Tag 89 / 90 Wiederholung und ein paar Gedanken...
Die Zeiten ändern sich.
Und besser wird es jetzt erstmal nicht…
Die Tage fangen langsam doch zu stressen an. Mit meinem
Wiederholungsplan habe ich mir ziemlich viel vorgenommen. Jeden Tag müssen 200
Seiten wiederholt werden (das sollte ja eigentlich schnell gehen, weil ich die alle
schon einmal gelesen (gelernt?) habe). Dazu noch mindestens 100 Fragen kreuzen
und die Dokumente, die zu den entsprechenden Kapiteln angelegt wurden und alle
Informationen enthalten von Fragen, die ich falsch beantwortet habe, müssen
auch noch durchgegangen werden.
Eigentlich hätte ich das erste Examen schon vorgestern fertig haben
sollen, aber ich habe es einfach nicht geschafft. Ich komme nicht dazu und ich
kann auch kaum noch vorne an oder hinten dran bauen. Heute wird es auch nichts
mehr – auch wenn ich sicher noch ein paar Fragen schaffe.
Und manchmal habe ich wirklich das Gefühl, dass alles was ich lese
ohnehin nur noch durch mich hindurch fällt.
Es sieht mit der Probeklausur eigentlich gar nicht so schlecht aus
bisher. Das sind jetzt Fragen, die ich wirklich noch nie gesehen habe und es
werden Infos abgefragt, auf die in den Scripten auch nicht explizit
hingewiesen wird. Bis jetzt bin ich noch
bei über 80 %.
Jedem, dem ich das sage sagt mir: Entspann Dich Mondkind…
Aber einige Dinge verunsichern mich. Da kam so ein riesiger Fall mit
einem Phäochromozytom daher. Das ist ein ziemlich seltener Nierentumor und
darüber gab es einen sehr kleinen Absatz in den Scripten und die fragen von
Histologie, über Diagnostik und explizite Therapiemöglichkeiten bis hin zur
Überlebenswahrscheinlichkeit in bestimmten Stadien, alles ab.
Da habe ich keine Ahnung von. Natürlich habe ich ein „Grundverständnis“,
das dann auch in solchen Fällen weiter hilft und einige Antworten auch
ausschließt…
In meinem Hirn bastelt sich dann ein Examen zusammen, das NUR aus
solchen Fällen besteht. Das ist natürlich absoluter Blödsinn… und selbst, wenn
es zwei von solchen Fällen gibt, würde mir das wahrscheinlich immer noch nicht
das Genick brechen…
Und irgendwie stresst mich der Gedanke, dass ich mittlerweile schon
zwei Scripte gar nicht mehr anschauen werde und jeden Tag eines dazu kommt. Das
Wissen sollte also komplett in meinem Hirn sein, ich bezweifle nur, dass es das
ist.
***
Heute war indes nicht so der allerbeste Tag.
Erst musste ich ins Labor, um mich von dort aus über das Uninetz ins
Internet zu hängen, weil es ein Problem mit dem Lernprogramm gibt. Ich habe
gehofft, dass sich das dadurch beheben lässt – tut es aber leider nicht. Da
muss ich mir jetzt mal überlegen, was ich mache – wahrscheinlich mich mit dem
Support in Verbindung setzen.
Allein der Weg zur Ambulanz war heute schwierig. Mir fällt dieses
Frühlingswetter einfach unglaublich schwer im Moment.
Dann hatten die es mit ihrer Zeitplanung heute nicht ganz so drauf – sie
war eine halbe Stunde zu spät und dann haben wir auch noch überzogen, was ja
aber in dem Fall mir zu Gute kommt und das schätze ich auch wirklich sehr an
ihr, dass sie einen nicht punktgenau unterbricht. Wahrscheinlich hat sie heute
ein bisschen in ihren Feierabend hinein gearbeitet. In den Lernplan hat es aber
eben trotzdem nicht hineinpasst.
Ansonsten hatten wir heute aber ein sehr ehrliches und für mich sehr
entlastendes Gespräch; auch wenn es mich sehr nachdenklich zurück lässt.
Einerseits habe ich gerade das Gefühl, dass wir vorwärts kommen,
andererseits drehen wir uns aber doch nur im Kreis.
In letzter Zeit hinterfragen wir mein Handeln sehr und überlegen, ob
es nicht andere Möglichkeiten gibt an das zu gelangen, das mir fehlt.
Was fehlt - das hatten wir ja schon – das ist ein wenig Halt,
Anerkennung und ein bisschen Liebe. Das Gefühl, seinen Platz zu haben.
Während der Zeit, in der ich zu Hause gewohnt habe, waren diese Dinge
eben nur über Leistung zu erhalten. Wenn überhaupt. Manchmal diente es einfach
dazu, nicht abgelehnt zu werden. Die Ansprüche waren hoch, der Druck auch.
Heute weiß ich, dass ein Mensch mehr als seine Leistung ist. Und doch
fällt es mir schwer, mich auf andere Menschen einzulassen, sie an mich heran zu
erlassen, ihnen zu erlauben, Teil meines Lebens zu werden und auch mir selbst
zu erlauben, dass sie mir wichtig werden.
Vielleicht könnte ich tatsächlich einen Freund vertragen. Aber wie das
so ist… - das wäre Schritt zwei vor Schritt eins. Denn erstmal muss ich verstehen,
dass ich mir selbst mehr wert bin, als meine Leistung.
Und das ist immer wieder der Punkt, an dem sich die Katze in den
Schwanz beißt.
Nochmal in die Klinik zu gehen, wäre auch eine Art von Selbstfürsorge,
die ich mir aber auch nicht erlauben kann. Denn dann würde sich der Abschluss
nochmal verschieben und ich würde mich selbst und mein Umfeld mit meinem
Versagen konfrontieren.
Dass mir die Klinik eventuell das Leben retten könnte, sehe ich zwar
schon so, aber mein Umfeld wohl eher nicht. Es würde Vorwürfe hageln und es
würde bestimmt keiner kommen und sagen: „Mondkind, wenn das für Dich die
richtige Entscheidung ist, dann ist das okay.“ Und selbst dieser Satz wäre für
mich schwierig anzunehmen, denn auch für mich ist es nicht okay. Auch ich hätte
das Gefühl, versagt zu haben. Aber wenn einem das noch vorgehalten wird, ist
das nochmal schlimmer.
Ich weiß nicht genau, worauf sie hinaus wollte, aber sie hat mich
heute gefragt, was denn nach dem Examen der bestmögliche Verlauf wäre. Da ist
mir aufgefallen, dass ich die Ansprüche schon ziemlich herunter geschraubt
habe. Wenn man es realistisch betrachtet, ist Urlaub oder dergleichen einfach
nicht drin. Nicht nur, weil das finanziell ein Problem wäre, sondern auch, weil
meine Gemütslage den Ansprüchen eines Urlaubes nicht gerecht wird und das dann
ja wieder Druck ist.
Das Bestmöglichste wäre es tatsächlich, wenn ich einfach einen Monat
im Labor werkeln könnte, ziemlich genau wissend, dass es das im Prinzip auch
nichts bringt, weil die Doktorarbeit nun mal einfach vor die Wand fahren wird.
Ich versuche zwar zu retten, was zu retten ist und viele fragen mich schon,
warum ich das überhaupt noch mache, denn wenn man es realistisch betrachtet,
hat dieses Projekt keine Zukunft.
Ich bin aber auch der Meinung, dass wir ganz langsam ein Stückchen
weiter kommen, seitdem ich mal ein wenig ehrlicher geworden bin. Ehrlich zu
sein, ist gerade was das Thema Suizidalität anbelangt unglaublich schwierig. Es
ist nicht nur so, dass man sich damit auf verdammt dünnes Eis begibt, sondern
auch so, dass es für mein Empfinden für beide Seiten belastend ist und ich
einfach das Gefühl habe, sie damit zu nerven.
Ihr Ton wird dann auch immer etwas schärfer als normal und auch ihre
Gesichtszüge spannen sich ein wenig an und manchmal habe ich das Gefühl, dass
ich einfach nur noch raus will aus der Situation, aber es ist wichtig das
auszuhalten.
Es geht nicht darum, das Thema breit zu treten sondern darum zu
eruieren, was einen Menschen so verzweifeln lässt, dass das der Weg ist. Und
auch – zumindest ist es bei mir so – nicht, weil ich das aktiv so will – mich
belastet es selbst total – sondern, weil ich da absolut nichts sehe.
Ich glaube, ganz langsam kommen wir dahin. Ganz langsam lasse ich auch
ein paar Dinge zu.
In den vergangenen Jahren habe ich viel versucht allein zu lösen.
Einmal aus dem Grund, weil da keiner war, aber auch aus dem Grund, weil ich
Nähe nicht mehr zulassen konnte und nicht verstanden habe, dass man auch aus
anderen Gründen als aus dem der Leistung akzeptiert wird und mit meiner
Unnahbarkeit nur dem Druck entfliehen wollte.
Aber das ist eben auch nicht die Lösung. Denn der Mensch funktioniert
so nicht.
Die Therapiestunden werden zunehmend sehr anstrengend, holen viel hoch
und belasten ziemlich. Lerntechnisch ist es an diesen Tagen nahezu unmöglich
den Plan einzuhalten, was mich dann wieder stresst. Allerdings sollte ich das,
was ich noch raus holen kann aus diesen Terminen, noch mitnehmen. Das wäre auch
im Sinn der Selbstfürsorge wichtig.
Ich glaube – auch wenn ich das für mich selbst lange anders empfunden
habe – habe ich meiner Therapeutin sehr lange nicht so richtig „über den Weg
getraut“ und mir selbst nicht vertraut, dass das, was ich empfinde für mich
real ist. Erst eine Freundin, der es ähnlich geht, lässt mich langsam
akzeptieren, dass allein der Besuch der Uni kein Indikator dafür ist, dass
alles okay ist.
Es gab so viele Stunden, in denen ich eigentlich etwas sagen wollte,
aber nicht konnte. Oft habe ich mir mit Zetteln ausgeholfen, aber in der
letzten Zeit geht es auch ohne Zettel. Ich glaube auch hier hatte ich viel zu
viel Angst vor Ablehnung. Dass ich sie nerve mit meinen Themen, uns beide damit
belaste oder dergleichen oder sie mir einfach nicht glaubt. Wissen kann ich das
auch jetzt nicht, aber ich vertraue ihr da jetzt mehr.
Dennoch ist unsere Zeit sehr begrenzt. Es ist nicht nur so, dass ich
wohl bald wegen des PJs gehe, wenn alles nach Plan läuft, sondern auch sie wird
sich einer anderen Tätigkeit widmen und keine Zeit mehr für Patienten haben.
Sie hat es mir heute am Ende der Stunde gesagt und hinzugefügt, dass
sie aber bis zum Examen noch da ist. Aber schon, dass sie das hinzufügen muss
zeigt, dass es nicht mehr lange bis hin ist. Ob sie überhaupt noch da sein wird
bis ich gehe, weiß ich nicht.
Es macht mich gerade nicht so fertig, wie ich das erwartet hätte.
Vielleicht, weil mir ja ohnehin schon lange klar war, dass – wie immer es auch
weiter geht – wir nicht mehr zusammen arbeiten können, weil ich entweder weit
weg bin oder in der Klinik bin oder zwar hier bin, aber in ihrer Arbeitszeit
auch arbeite.
Aber so manches Mal wünsche ich mir doch, dass man die Zeit anhalten
könnte und wir miteinander vielleicht noch den begonnen Weg weiter gehen
könnten. Fehlen wird sie mir schon. Ich will nicht sagen, dass viele Dinge
anders gekommen wären, denn sie hat mir nicht meine Lebensentscheidungen
abgenommen. Aber es wäre viel weniger „Sicherheit und Zuverlässigkeit“ gewesen.
Und wie es weiter geht, das weiß ich noch nicht.
Sie hat mir heute auch klar gemacht, dass wenn man die Sache ambulant
führt, man sich auf ein paar Grundpfeiler einigen muss. Und wenn ich mir nicht
sicher bin, diese Grundpfeiler mit tragen zu können, dann zieht das nun mal die
Konsequenz Klinik nach sich.
Im Moment fühlt es sich tatsächlich sehr instabil an, aber ich weiß,
dass ich das Examen jetzt noch durchziehen muss. Diese 30 Tage mehr oder
weniger machen das jetzt auch nicht mehr – ich habe so viel Sinnlosigkeit
erlebt in den letzten Jahren.
Aber was ist danach? Wenn mir wirklich klar wird: „Hey – Du hast jetzt
noch einen Monat Zeit, um das irgendwie hinzubiegen…“ Ich hoffe so sehr, dass
ich nach dem Examen ein Licht finde.
So manches Mal habe ich das Gefühl, dass ich dann vor dem Dilemma stehen
werde, mit allen Konsequenzen ehrlich in der Ambulanz zu sein, oder das eben
nicht zu sein (und ja, das stresst mich auch, denn eigentlich bin ich eine
ehrliche Person) und dafür zumindest eine Chance zu haben.
Und eine ziemlich flotte Einweisung würde mich nicht nur selbst bis
aufs Maximalste stressen, sondern ich weiß dann ja auch, dass ich denen wieder
unnötig und ungeplant Arbeit gemacht habe.
Es ist schwierig. Erst mal kann ich mir jetzt bis nächste Woche überlegen,
wo ich meine etwas wie Halt zu finden. Es war nett gesagt in der Mail: Ein
bisschen Halt findet man in sich selbst. Das kann ich von mir gerade wirklich
nicht behaupten. Und ob ich fern der Heimat jemanden finde, der „der es
einem besonders zuverlässig gibt“ , das sei ja nun mal dahin gestellt.
Verlassen kann ich mich nicht drauf.
Und ich muss noch ein wenig weiter arbeiten heute. Noch 20 Seiten
Wiederholung und ein paar Fragen sollte ich schon noch kreuzen. Aber das musste
jetzt erstmal gesagt werden, damit mein Hirn wieder zur Ruhe kommt.
Und um den Eintrag – das soll ich eigentlich auch immer machen –
positiv enden zu lassen:
![]() |
Sie macht sich doch ganz gut 🌱🌺 |
Alles Liebe
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen