Psychiatrie #31 Endstrecke

Denn wenn es morgen schon zu Ende wär',
Ein Schritt zu viel im Stadtverkehr,
Dann leb ich vielleicht heute, nur 'n kleines bisschen mehr
Dann wiegt die Welt nicht ganz so schwer
Und jeder Atemzug ist so viel wert,
Dann leb ich vielleicht heute nur 'n kleines bisschen mehr
(Roger Cicero - Wenn es Morgen schon zu Ende wär...)


Musiktherapie. In aller Früh. Unsere Gruppe ist heute voll besetzt. Neun Leute. Nachdem es gestern schon anstrengend war, dauert die Runde über die aktuelle Befindlichkeit heute ewig. Ich habe gar nicht mehr viel zu sagen. Verzweifelt und hoffnungslos. Nicht, weil es alles die falsche Idee ist, in diesem Job im Ort in der Ferne zu arbeiten. Sondern, weil ich fast noch instabiler bin, als vor der Klinik.

Die Instrumente klingen. Musik kann viel bewegen. Bei einigen von uns immer noch. Eine Mitpatientin sitzt in sich zusammen gekauert und mit Taschentüchern versorgt auf dem Stuhl und schluchzt. Eine andere überkommen auch irgendwann die Tränen. Und ich… - mich hört man kaum. Ich bin in Gedanken. Ich verliere alles. Immer mehr. Auf meinem mp3 – Player suche ich mittlerweile ewig nach Songs, die noch irgendetwas in mir bewegen können. Es gibt kaum noch etwas.
Ich kann nicht damit leben, dass das hier aus verschiedenen Gründen kein Wendepunkt wird. Und weil ich nicht zulassen kann daran zu zerbrechen, kann ich es nicht mal irgendwie ausdrücken.

Jeder soll nach der Musik etwas dazu sagen. Ich überlege. Ob ich raus hauen soll, was ich denke? Ich beschließe es zu tun. Was kann ich verlieren? „Ich igle mich immer mehr ein, lasse immer weniger an mich ran. Das fühlt sich an, als sei ich auf der letzten Etappe meines Weges. Und irgendwie ist das seltsam friedlich.“
Eigentlich meine ich, dass ich das gruppenverträglich kommuniziert habe. Es gab schon Situationen, in denen ich deutlicher geworden bin. Herr Musiktherapeut sieht das scheinbar anders.

Eine Stunde später möchte ich gerade in die Gruppenpsychotherapie gehen, als ich von der Pflege aufgehalten werde. Der Stationsarzt aus der Tagesklinik, der unsere Stationsärztin gerade vertritt, möchte mich sprechen. Neurologe im letzten Facharztjahr. Naja… - wer sagt, dass er nicht doch irgendwann mal begreift, dass die Neuro nicht alles ist. Vielleicht hat der Musiktherapeut ihn ja etwas eingenordet. Ist doch gut, dass sich zumindest mal wer bemüht.

Gesprächssituation. „Also Frau Mondkind – da fangen weitaus größere Deppen auf der Neurologie an, als Sie. Machen Sie sich da nicht so einen Kopf – Sie werden das schon machen…“ „Ich glaube auch, dass ich die Neurologie hinbekomme und die im Gegenteil im Bestfall sogar ein Stabilitätsfaktor werden kann“, entgegne ich. „Die Probleme liegen woanders…“
Ich versuche kurz zu erklären, dass die Familiensituation nicht einfach ist. Ich langsam sehr hoffnungslos und verzweifelt bin, weil es einfach nicht besser wird, die Kraft schwindet und ich nicht ständig frohen Mutes von vorne anfangen kann, weil ich das seit so vielen Jahren tue. Weil ich immer höre „ab Punkt xy wird es besser“ und das nie der Fall ist.
Der Grundtenor bleibt derselbe. „Also wir haben doch jetzt alles geklärt. Den Jobstart zu verschieben, würde die Situation nur noch schwieriger machen – also fangen Sie da einfach mal an. Und mit der Psyche kann ja maximal passieren, dass es schlechter wird und dann ist das eben so. Jobs gibt es wie Sand am Meer, zur Not fangen Sie woanders an.“
Er hat genau nichts verstanden. Und ich habe keine Kraft mehr. Ich kann einfach nicht mehr.
Ich kann ein „Dann fangen Sie einfach mal an“, nicht mehr hören. Ich will einfach nicht mehr. Ich komme mir so unverstanden von ihm vor. Es hängt nicht alles an der Neuro. Die Neuro ist gar nicht das Problem. In gewissen Rahmen wird der Jobstart sicher schwierig, aber wenn ich von einer Sache weiß, dass ich die machen will, wenn ich stabiler bin und nicht non stop Suizidgedanken im Kopf habe und dadurch total schlapp bin, dann ist es die Neuro.

Später spreche ich doch nur kurz mit dem Herrn Chef – Psychologen, der eigentlich die Gruppentherapie leitet. Eine Mitpatientin (ich Hasenfuß, Ihr wisst…), hat ihm Bescheid gesagt, dass ich ihn noch mal sprechen möchte und ihn gleich mitgebracht. Was das bringen soll, weiß ich auch nicht. Aber ein Versuch ist es wert. Eigentlich hatte ich ihn heute selbst ansprechen wollen, wenn ich zur Gruppe hätte gehen dürfen. Es ist immer einfacher Leute anzusprechen, wenn man sie ohnehin vor der Nase hat und nicht im ganzen Haus suchen und sich durchfragen muss, oder gar anrufen muss.
Wir reden nochmal kurz. Er erklärt mir, dass der Ort in der Ferne eigentlich nichts als eine Illusion sein wird, in der ich mich noch viel mehr verstricke. Er meinte, ich kann dorthin gehen und wenn man von einem auf der Station glaubt, dass es klappt, dann sei das von mir. Aber Funktionieren könne nicht auf Dauer das Ziel sein. Er würde vorschlagen erstmal gesund zu werden und dann weiter zu machen. Nur, wie das gehen soll – darüber lässt er sich nicht ganz aus. „Sie könnten hier sicher noch ein bisschen bleiben, vielleicht Tagesklinik oder Ambulanz…“
„Vielleicht“ ist aber nicht sicher genug. Ich müsste schon erstmal sicher sein, wenn ich alle Zukunftspläne über den Haufen schmeiße und nichts mehr übrig bleibt.
Aber wenigstens scheint er mich zu verstehen und nimmt mich ernst. 

Seltenes Bild. Friedliches Essen ohne Streit...


Man mag sich fragen, was ich brauche. Leider weiß ich das selbst nicht. Ich glaube, ich würde eine Familie oder einen Familienersatz brauchen, der bedingungslos mitträgt. Der die Krankheit ernst nimmt und die Genesung an erste Stelle stellt. Weil ich das ja auch nicht mehr kann. Ich bräuchte jemanden, der mir helfen würde alles zu regeln, wenn ich jetzt nicht anfangen würde zu arbeiten. Was ist mit der Wohnung, den Versicherungen, dem Arbeitsvertrag? Die Stelle wird ja auch schon seit Anfang des Jahres für mich frei gehalten.
Aber ich weiß ja, dass ich mich um alles selbst kümmern darf. Es trägt keiner mit. Da ist keine Papa – Schulter, an die ich mich einfach mal anlehnen kann. Da ist niemand, der die Hoffnung trägt, wenn ich sie nicht mehr tragen kann. Da ist niemand, der wortlos das Ruder übernimmt, wenn ich mich nicht mehr kümmern kann.
Was ich brauche, gibt es nicht.

Ich frage mich allmählich, ob man mir überhaupt noch helfen kann. Oder, ob das unweigerlich die Endstrecke von vielen Jahren Irrweg ist. Weil ich den Weg nicht verlassen kann, nach allem was passiert ist und aber das Meer in das er führt noch nicht ausgetrocknet genug ist, um es durchqueren zu können. 
Vielleicht ist es deshalb so friedlich. Weil ich irgendwie ahne, wie es endet. Und weil es für mich irgendwann okay ist. Und, weil es nicht mehr weit ist. Ich kann es sehen. Das Meer. Und den Weg, da darin endet. 

Gleich kommt eine Freundin. Ich versuche mal, das zeitlich zu begrenzen. Ich brauche einfach nur Ruhe. Und davon ganz viel.

Mondkind

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