Psychiatrie # 16 Mondkind - Kind


„Distanzierter Beschützer“ nennt man denjenigen, der mir das Leben im Moment in der Therapie einigermaßen schwer macht, habe ich gelernt. Er ist derjenige, der mich die Emotionen so in den Hintergrund drängen lässt, der mir den Zugang zu mir selbst nimmt, der mich in den Therapien fest stecken lässt. Der nicht zulässt, dass ich da vollends auseinander falle.

Vielleicht hilft freies Schreiben, habe ich mir so gedacht. Einfach raus hauen und schauen was passiert. Genauso wie der Blog derzeit etwas explodiert, sind auch in meinem Kopf gefühlt eine Milliarde Gedanken.



Gestern Abend kam mir da noch so eine kleine Erkenntnis. Die Einzeltherapiestunde hat mich gestern wirklich genervt. Weil Herr Therapeut und ich nur aneinander vorbei geredet haben. Ab einem gewissen Grad von Negativität und Destruktivität in meinem Gehirn, halte ich mich immer für dezent therapieunfähig. Denn während Herr Therapeut versucht herauszukehren, wie ich mir mein Fundament in mir selbst unabhängig von anderen Leuten bauen kann, bin ich mir im Moment gar nicht sicher, ob ich das überhaupt versuchen möchte.
Derzeit läuft die destruktive Seite in mir sowieso ziemlich Amok, weil die gar keine Zukunft mehr planen möchte. Da möchte sie schon gar keine weiteren Gründe akzeptieren, die auch nur den Versuch einer Zukunft rechtfertigen. Akzeptiert wird nur, was ins Schema passt. Akzeptiert wird nur, was unterstützt, den Weg nicht mehr weiter gehen zu müssen.

Vielleicht ist die Ursache ein kleines, rebellierendes Kind. Ein Kind, das nie sein durfte. Ein Kind, das mittlerweile in panischer Angst lebt. Weil es weiß, was kommt. Weil es weiß, dass es nichts zu melden hat.
Ein Kind, das weiß, dass die Schwere wieder Einzug halten wird. Das abends so lange weint, bis es vor Müdigkeit einschläft. Das so sehr an sich selbst verzweifelt, dass es permanent auf der Suche nach Bezugspersonen ist, die nie nah genug sein können. Das zwar alles alleine hinbekommt und lösen kann, aber dem trotzdem immer etwas fehlt.

„Mondkind, Du bist doch erwachsen – Du bekommst es doch auch selbst hin…“, habe ich mir immer wieder gesagt. „Mondkind – Du brauchst doch keine Mama und keinen Papa mehr, die Dir sagen, dass Du etwas gut gemacht hast…“ Mit dem Satz hat sich derjenige, aus dessen Mund er kam, eine weinende Mondkind eingefangen, die lange nicht mehr zu beruhigen war.

Kinderzeiten sind vorbei. Was man auf den Weg bekommen hat muss reichen, um ein ganzes Leben davon zu unterhalten.

Das Mondkind – Kind ist auf der Suche. Seit Jahren. Nach einem Ort, an dem es sein darf. Aber die Mondkind – Erwachsene erlaubt kein Kindsein mehr. Wo kämen wir da hin? Wenn wir uns nach außen hin noch angreifbarer machen? Wenn wir nach außen so sehr auseinander fallen würden, wie wir es im Innen tun.
Und die Erwachsenen – Mondkind unterscheidet da auch nicht, wer gerade vor ihr sitzt. Ob die Eltern, der Chef oder Herr Therapeut. Und was man Herrn Therapeuten alles sagen darf, weiß die Mondkind, die kontrolliert, welche Worte den Mund verlassen, auch nicht.

Mondkind – Kind bräuchte ganz andere Rahmenbedingungen.
Mondkind – Kind dürfte kein festes Datum haben, bis zu dem Mondkind wieder zusammengesetzt sein muss. Auch, wenn das im Moment bei Ende August liegt. Denn am Ende ist das hier ein riesiger Betrieb und wie es Mondkind außerhalb der Klinik geht, wird niemanden interessieren. Das letzte Mal war es auch reichlich uninteressant, dass Mondkind desolater entlassen wurde, als sie aufgenommen wurde.
Mondkind – Kind dürfte auch kein festes Datum vor der Nase haben, zu dem der Arbeitsvertrag startet. Zu dem wir per Definition ein stabiler und vernünftiger Erwachsener sein müssen.
Mondkind – Kind müsste reden können auch – oder gerade wenn – es ihm schlecht geht. Es dürfte sich auf die Frage „Bauchen Sie noch etwas?“ nicht sagen hören: „Nein im Moment nicht“ und sich selbst auf eine Nachfrage „Und später?“ antworten hören, dass es dann auch nichts braucht, was immer seltsam wehtut.
Mondkind – Kind dürfte keine Angst haben, die Menschen zu überfordern. Es müssten den Mut haben, nach festen Kontaktzeiten zu fragen. Dass nicht eine völlig verängstige Mondkind auf das Personal zugehen muss, sondern dass das Kind gefragt wird, wie es ihm geht.
Mondkind – Kind dürfte keine Angst haben, dass wir – wenn es zu viel Durcheinander und Emotionen in meinem Kopf auslöst – auf die geschützte Station gesteckt werden und dort verwahrt werden, bis es wieder besser wird. Und es vermutlich auch keinen interessiert, wann wir wieder zurück auf die Station kommen und ob die das Bett überhaupt frei halten. Und wir uns währenddessen innerlich selbst zerfleischen, weil Kinder nichts zu melden haben und uns während unseres ganzen Lebens immer nur in Schwierigkeiten gebracht haben. Man hatte kein Kind zu sein. Nichts zu wollen, nichts zu brauchen. Funktionieren.
Mondkind – Kind müsste sich trauen das zu fragen, das eine Mitpatienten regelmäßig fragt: „Nehmen Sie mich einfach mal in den Arm?“ Vermutlich wird allein das unfassbar viel auslösen.

Mondkind – Kind müsste erstmal geschützt werden. Sein dürfen. Ohne Zeitfaktor. Die Welt müsste kurz stillen stehen.
Vielleicht würde Mondkind – Kind dann aufhören, sterben zu wollen.

Erstmal gilt es, das Wochenende zu überstehen. Irgendwie. Gestern ist es mir an keiner Stelle gelungen anzumerken, dass mir das zu viele Freiheiten für einen destruktiven Kopf sind. Vermutlich werde ich aus Selbstschutz nicht nach Hause fahren. Und einen groben Plan zur Ablenkung habe ich. Es stellt sich nur die Frage, wie lange die physische Kraft für dieses Ablenkungs – Programm noch reicht.  

Und dann haben wir hier noch etwas mehr als drei Wochen.
Es geht um viel, habe ich vor der Klinik mal irgendwo geschrieben. Und das ist auch so. Es geht darum, ob wir es irgendwie drehen können. Ob wir uns in drei Wochen für das Leben entscheiden, oder nicht.
Letzte Ausfahrt. In der Ferne gibt es keine Hilfen mehr. Keine Freiräume mehr, ohne das Risiko den einzigen Job zu verlieren, den ich mir derzeit vorstellen kann.

Darf ich Angst haben?

Mondkind

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