Tag 85 / 86 von 116 Querschnittsbereich I



Der Tag war einigermaßen erfolgreich heute...
Der Geruch von frischer Wäsche steigt mir in die Nase, wenn ich mein Zimmer betrete.
Eigentlich wollte ich erst morgen waschen, aber wieso sollte ich denn eher aufstehen, um pünktlich am Schreibtisch zu sitzen und die beste Lernzeit des Tages zum Wäsche aufhängen nutzen?
Da ja gerade Semesterferien sind, habe ich darauf spekuliert, dass zum Samstagabend wohl eine Waschmaschine frei sein wird…
Jetzt muss ich nur noch das Bett überziehen und dann kann ich mich nachher in die Federn kuscheln.

Von den Lerntagen sind jetzt wirklich nur noch die Randfächer übrig geblieben. Den Tag gestern und heute habe ich mit Medizinrecht, Umwelt- und Arbeitsmedizin verbracht und morgen kommen noch einige andere Querschnittsfächer dran.

Irgendwie hat es halt wirklich nicht besonders viel Sinn. Warum fragt des IMPP denn BK – Nummern ab? Wenn ich feststelle, dass mein Patient an einer Berufskrankheit leidet, kann ich das doch immer noch nachschlagen. Es kommt doch auch keiner auf die Idee, den ICD – 10 abzufragen. Hoffe ich zumindest mal…

BK - Nummern auswendig lernen... 😠

Ich bin ja mal gespannt, wie die Arbeits- und Umweltmedizinfragen dann im Examen wirklich aussehen werden. Wenn sie sich thematisch an den Fragen der letzten Examina orientieren, könnte ich ganz gute Chancen haben, aber sonst war und bin ich in Chemiefragen eine absolute Niete…

Dafür läuft das Kreuzen im Moment wirklich gut.
Ich bin bei Pädiatrie und jetzt macht es sich bezahlt, dass die Pädiater uns so gestresst haben im letzten Semester. Immerhin war  die Pädiatrieklausur eine von drei Klausuren im kompletten Studium, in der wir tatsächlich mal etwas schreiben mussten.
Das hat Viele auch an den Rand der Überforderung gebracht. Nicht wegen mangelnden Wissens, sondern weil man verlernt hat einzuschätzen, wie lange man dafür braucht.

Und etwas über das Coxsackie – Virus habe ich heute gelernt. Es wurde – da waren die Virologen sehr einfallsreich – nach der Stadt benannt, in der es erstmals isoliert werden konnte. Und das war eine Stadt in Amerika namens Coxsackie. Ich wollte eigentlich noch googlen, wo das liegt… 

Und heute in einem Monat... - da ist der erste Tag vorbei. Was werde ich wohl denken? Wie werden die Zeilen lauten, die ich an diesem Tag tippe?

***

„Weißt Du Mondkind – irgendwann wirst Du stehen bleiben, zurück blicken und Dich fragen, was Du eigentlich die ganze Zeit gemacht hast…“

Den Satz hat sie schon zu Schulzeiten irgendwann mal von einem Lehrer gehört.

Und irgendwie hat sie ihn beiseite geschoben.

Nein, das würde sie nicht.



Und jetzt bleibt sie doch stehen, blickt zurück.

Ihre Welt ist stehen geblieben. Vor mehr als 10 Jahren.

Die Tagebucheinträge sind größtenteils austauschbar mit denen vor einem Jahrzehnt. Selbst ihr Schreibstil war damals ungefähr derselbe und es gab eine Zeit, in der war sie ihren Mitschülern hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks ein wenig voraus – auch wenn dieser Vorsprung sich mit der Zeit schmälerte und heute wahrscheinlich nicht mehr wahrnehmbar ist.



In all der Zeit war das Ziel, immer weiter zu funktionieren, was mit jedem Jahr ein wenig schwieriger wurde. Ab und an wurde der Druck zu stark – dann hat Mondkind wieder irgendwelche unüberlegten Aktionen gebracht. Zu Hause ausziehen ohne zu wissen, wo sie wohnen wird. Einfach mal mitten im Semester in die Klinik gehen. Dinge, über die sie nicht mehr nachgedacht hat. Die sie einfach tun musste.



In all der Zeit wurde das Unterstützungssystem immer weiter ausgebaut. Was irgendwann mal mit einer Beratungsstelle angefangen hat, dann über Mails weiter lief, weil Mondkind da ja wegen „Unproduktivität“ nie persönlich hingehen konnte, ging irgendwann in einer zweiten Beratungsstelle weiter. Da war Mondkind schon etwas enger angebunden, aber gereicht hat es am Ende auch nicht. Irgendwann lief das dann über die Ambulanz weiter (die Nummer mit: wir schreiben nach der Psychiatrie – Vorlesung mal den Dozenten an, war auch eine der eher unüberlegten Aktionen), später kamen die Medikamente dazu und als das alles nicht mehr reichte, die Klinik.



Wieso kam Mondkind nie auf die Idee, dass das aufhören muss? Dass es nicht das Ziel sein kann, sie irgendwie über die Tage, über die Zeit, dieses Studium und durch die Jahre zu ziehen.

Was soll sie später mal erzählen, wie sie ihre Zeit verbracht hat? Damit sich von Punkt zu Punkt zu hangeln, in Pharma hinsichtlich Psychiatrie topfit zu sein und allen Ernstes in den Altfragen hundert 100% gekreuzt zu haben ? (Man muss ja zumindest wissen, was man da nimmt…)
Wo bleiben die Dinge, die sie erlebt hat in der Zeit? Wo bleibt der Sommer zwischen Schule und Studienanfang? Wo bleiben all die Sommer, in denen sie studiert hat, die Tage, die die anderen oft genug am See verbracht haben, die Sommernächte, die in der Altstadt verbracht wurden... Dinge, bei denen Mondkind, wenn man von einigen wenigen Veranstaltungen im letzten Sommer absieht, nie dabei war. Aber die gab es immer schon. Das gesamte Studium lang. 



Aber wie kann sie aus einem Trott ausbrechen, den sie trotzdem so gut es geht mitläuft und von dem sie nie gefragt wurde, ob sie ein Teil davon sein möchte? Wie kann sie ausbrechen aus einer Welt, in der sie längst stehen geblieben ist, während alle um sie herum weiter gegangen sind und sie selbst am Ende doch nicht steht, sondern eben mit dem Trott geht? Aus einer Welt, in der mit jedem Tag die Diskrepanz zwischen dem Diesseits und der Vergangenheit größer wird, weil das Stehen bleiben nur ein Gefühl ist, das von den anderen nicht wahrnehmbar ist?

Wie kann sie etwas anhalten, das von außen so normal wirkt? So, als hätte sie eben alles im Griff, als sei sie auf der Zielgeraden eines langen, anstrengenden Studiums um danach einen angesehenen Beruf zu ergreifen.

Wie kann sie eigentlich mit dem was sie hat, nicht glücklich sein? Wie kann es sein, dass trotz allem immer noch etwas fehlt?

Vielleicht ist es eine Sache, die zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört, lange bevor die Gesellschaft uns zu Zahnrädern in ihrem System gemacht hat.

Einfach nur ein wenig Geborgenheit. Sicherheit. Wärme. Stabilität.

Mondkind

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