Psychiatrie #32 Stationsalltag
Frühmorgens.
Mondkind ist schon weit vor ihrem
Wecker wach. Nach dem letzten Durchgang des Nachtdienstes bleibt sie noch eine
Weile liegen, ehe sie sich hochrappelt. In der Dunkelheit die am Vorabend
schon akurat zurecht gelegten Kleidungsstücke nimmt und möglichst ohne die
Mitpatientin zu wecken, ins Badezimmer schleicht.
Wenig später sitzt sie in eine
Decke eingewickelt auf der Dachterasse. Ein Mitpatient und sie „streiten“ sich
immer um den ersten Platz in der Früh. Der Rest der Station schläft noch. Mit
einem Kopfnicken auf seinen überdimensional großen Kaffeepott motiviert er
Mondkind in die Küche zu gehen und sich einen ersten Kaffee zu machen. Da es
das Kaffeepulver aus dem Pflegezimmer erst um kurz vor sieben Uhr gibt, muss
man erfinderisch werden. Entweder nimmt man löslichen Kaffee oder man schüttet
einfach Wasser auf Kaffeepulver und wartet, bis es etwas abgestanden ist.
Mondkind entscheidet sich meist für die zweite Variante.
Und dann genießt sie diese Ruhe morgens
auf der Terrasse und einen halbwegs wachen Zustand. Für sie ist es die Zeit des
Tages, in der sie noch nicht so erschöpft ist, wie das meist schon nach der
Morgenrunde der Fall ist.
Nachdem der Weckdienst um kurz
vor sieben Uhr seine Runde gedreht hat, kommt Leben auf die Station. Die
Raucher versammeln sich draußen und Mondkind setzt sich quer über einen Stuhl
in die Runde, die Beine über der Lehne baumelnd, sodass der Rauch nicht direkt
in ihre Nase zieht.
Bis acht Uhr sind die wichtigsten
Neuigkeiten des Morgens ausgetauscht, die ersten Kannen Kaffee vernichtet und
die Bäuche sind gefüllt mit Brötchen oder Joghurt.
Nachdem jeder in der Morgenrunde
die aktuelle Stimmung und den Tagesplan von den Pflegekräften hat schriftlich
festhalten lassen, geht es in die ersten Therapien.
Für Mondkind steht an diesem
Morgen Ergotherapie auf dem Programm. Und da das Achtsamkeitstraining ausfällt,
hat sie bis zum Mittagessen Zeit, ihren Schlüssel- und Brotkorb fertig zu
flechten. Da der Rand des Brotkorbes so viel Zeit in Anspruch nimmt, muss sie
die Fertigstellung des Schlüsselkörbchens auf Montag vertagen.
Zwischendurch kommt noch ihr
Einzeltherapeut in die Ergotherapie gehüpft. Eigentlich wollte er sich mit den
Ergotherapeuten austauschen, aber da er Mondkind gerade sieht, kommt er nochmal
kurz auf sie zu. Mondkind unterrichtet ihn kurz über die neuesten familiären
Entwicklungen, die er beim letzten Termin noch gar nicht wissen konnte. Viel zu
sagen gibt es dazu nicht mehr. „Ich werde – wie ich das schon mal gesagt hatte –
die nächsten Monate in Ihrem Kopf sein. Und ich kann da auch laut sein“,
erklärt er.
Viel später wird Mondkind einfallen,
dass sie vergessen hat, ihm einen schönen Urlaub zu wünschen.
Neuer Brotkorb... |
Wieder zurück auf der Station
muss Mondkind noch einigen Menschen hinterher telefonieren, um einige
organisatorische Dinge zu klären. Denn wie das so ist, ergeben sich aus einem
Telefonat manchmal drei neue Anrufe. Aber dazu kommt Mondkind gar nicht so
richtig. Vorher wird sie nämlich von der Pflege eingesammelt. „Die Oberärztin
möchte Sie sprechen…“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass
es Ihnen aktuell sehr schlecht geht…“ Und dann erzählt Mondkind die ganzen
neuesten Entwicklungen nochmal der Oberärztin. In Verbindung mit einem Gespräch
das sie gestern mit der Pflege geführt hat, kommen sie zusammenfassend darauf,
dass es während der Therapie absolut nicht gelungen ist, die „inneren Kritiker“
auch nur in Frage zu stellen. Das was sie sagen, hält Mondkind immer noch für
die Messlatte und die „Wahrheit“, falls es etwas wie Wahrheit gibt. Durch die
aktuellen Entwicklungen distanziert Mondkind sich auch immer weiter von sich
selbst und der „distanzierte Beschützer“ wird immer größer. Im Moment kommt
keiner an sie ran und sie selbst an sich auch nicht.
„Wir haben Ihre Verzweiflung
wahrgenommen, aber Sie können aktuell nichts anfangen mit den Lösungen, die wir
Ihnen anbieten“, hat Mondkind gestern vernommen. Und das ist vermutlich der
Grund, warum sie sich hier unaufhörlich im Kreis drehen.
„Sie melden sich bei uns, wenn Sie
Suizidgedanken bekommen“, ermahnt Frau Oberärztin. Die sind ja eigentlich im
Moment non – stop ziemlich aktuell, wenn auch hinsichtlich des Zeitpunktes
etwas diffus. Aber das gibt Mondkind nicht als Antwort, sondern nickt das
erstmal nur ab. Solange, wie sie nicht das Klinikgelände verlässt mit dem
festen Vorhaben nicht mehr wieder zu kommen, sind das vielleicht auch keine Suizidgedanken
in der Form, wie die Oberärztin das meint. Mondkind muss sich hinsichtlich des
Themas halt bald mal überlegen, was sie gedenkt, hier noch preis zu geben. Und
ob sie – wenn der Zustand so kritisch ist – auch eine Entlassung aufs Spiel
setzen würde, die nächste Woche – wenn sie den Zeitplan einhalten möchte –
nämlich fast unvermeidlich ist.
Außerdem müsste sie endlich mal
die Überzeugung verlieren, dass das Team dieses Thema als eine Form von
emotionaler Erpressung auffasst. Vermutlich ist das auch vor dem familiären
Missbrauch des Themas zu erklären, aber losgekommen ist Mondkind davon noch
nicht.
Gut findet sie aber, dass man
mittlerweile offensichtlich verstanden hat, dass sie in ihrem aktuellen Zustand
nicht mehr auf die Leute zugehen kann und man deshalb auch mal
einen Schritt auf sie zugeht. Sie hofft, das bleibt so.
Später am Nachmittag steht noch
die Gruppenvisite auf dem Plan. Hier möchte Herr Stationsarzt einfach nur
wissen, was alle Patienten am Wochenende vor haben.
In den letzten Stunden des Tages
findet Mondkind dann neben der Erledigung von weiteren organisatorischen Dingen
und dem verpflichtenden Wochenausklang auch noch ein kleines bisschen Zeit für
sich. Zeit, um mal in Ruhe den Blog zu schreiben und dem geneigten Leser nicht
nur stichpunktartig in den Tag zu schmeißen. Und Zeit, um sich einfach mal kurz
aufs Bett zu legen und dem – von all dem Trubel sehr erschöpften Körper mal
eine Pause zu gönnen – findet sie auch.
Die Mitpatientin auf ihrem Zimmer
macht heute Nacht mal die Fliege – also hat Mondkind heute Nacht mal ein bisschen
Ruhe innerhalb den schützenden Mauern der Klinik. Ein bisschen Luxus für die
Seele. Mal so zwischendurch. Ehe sie morgen auch wieder in Richtung Studenten - WG muss.
Mondkind
Hey...
AntwortenLöschenBei mir ist im Moment ganz viel los (bzw. mach ich mich eher verrückt) und ich bin ganz erschöpft, aber es kommt noch ne Mail von mir (ich bin die mit der Mailadresse).
Wollte dir einfach sagen, dass ich dich lese.