Tag 94 / 116 A little update and a few thoughts



Nachdem der Tag gestern objektiv betrachtet einigermaßen produktiv war, ist der heutige Tag das Gegenteil davon gewesen… Naja, ich habe immerhin 92 Seiten wiederholt und 100 Fragen gekreuzt. Aber was davon wirklich hängen geblieben ist…? Ich war alle fünf Minuten raus… Und das waren heute eigentlich echt wichtige Themen… - Anämien, Leukämien und Gerinnung. Kommt in quasi jedem Examen vor und gerade mit der Differenzierung der Leukämien tue ich mich immer etwas schwer… und dann auch noch für jede Leukämie das komplette Therapieschema eingeteilt nach Risikogruppen… Kopf --> Tischplatte. Da ist man nach der dritten Leukämieform aber mit dem Latein am Ende und wünscht sich, man hätte nie angefangen damit, weil man vorher gefühlt mehr wusste…
Und die Kreuzgeschichte läuft auch nicht so richtig… ich habe heute eine ganze Reihe komplett unnötiger Fehler eingebaut und meine Kreuzbilanz damit ziemlich runter gezogen… Vielleicht sollte man in so einer Verfassung nicht kreuzen. Aber das kann mir ja theoretisch auch im Examen passieren…

Meine Mitbewohnerin zieht aus. Noch vor dem Examen. Ich glaube in der Woche vor Ostern wollen die den Umzug machen… Zum Einen wird es dann hier tagelang laut sein, zum Anderen habe ich einen halben Monat lang weder einen Wasserkocher (viel Spass beim Warten, bis das Wasser dann mal im Topf kocht), keinen Staubsauger und keinen Wischmob. Besen und Kehrschaufel sind jetzt schon nicht mehr da… - was meine Mitbewohnerin aber auch nicht stört, weil sie gerade im Urlaub ist und ich ja hier alleine bin und sie es folglich nicht interessiert, ob hier gekehrt wird oder nicht. Wenigstens konnte ich noch durchwischen, aber es war kein Vergnügen, wenn man nicht vorher gefegt hat.
Leute ich kriege die Krise. Die Bude versifft doch total, bevor ich mich da mal darum kümmern kann. Als ob ich jetzt gerade noch Kapazitäten habe, mich hier einzurichten… - abgesehen davon muss man sich halt überlegen, ob das wirklich Sinn macht, wenn ich auch nur noch bis Mitte Mai hier bin. Denn je mehr ich jetzt anschaffe, desto mehr muss ich dann auch ein Mal quer durch Deutschland karren.
Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, ich könnte echt nur noch den Kopf vor die Wand schlagen… (aber das sollte ich lieber nicht tun, weil dann die kleinen grauen Zellen kaputt gehen, die ich mal noch für das Examen brauche…)
Vielleicht habe ich zu hohe Ansprüche, aber so habe ich mir das echt alles nicht vorgestellt. Sie muss halt erst am ersten Mai raus sein, deshalb habe ich damit gerechnet, dass das alles nach meinem Examen stattfindet. Da hätte man doch zumindest mal drüber sprechen können. Klar hängt das Problem am Ende an mir; ich kann sie ja schlecht darum bitten noch 14 Tage länger hier zu bleiben, aber ich hätte es halt gern gewusst gehabt. Und dass ich Mitte April Examen mache, weiß sie.

Unterdessen gibt es auch wieder ein paar Probleme in meinem Elternhaus. Meiner Mama geht es zurzeit ziemlich schlecht, deshalb musste meine Schwester sie zum Arzt bringen. Mit dem Ergebnis, dass der Arzt einen Vorschlag gemacht hat und meine Mama als Erstes mal beschlossen hat, den nicht umzusetzen.
Ich kriege von meiner Schwester jetzt ständig irgendwelche whatsApps – entweder mit subtilen Vorwürfen oder mit einer Aufzählung, was sie jetzt neben der Examensvorbereitung noch alles zu tun hat.
Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe angeboten, dass ich kommen und mithelfen kann. Dass das in meinem Zustand wohl das Letzte wäre, das mir gut tun würde, habe ich mal nicht dazu gesagt umd nicht den Eindruck zu erwecken: Ich frage der Höflichkeit halber mal nach, aber wehe Du sagst, dass ich gebraucht werde. Sie meinte dann, dass sie das schon irgendwie hinbekommen.
Dann muss man mich doch aber auch bitte nicht nerven. Mich macht das alles so wütend und hilflos. Natürlich habe ich Schuldgefühle, dass meine Schwester da jetzt alleine mit meiner Mutter beschäftigt ist – obwohl es lange noch nicht so schlimm war, als ich damals ausgezogen bin. Wobei der Auszug aber auch nicht mit der Krankheit in Verbindung stand, sondern ein Versuch war, sich aus dem komplett eingeengten Weltbild zu befreien, in dem es nur um Perfektion ging (was offensichtlich bei mir auch nicht so ganz zum Erfolg geführt hat…).
Und gleichzeitig frage ich mich, warum man nicht einfach mal auf die Leute hören kann, die Ahnung haben. Wenn es ihr mit ihrem Eigenregime gut ginge würde ich ja gar nichts sagen, aber das tut es ja offensichtlich nicht.

Und bezogen auf mich sind es  so viele Fragen…auf die die Antworten einfach fehlen. Mir zumindest.
Wie wichtig ist das, einen glatten Lebenslauf zu haben? Was wäre, wenn ich nach dem Examen alles auf unbestimmte Zeit auf Eis lege? Solange, bis ich nicht einfach nur existiere und funktioniere, sondern tatsächlich wieder ein bisschen am Leben hänge?

„Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Sie können zu jedem Zeitpunkt nochmal in die Klinik, Sie können nochmal bei wem anders eine Therapie anfangen und Sie müssen auch nicht sofort ins PJ gehen, wenn Sie erstmal Zeit für Sich brauchen…“ Und nach einer kurzen Pause: „Oder Sie versuchen es mit dem PJ, so wie Sie es geplant haben…“
Dass sie die letzte Möglichkeit nur zögernd hinterher geschoben hat spricht Bände oder…?
„Im Moment ist der Plan, PJ zu machen“, erwidere ich. „Ich weiß“, sagt sie. 

Das stand heute auf meinem Schokoladen - Tee. Fand ich irgendwie gerade echt passend...

Irgendwie… - es war immer nur so ein Gefühl – habe ich nie geglaubt, mal in einem weißen Kittel über die Flure zu rennen.
Irgendwie habe ich nie geglaubt, das Ende des Studiums zu erleben. Ich konnte es mir schlicht nicht vorstellen.
Und irgendwie habe ich immer geglaubt, dass ich den nächsten großen Umbruch nicht mehr überlebe. Es hat immer monatelang gedauert, bis ich wieder einigermaßen auf dem Posten war und dazwischen habe ich einfach nur irgendwie überlebt. In der Schule und in der Uni mag das funktioniert haben. Da konnte man sich schon mal im Hintergrund verstecken, nicht gesehen werden. So habe ich fast die ersten drei Semester verbracht.
Aber im Krankenhaus wird das wohl eher nicht funktionieren. Da wird Leistung von einem komplett überforderten Hirn verlangt.
Irgendwie habe ich in meiner Naivität nicht darüber nachgedacht, dass es doch wieder Situationen geben wird, in denen sich so viel ändert, dass mein mühevoll aufgestelltes Gleichgewicht mich nicht mehr hält. Ich wollte einfach gar nicht wissen, wann dieser Moment kommt. Wann mir klar wird, dass ich am Ende um jeden Tag und für etwas kämpfe, das am Ende gar nicht funktionieren kann.

Die Diskrepanz zwischen Verstand und Gefühl war noch nie so groß.
Der Verstand der weiß, dass auch wieder bessere Zeiten kommen. Dass auf jeden Schatten ein Licht folgt und auf jedes Tal ein Berg.
Aber das Gefühl, das glaubt nicht mehr daran. Das sieht keine Lichter, keine Berge, keine Silberstreifen irgendwo am Horizont.

Ich lehne an der Wand, schaue an ihr vorbei an die andere Wand.
„Ist das ein Wunder, dass fast jede Krise in die Suizidalität abrutscht?“, frage ich. „Ich sehe halt nichts, für das es sich lohnen würde. Und wenn die negativen Seiten die positiven Seiten überwiegen – da ist das doch jetzt echt nicht so weit her geholt…“
Dazu sagt sie auch nichts mehr. Außer, dass sie mich so nicht gehen lassen kann und ich für ein paar Sekunden Angst habe, doch einen Satz zu viel gesagt zu haben.

Ich bin an einem Punkt, an dem ich wirklich nicht mehr weiter weiß.
Mal von außen betrachtet ist es trotz aller Versuche über die Zeit immer weiter bergab gegangen.
Ich weiß langsam nicht mehr, wie ich diesen Druck noch aushalten soll, der jeden Tag ein bisschen mehr wird.
Und bis hier wieder Ruhe rein kommt – wenn alles nach Plan läuft – wird mal mindestens Juni sein. Und dann ist auch nicht gesagt, dass es nicht monatelang dauert, bis ich mich mit der neuen Situation angefreundet habe und der Druck ein bisschen weniger wird.
Was sind das denn für Aussichen? Keine schönen auf jeden Fall…

Aber da jetzt der falsche Zeitpunkt zum Verzagen ist, wird es morgen wohl hoffentlich ein wenig besser weiter gehen. Morgen am späten Nachmittag habe ich mich heute spontan mit einer Freundin verabredet. Ich muss hier unbedingt mal raus und mein Hirn mit anderen Dingen füttern. Zwar wüsste ich nicht, was ich gerade Sinnvolles zum Kaffeeklatsch beitragen kann, aber sie hat in letzter Zeit viel im Krankenhaus erlebt… - von ärztlicher Seite aus, nicht aus der Patientensicht. Vielleicht mag sie ein wenig berichten, dann komme ich auch mal wieder auf andere Gedanken.

Erst mal muss ich es bis Mittwoch irgendwie schaffen. Dann sehen wir weiter…

Alles Liebe
Mondkind

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