Psychiatrie #20 Igelchen


Zweiter Blogpost an diesem Tag. (Ich habe übrigens mittlerweile die wlan – Bank gefunden…). Und keine neuen Fotos wegen fehlender Energie. Ich warne mal vor – es ist glaube ich ziemlich negativ. Also wer jetzt keine schlechte Stimmung verträgt, tut sich das besser nicht an. Aber ich muss irgendwo hin. Mit all dem Druck.

***

Das letzte Sonnenlicht des Tages trifft auf glasige Augen.
Es ist interessant, wie sehr sich die Klinikaufenthalte über kurz oder lang ähneln.

„Diesmal wirst Du von Anfang an ehrlich sein“, hast Du Dir gesagt. „Nicht erst eine Woche vorher, wo man nichts mehr machen kann…“ Du hast gehofft, dass neue Therapeuten vielleicht neue Ideen haben, wie sie Dich zurück in dieses Leben schubsen können.
Obwohl Du ja weißt, dass die Resultate, zu denen ein stationärer Aufenthalt führen kann begrenzt sind, hast Du wahrscheinlich zu viel Hoffnung hinein gesteckt. Viel zu viel. Ob es unbedingt zu verurteilen ist, wenn die Grashalme, an denen Du Dich noch festhalten könntest überschaubar sind, sei mal dahingestellt.

Herr Therapeut verliert die Geduld. Und auch wenn er sich hinterher entschuldigt, hinterlässt das einen eigenartigen Krater in der Seele. Einen Schmerz, von dem Du hättest wissen müssen, dass er eines Tages kommt. Auch, wenn Herr Therapeut zwischenzeitlich die emotionalen Löcher ein bisschen geflickt hat, für Erinnerungen und Bilder gesorgt hat, die bleiben, hätte Dir auch klar sein müssen, dass die Kater hinterher noch tiefer werden.
Du weißt es. Immer. Immer regiert die Angst im Hintergrund, wenn Menschen gut zu Dir sind. Manchmal kannst Du so viel Fürsorge kaum akzeptieren. Weil Du weißt, dass kein Mensch diesen Weg lange mitgehen wird. Über all die Jahre ist es zu viel Schmerz, zu viel Verlust geworden, den Du da hoffst, teilen zu können. Das kann keiner mittragen. Und vermutlich ist es auch unverantwortlich von Dir, das irgendwem anzutun. Therapeuten sind auch keine seelischen Mülleimer. Und dass Du seine Frage, was Du Dir von dem Gespräch erhofft hast nicht so richtig beantworten kannst, macht es nicht besser.

Der Versuch nach "Nachbeelterung" habe es ja nun nicht so gebracht, merkt Herr Therapeut zur Rechtfertigung an. Also müsse man es wohl mal anders versuchen. Mit einem anderen Ton. Macht vielleicht Sinn Herr Therapeut - kann ich nicht beurteilen. Damit wiederholt sich nur das, was Du schon viel zu gut kennst. Menschen verschwinden unangekündigt und plötzlich. Ob nun real oder emotional - auf jeden Fall ist das, auf das Du Dich gestern noch stützen konntest, heute nicht mehr da.

„Ich bin etwas ratlos“, erklärt Herr Therapeut irgendwann. So oder so ähnlich war der Wortlaut.
Das hatten wir doch schon mal. Beim letzten Klinikaufenthalt. Der Anfang eines Wendepunktes. Und so fühlt es sich auch diesmal an.
Die Suizidalität wird nicht im Gesamtzusammenhang gesehen, sondern als regelmäßig vor dem Wochenende auftretendes Phänomen. Da kannst Du Dich erklären, wie Du willst. Das war auch damals so. Wochenende, Vermeidung von Wohnungsbesichtigung, Entlassung. Es gab immer einen Grund. Da hilft auch kein Argumentieren, dass ich mir den Sommer auch anders gewünscht hätte, dass ich – wenn mir das je wieder Freude bereitet – vielleicht auch vor dem Jobstart mal in den Urlaub gefahren wäre.
Passivität – kommt auch immer gut. Dabei warst Du es, die unzählige Male umgezogen ist, manchmal quer durch Deutschland, immer auf der Suche nach dem Leben. Diejenige, die versucht hat Stützen zu finden, die sie am Leben halten. Diejenige, die trotzdem die Zukunft und die Notwendigkeit einer vernünftigen Ausbildung nicht aus den Augen verloren hat. Und jetzt einen Job hat. Und Du warst es auch, die in den letzten Wochen mal so eben nebenbei eine Wohnung und viel damit verbundenen organisatorischen Krempel bewältigt hat.

Vielleicht hast Du nicht so wahnsinnig klug gehandelt diesen Sommer. Wieder ein paar Menschen mehr in diese Lebensgeschichte hinein gezogen. Mit Deinem Schmerz belastet und damit hast Du auch ihnen Wunden zugefügt.
Offenheit ist vielleicht sogar schädlich, wenn man es nicht gescheit durchdenkt. Ein paar Dinge würdest Du vielleicht gern rückgängig machen – die Zeit dreht sich aber leider nur vorwärts.

Es ist okay. Irgendwann ist es auch einfach okay. Irgendwann darf man zum Igelchen werden. Was nützt das, ständig das Hasenherz zusammen zu fassen und zum Schwesternstützpunkt zu gehen, oder Herrn Therapeuten um Termine zu bitten und das Innere der Seele nach außen zu kehren? Dich kostet es unfassbar viel Kraft, das Personal kostet es viel Zeit. Man kann das doch entspannter angehen. Für alle Beteiligten.

„Du wirst aufhören zu fürchten, wenn Du aufhörst zu hoffen“. Du weißt gar nicht genau, welcher Mensch diesen Satz sagte. Irgendwann hast Du ihn mal auf einem Sprüchekalender Deiner Oma gefunden. Und irgendwie fandest Du ihn sehr ansprechend. Vielleicht ist das Dein Hauptproblem. Die Situation ist komplett aussichtslos, aber Du kannst ihn nicht loslassen. Irgendeinen letzten Grashalm. Dabei wäre das längst überfällig.

Morgen noch eine halbe Stunde Herrn Therapeuten. Ich kann mir heute Nacht ja mal überlegen, wie wir morgen die Wogen glätten. Heimlich und leise zum Igelchen werden.  Rückzug wäre klug, glaube ich.

Mondkind

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