Psychiatrie # 24 ACT - Perspektive


ACT. Acceptance und commitment – Therapie.
Eigentlich hatte ich mich auf die Stunde gefreut. Geplant war nämlich, dass es um Werte im eigenen Leben geht.
In der Realität kam ich aber völlig fertig von einem Gespräch mit dem „alten“ Oberarzt an und habe Herrn Therapeuten schon auf dem Flur angetroffen – noch ziemlich verheult, was unangenehm war. Und dann hat er auch den Plan über den Haufen geschmissen und wir haben etwas zum Thema „Beobachterperspektive“ gemacht. Das ist auch nicht uninteressant und ich mache es teilweise auf dem Blog hier auch – zumindest so halb. Wer schon länger mitliest weiß allerdings vermutlich, dass ich das Stundenthema schon hatte.

Aber weil es sich jetzt gerade quasi „doppelt“ anbietet: Blogeintrag im ACT – Modus.

Ich sehe Mondkind vor mir auf dem Stuhl sitzen. Immer noch mit Tränen in den Augen. Ein rarer Moment in den vergangenen Wochen. Was hat sie jetzt so aus dem Konzept gebracht?

Ich glaube, die Mondkind hat gerade eine Menge Angst.
Wovor hat Mondkind Angst?

Mondkind hat Angst Dinge zu verlieren, die ihr per Definition nie hätten wichtig werden sollen. Also… - zumindest nicht so wichtig. Für Mondkind ist es kein Geheimnis mehr, dass ihre Therapeutin sie irgendwie über die Zeit gezogen hat. Mondkind immer einen Ort bereitgestellt hat, an dem sie die Hoffnung ablegen kann. Denn Therapie soll ja Sinn machen. Und irgendwann soll sie gesund werden. Passiert ist das nie.
Und jetzt verliert Mondkind bald innerhalb von vier Tagen alles, das ihr Sicherheit gegeben hat. Die Klinik, die ihr für ein paar Wochen Schutz geboten und sie über den nächsten Sommer geschleift hat. Ihre Studienstadt als bekannten Lebensraum. Ihren sehr geschätzen Psychiater, mit dem sie nun mehr zu tun hat, als sie vor ein paar Wochen zu hoffen gewagt hatte und ihre ambulante Therapeutin, die die letzten vier Jahre ihres Weges begleitet hat. Vermutlich hat es in ihrem Leben nie einen Menschen gegeben, der sie konstanter und länger begleitet hat, als die ambulante Therapeutin. Und wahrscheinlich wird es nie wieder im Leben einen Menschen geben, der an den letzten Jahren näher dran ist. Sie hat es miterlebt. Alle anderen kennen die Ereignisse nur aus Mondkinds Erzählungen.
Und jetzt soll man so tun, als sei das nichts. Weil das ja von Beginn an klar war, dass das alles nur auf Zeit ist. Weil Abhängigkeiten in Therapien ein Tabu – Thema ist. Obwohl diese Abhängigkeiten ja nur entstehen, wenn man sonst absolut nichts mehr hat – was es nicht rechtfertigt, aber den Grad an Verzweiflung spiegelt.
Herr Therapeut erklärte letztens in einer Gruppentherapie, dass man die Patienten ja nicht alleine auf den Weg schicke. Man achte schon darauf, dass die Lücke, die ohne Therapie bleibt, schon während der Therapie vorsorglich gefüllt wird.
Mondkind fühlt sich nicht, als sei das passiert. 


Endlich habe ich sie mal fotografisch eingefangen. Sehr scheu die Dame...
Darf ich vorstellen: Unsere zweite Stationskatze "Atosil"

Mondkind  auch hat Angst vor sich selbst.
„Sie machen das schon im Ort in der Ferne…“ Mondkind fragt sich, wie sehr die Behandler daran glauben. Ihr „alter“ Psychiater hat ihr gestern erklärt, dass es für ihn nicht so klar war, dass Mondkind eines Tages mit der Approbation in der Tasche vor ihm sitzt, als sie sich damals kennen gelernt haben.
Wie lange und wie sehr kann man immer wieder eigene Grenzen missachten?
„Frau Mondkind, ich verstehe ja diese ganzen Konflikte. Ich verstehe aber nicht, wieso Sie sich dann Tabletten rein kloppen und das  Wochenende im Delirium verbringen.“
„Das verstehe ich auch nicht…“, entgegnete Mondkind dem Herrn Oberarzt.

Dieses Kind, das Herr Therapeut und das Team immer sehen möchten, ist nicht einfach nur ein „verletzes Kind“. Es ist ziemlich verzweifelt und weiß überhaupt nicht mehr, wie es seine Bedürfnisse gegenüber dem Rest, der eher die elterlichen und gesellschaftlichen Anforderungen im Sinn hat, durchsetzen soll.
Das ist wie mit einem Pferd, das Mondkind vor langer, langer Zeit mal geritten ist. Hat man ihm im Galopp die Zügel auch nur einen halben Zentimeter mehr frei gegeben, war es nicht mehr zu halten und ist so lange wie ein Irrer über den Platz gerannt, bis seine Beine müde wurden.
Erlaubt Mondkind Risse in dieser Fassade, die das „verletzte Kind“ schützen und umgekehrt das „verletzte Kind“ vor Mondkind, versucht das „verletzte Kind“ gar nicht mehr erst, Kompromisse zu schließen oder arugmentativ tätig zu werden. Das hat auch – so glaubt Mondkind – langsam keine Vorstellungen von einem gesunden Leben mehr, weil es daran nicht mehr glaubt. Das möchte nur, dass dieser Wahnsinn aufhört. Stundenweise oder für immer. Mit dem „für immer“ ist es sich noch nicht so sicher. Denn es weiß, wie groß diese Welt ist. Wie viel Mondkind noch sehen und erleben kann. Aber nicht mit dieser Konstellation im Hirn. Und eigentlich bräuchte dieses Kind – wenn man ihm mehr Aufmerksamkeit widmet – erstmal 24/7 Betreuung, damit es sicher genug ist, um nichts anzustellen. Das kann natürlich auch keiner leisten.

Mondkind glaubt, dass der Ort in der Ferne grundsätzlich die richtige Entscheidung ist. Aber eben nicht Jetzt. Und wenn sie sich nochmal in Erinnerung an die letzte Therapiestunde den blauen und den grünen Edding in Erinnerung ruft. Das ist eine schöne Theorie, dass Mondkind in ein paar Tagen – vermutlich noch versorgt mit einer „Trostbox“ des Therapeuten, die ihr einen Anker bieten soll, wenn er real nicht mehr da ist – alleine stehen und gehen kann. Aber das wird nicht funktionieren, glaubt Mondkind. So weit ist sie noch nicht. Lange noch nicht.

Mondkind

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