Bastelstunde


Bastelstunde. Oder so ähnlich. Auf mehreren Ebenen.

Atmen. Aushalten. Einen Fuß vor den anderen setzen. Und hoffen. Zum Beispiel darauf, dass die Ankunft im Ort in der Ferne am Samstag zumindest für ein paar Tage, eine längst verflogene Euphorie hoch holt. Weil ich das doch alles so sehr wollte.

Der Tag war eher weniger glorreich.
Die Therapeutin wollte am Morgen um halb neun angerufen werden. Da war ich aber noch nicht zurechnungsfähig. Und später hatte sie erstmal bis zum Nachmittag keine Zeit mehr.

Erst kurz bevor ich los zur Klinik muss, um mein Rezept dort abzuholen, fällt die Entscheidung, dass ich fahre. Bis dahin fühle ich mich zu wackelig auf den Beinen. Unterwegs fahre ich noch kurz an der Bibliothek vorbei. Schaue mich im Spiegel an. Weiß wie die Wand. Ob das eine gute Idee ist, da hoch zu fahren?

Ich sage einer Mitpatientin Bescheid, dass ich komme, aber sehr müde bin. „Ich bringe Dir einen Kaffee mit“, schreibt sie mir.
„Oh Gott, siehst Du fertig aus“, sagt sie ein paar Minuten später und nimmt mich in den Arm. Und dann sitzen wir vor dem Klinikgebäude und trinken Kaffee. Und ich schweige mich über das „Warum“ des Fertigseins aus. 

Der Ärztin in der Ambulanz fällt das scheinbar weniger auf. Ich erwähne auch nicht, wie ich die Nacht verbracht habe. Ich habe mir elfeinhalb Wochen den Mund fusselig geredet und hätte ohnehin nichts Neues zu sagen. Fünf Minuten später stehe ich mit Rezept in der Hand wieder vor der Tür.
Entferne mich Schritt für Schritt von der Klinik in Richtung Bahn. Wenn ich dieses Gelände in den nächsten Jahren nochmal wieder sehe, ist etwas schief gegangen.

Zurück zu Hause, habe ich wenig später die Therapeutin in der Leitung.
„Was wollen Sie denn jetzt machen?“, fragt sie mich.
Gestern haben wir die Optionen durchgekaut. Ich muss jetzt nicht umziehen, ich muss jetzt nicht anfangen zu arbeiten. Aber das hätte mutmaßlich alles zur Folge, dass ich mir hinterher, in einem anderen Krankenhaus, einen neuen Job suchen muss. Und es hat ja Gründe, dass ich genau dort hin möchte. Wenn mir nur die Krankheit nicht dazwischen funken würde.
Alternativ bleibt nur Durchhalten übrig. Was mit dem Maß an Destruktivität und Verzweiflung gerade auch nicht der einfachste Weg ist. 
Therapeuten können da nicht mehr viel machen, wenn man ehrlich ist... - und ich bin etwas hilflos... 

Da mir so ein verpflichtender Anruf mit der Konsequenz von einer Menge Theater wenn ich es nicht mache, eine gewisse Sicherheit gibt, soll ich Frau Therapeutin morgen früh noch einmal anrufen. Also wieder mal eine Nacht gesichert.
Tag für Tag. Stück für Stück. Basteln wir den Weg. Weiter denke ich im Moment nicht.
Da Samstagmorgen mein Vater auf der Matte steht wegen des Umzugs, ist die Nacht eigentlich auch safe. Also überlebe ich das zumindest, bis ich umgezogen bin.
Ich habe mich selbst so noch nie erlebt. Ich weiß nicht, was hier los ist. Wie tief abwärts es bitte noch gehen soll. Die Therapeutin redet mittlerweile schon davon, dass die Entlassung wohl zu früh war. Aber irgendwann macht es eben auch die Krankenkasse nicht mehr mit - das sehe ich ein. Ich war ja schon lange dort.



Mal sehen, was morgen die Konsequenz des Anrufs ist. Irgendwie würde ich sie gern noch einmal kurz sehen, obwohl ich ja gestern erst da war. Aber wir werden uns einfach unfassbar lange – vielleicht nie mehr – sehen.

Später am Nachmittag kommt mein Vater. Holt die ersten Kisten ab. Möchte einen Kaffee haben und etwas zu essen. Und ich… - höre mir an, was alles noch zu tun ist. „Mondkind – hättest Du Dich mal um die Küche gekümmert…“
Ich kümmere mich gerade um mein Überleben. Versuche es zumindest. Reicht das nicht? Ist das nicht genug? Leben, obwohl sich jede Faser des Körpers wehrt, ist super anstrengend.
Und dann trage ich – immer noch mit Überhang von gestern Nacht – Kisten ins Auto. Die Beine können sich noch nicht ganz koordinieren, was die Kisten auf meinem Arm manchmal ins Wanken bringt. Anschließend machen wir Bastelstunde im Auto. Alles solange schieben und knetschen, bis es passt.

Mondkind

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