Tag 95 / 116 Hallo Welt...
Ein komisches Gefühl. Ich bin unterwegs – das erste Mal seit wie
vielen Wochen? Nicht, um schnell einkaufen zu gehen, nicht um in die Ambulanz
zu fahren, nicht um flott noch ein paar Dokumente im Labor zu drucken, sondern
um mich mit einer Freundin zu treffen.
Es ist, als sei die Welt im Januar stehen geblieben. Wie kann jetzt
März sein? Wie kann die Welt sich weiter gedreht haben, während ich jeden Tag
zwischen dem Morgengrauen und der Abenddämmerung den Schreibtisch gehütet habe?
Ich komme mir vor, als sei ich gar nicht richtig da. Als sei ich der
Zeit hinterher.
Als würde ich mir selbst von außen zuschauen, als sei alles das, was
sich vor meinem Augen abspielt nicht real.
Als ich meinen Kaffee und noch einen Muffin dazu bestellt habe und mal
schnell zusammen rechnen will, wie viel das nun kostet, um schon mal das passende
Kleingeld zu suchen fällt mir auf, dass es gerade nicht geht. Wirklich; eine
simple Rechenaufgabe und ich komme nicht drauf. Ich weiß, das hört sich völlig
bescheuert an, aber da sieht man mal, wie durch ich im Moment bin.
Es tut gut, mal über andere Dinge zu reden. Zu hören, wie es meiner
Freundin im PJ geht, mal darüber zu sprechen, wie weit die Planungen für die
Feiern nach dem PJ sind. An dem Donnerstag, direkt wenn alles vorbei ist,
möchte sich unsere ganze Gruppe – auch die, die schon im PJ sind – nochmal treffen,
damit wir auch das Examen der „Nachzügler“ feiern können. Und direkt am Samstag
danach hat uns eine Kommilitonin – auch aus der Seminargruppe – zu sich
eingeladen, um die Einweihung ihres Hauses zu feiern.
Es wird also… - ein feierlastiges Wochenende.
Ehrlich gesagt bin ich ja nicht so der Feier – Typ. Aber ich habe
beschlossen über meinen Schatten zu springen und einfach mitzumachen. Zumindest
am Wochenende, wie es mir nach drei Tagen Examen so geht, muss man sehen.
Es lenkt wirklich ein wenig ab, holt mich ein wenig zurück in diese
Welt, dieses Leben – obwohl das Gefühl des Entrücktseins nicht komplett
verschwindet.
Ich brauche eine Pause; so hat es alles keinen Sinn mehr. Ich
überlege, mir den Mittwochnachmittag nach der Therapie frei zu nehmen. Da ist
Lernen ohnehin immer ein einziger Kraftakt, weil meine Gedanken woanders sind.
Auf dem Heimweg halte ich kurz auf der Brücke, über die ich immer auf
dem Weg nach Hause fahre. Schaue dem Wasser zu, wie es den Fluss unter mir
entlang fliegt. Und den Gänsen, die hier sitzen.
Ich glaube, das wird eine Erinnerung sein, die ich mit diesem
Lebensabschnitt in dem ich hier wohne, verbinde. Die Gänse hört man hier jeden
Tag.
Ich werde jetzt noch aus den hundert Fragen die ich heute gekreuzt
habe ein Dokument erstellen und dann werde ich schlafen gehen – heute hoffentlich
vor 23 Uhr. Das brauche ich jetzt einfach. Ein bisschen Ruhe, um die letzten
Lerntage noch zu schaffen.
Es fühlt sich gerade alles ein wenig ruhiger in mir an. Vielleicht
kann ein Zipfelchen Normalität in der Ausnahmesituation dieser immensen
Belastungen doch einiges relativieren.
Alles Liebe
Mondkind
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