboss und IMPP besagte Aminoglykoside.
Es ist echt noch viel frustrierender, wenn man lernt und es theoretisch kann, praktisch dann aber irgendwie doch nicht.
Ich bin auch letztens über irgendeine neue Therapie von Endometriose gestolpert. Da hatte ich vorher auch noch nie etwas von gehört und auch das steht bei mir nicht.

Neuro kreuzen lief heute auch unterirdisch. Und das geht einfach nicht. Gerade in Neuro und Psychiatrie muss ich schon fast alle Punkte holen, um Fächer wie Augenheilkunde oder so etwas auszugleichen. Da ging es halt um Hirntumoren. Seit ein paar Jahren gibt es eine neue Klassifikation (2016 oder so, ich weiß es nicht genau…). Jedenfalls… - die berücksichtigt mein Script natürlich auch nicht.

Langsam zweifle ich wirklich, dass das etwas wird mit mir und Examen…
Für Neuro sind auch noch zwei Tage Wiederholung angedacht – da muss ich mir echt etwas einfallen lassen.

Heute dann übrigens so zwischendurch die coolste Frage von meiner Therapeutin: „Haben Sie Angst vor dem Examen…?“. Nee, überhaupt nicht…  - besonders, wenn das so weiter geht…

Womit wir beim Thema wären (Was für eine Überleitung mal wieder ;)  )
Ich muss das einfach für mich immer nochmal aufschreiben. Die ganzen Dinge, Stimmungen und Überlegungen, die ich wahrgenommen habe. Und in meinem Tagebuch gibt es nochmal ein ähnlich langes Dokument, das sich dann mehr mit den Inhalten beschäftigt. Wenn meine Therapeutin mal wüsste, wie viel Geschreibsel aus einer Therapiestunde entsteht… und das, wo ich nicht so viel schreiben soll. Sie wird es nicht mitbekommen… Das darf ich ihr auch nie erzählen… ;)

Berge von Zetteln... - aber ob es am Ende reicht...?


***

„Mondkind, schreib mir wenn das Examen vorbei ist…“
„Aber da hast Du doch Urlaub…“
„Ich kann Mails auch im Urlaub lesen“, antwortet ihr MTA und nimmt sie noch einmal ganz fest in den Arm. Letzte Umarmung vor dem Examen. Wenn sie wieder einen Fuß ins Labor setzt, ist es vorbei.

Im Nieselregen radelt sie einmal quer über den Campus. Die Ambulanz ist über Ostern wieder in die Tagesklinik umgezogen.
„Entschuldigen Sie – kennen Sie sich hier aus?“, ruft es von der anderen Straßenseite.
„Ja klar“, antwortet Mondkind und springt vom Fahrrad. „Wo wollen Sie denn hin?“.
Nachdem Mondkind eine genaue Wegbeschreibung abgegeben hat, hört sie ein „Danke“ von einem älteren Paar, das sichtlich verwirrt auf dem Weg durch den Gebäudedschungel der Uni war.
Ihr Plan im Wartebereich nochmal ihre Gedanken zu sortieren, geht damit nicht auf – aber es ist schön, schon früh am Morgen etwas Gutes getan zu haben.

Mondkind sitzt zwischen den ganzen Tagesklinik – Patienten, die auf irgendetwas oder irgendwen warten. Sie kennen sich, fragen sich gegenseitig wie die Nacht war.
Irgendetwas in Mondkind zieht sich zusammen. Nein… - sie kann nicht bald wieder jeden Tag erzählen, wie ihre Nacht war und drei Mal am Tag auf die Frage antworten, wie denn gerade die Stimmung ist. Sie kann doch nicht – wo sie dann gerade Examen gemacht hat und kurz davor ist, wieder richtig durchzustarten – wieder dort landen, wo sie vor einem Jahr schonmal war. Das würde auch keiner verstehen. Schon damals wurde sie schief angeschaut, wenn sie erklärt hat, dass sie bis zum Tag der Einweisung noch in der Uni war. Psychiatrie… - das ist die absolut letzte Station für alle, die draußen gerade nicht mehr klar kommen. Und vom Examen dann dorthin. Wie soll sie denn den Gegensatz aushalten…?
„Frau Mondkind…?“, dringt eine vertraute Stimme an ihre Ohren und reißt sie aus ihren Gedanken.

Heute mal wieder ein anderes Büro…
„Wie geht es Ihnen…?“ Die übliche Frage.
„Ich weiß langsam wirklich nicht mehr, was ich dazu noch sagen soll“, gibt Mondkind zurück.
Sie findet heute schwer in die Stunde. Sie würde gern so viel sagen, da schwirrt so viel in ihrem Kopf herum. Aber sie kann es nicht. Das wäre einfach bescheuert vor dem Examen und sie ist sich ja auch einigermaßen sicher, es bis dahin zu schaffen. Es wäre nur erleichternd, das Gedankenkonglomerat ein bisschen sortieren zu können, den Gedanken ihren Schrecken zu nehmen.

Es geht heute viel um Strategien. Wen kann sie noch anrufen am Abend vor dem Examen? Was kann sie machen, wenn der erste Tag nicht läuft? Was macht sie zwischen den Tagen? Ist es eine gute Idee, am Wochenende danach erstmal in ihr Elternhaus zu fahren? Wie viel Kontakt sollte sie in den kommenden zwei Wochen überhaupt in ihr Elternhaus haben?
Es geht darum, dass es okay ist, zwischendurch auch mal nicht lernen zu können. Dass da so viel in ihrem Kopf ist, dass sie die Gedanken nicht auf die Scripte lenken kann. Dass das jedem so geht. Und dass man tendenziell vor dem Examen einfach schlechter lernt. Dass es normal ist.
Und dass es am Ende auch ein bisschen Glück hinsichtlich der Themen ist. Dass man auch nicht alles können muss. Wenn da eine Kardiologie – Klassifikation kommt, von der Mondkind innerhalb von 2 Monaten Kardio – Famulatur mit begleitenden Seminaren jeden Nachmittag noch nichts gehört hat, dann ist es nicht so schlimm. „Sie müssen nur die zugehörige Frage wissen“, sagt ihre Therapeutin.

Planung…
„Wann sehen wir uns denn wieder? Haben wir schon Termine?“, fragt sie.
„Nein“, gibt Mondkind zurück. Sie hofft, dass ihre Therapeutin in der Woche nach dem Examen keinen Urlaub hat. Hat sie nicht. Schon mal gut.
Sie würde Mondkind in der Woche danach schon am Montag kommen lassen. Aber da am Dienstag noch der Zahnarzttermin ist, fragt Mondkind, ob das nicht auch Mittwoch geht. Geht es.
Natürlich ist die Zeit von Donnerstag bis Mittwoch lang, wenn ihr Kopf dann wirklich so durchdreht, wie das zu befürchten ist. Und sie ist da scheinbar nicht die Einzige. „Ich schaue mal, ob Ihr Arzt dann auch da ist…“, erklärt die Therapeutin und scrollt durch den Terminplan. Ist er nicht. Aber die Oberärztin – das sei ja auch nicht schlecht. (Naja, Mondkind ist nicht begeistert…)
Und am Freitag in derselben Woche gibt sie Mondkind auch nochmal einen Termin direkt nach ihrem Arzttermin, falls es da etwas zu besprechen gäbe.
Alle Seiten sorgen vor. Mondkind arbeitet ihre Termine ab, hat dann nach dem Examen auch nochmal Zeit, um im Labor vorbei zu schauen und die Wäsche nochmal zu machen. Nur für den Fall der Fälle. Und in der Ambulanz passt man auf, dass man einen Arzt da hat – nur für den Fall der Fälle.
Und während sie das schreibt, steigen ihr schon wieder die Tränen in die Augenwinkel. Das darf so einfach nicht laufen. Es ist die einzige freie Zeit dieses Jahr…
Aber auch ihre Therapeutin hat angemerkt, dass es kriseninterventionsmäßig nicht verkehrt wäre – die Idee mit der Klinik. Man könne es auch klären, dass sie Entlassung pünktlich stattfindet. Immer noch hat Mondkind aber keine Ahnung, wie das laufen soll. Auf die alte Station könnte sie sich einlassen – da weiß sie, dass der Oberarzt auch möchte, dass sie erst mal so schnell es geht, das Studium fertig macht. Aber andere sehen das eventuell anders und Mondkind hat keine Lust, wieder stundenlang zu diskutieren und sich zu rechtfertigen und am Ende darauf angewiesen zu sein, dass die sie gehen lassen. Denn letztendlich trägt allein Mondkind die Konsequenzen und ob sie im Endeffekt doch noch das Studium vor die Wand fährt oder nicht, wird niemanden interessieren.

Aber wenn sie schon gerade bei der Organisation sind, fasst Mondkind ihr Hasenherz zusammen.
„Wie ist das denn überhaupt?“, fragt sie. „Ich bin ja dann ab Mitte Mai auch nicht mehr da… ich dachte, bis dahin sind Sie noch da…“ (Es ist ja eigentlich ziemlich ungünstig, für drei oder vier Wochen noch einen neuen Therapeuten zu haben, der von der ganzen PJ – Sache und den damit verbundenen Sorgen einfach mal gar keine Ahnung hat).
Eigentlich – so erklärt die Therapeutin Mondkind – dürfe sie schon jetzt keine Termine mehr machen. Aber weil das bei Mondkind ja gerade eine Ausnahmesituation sei, sei das schon in Ordnung. Die beiden Termine nach dem Examen machen sie noch. Und dann – so meinte sie – könne sie sich vorstellen, bei dem neuen Therapeuten auch nochmal dabei zu sein.
Sie versucht, den Übergang für Mondkind ein bisschen einfacher zu machen. Mondkind sagt jetzt nicht, dass das für sie eine absolute Katastrophe ist. (Wahrscheinlich wird sie das ohnehin wissen – also ist die Extra – Erwähnung nicht nötig). Kaum ist die Sorge Examen vorbei, bricht ihr eine der wichtigsten Säulen der vergangenen drei Jahre weg. Es kommt keine Ruhe rein. Wäre ja auch zu schön – so läuft das Leben nicht… 
Sie darf sich da nicht hinein steigern. Am Anfang hätte sie nie gedacht, dass das überhaupt so lange möglich sein wird, dort zu bleiben. Eher sollte Mondkind sich darauf konzentrieren, dass sie unglaublich dankbar ist. Denn das ist sie wirklich. In Worte wird sie das gar nicht fassen können. Immer noch versteht sie nicht, warum Menschen sich so viel Mühe für sie geben, wo sie doch so anstrengend ist. 

Ohne dass Mondkind die Sorge erwähnt hätte, erklärt ihre Therapeutin ihr auch, dass sie jederzeit wieder einen Ansprechpartner habe, wenn sie aus dem PJ zurück komme. Auch wenn ihre Therapeutin selbst dann nicht mehr für sie da sei, aber dann seien es eben andere. Sie solle sich keine Sorgen machen, dass sie dann nicht mehr kommen dürfe.
Sie kennt Mondkind und ihre Sorgen wohl mittlerweile ganz gut…

 „Und wenn etwas ist – wir sind für Sie da.“ Der Satz fällt in dieser Stunde mindestens drei Mal.
Und am Ende. „Können wir hier jetzt noch irgendetwas für Sie tun?“
„Nein, ich glaube nicht“, erwidert Mondkind. „Aber es ist ja schonmal sehr gut zu wissen, dass jemand da ist…“ (Und es ist so berührend, dass überhaupt jemand fragt…)
„Sie schaffen das Examen“, sagt ihre Therapeutin nochmal, bevor sie Mondkind nach Hause schickt. Und wenn Mondkind einem Menschen diese Aussage glaubt, dann ihr.


***
So... letzte Etappe für den Abend... Falsche Fragen aus Altklausuren durchgehen. Der Zettelstapel ist immer noch viel zu hoch und ich kann ihn gar nicht so schnell abarbeiten, wie wieder Zettel dazu kommen... 

Ich wünsche allen Lesern dann mal einen schönen Feiertag morgen! 
(Ich fürchte, dass bei mir morgen hier Tumult mit dem Umzug sein wird... )

Mondkind 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen