Spontane ambulante Therapiestunde



Sleeping in on Sunday morning, I am
Lying next to you
Darling, if we're falling sparks we'll fly and
Ignite the fuse
(Like dynamite)

Westlife – Dynamite

Wer mich ein bisschen kennt weiß, dass es bei mir in der Musik meist um die Texte geht. Allerdings nicht immer. Und das hier ist so ein Beispiel. Der Text ist super kitschig, aber die Melodie… - und wenn dann auch noch Mark anfängt zu singen. Das fühlt sich an, als würde die Musik mich einmal kurz umarmen. Und als würde diese Umarmung mich ein winziges Bisschen erden. Ein kleiner Riss in der Fassade – gerade so viel, dass es weh tut. Und gleichzeitig die Gewissheit, dass da etwas hält. 
Wäre die Klinik nicht so eine wlan - Wüste... 

Genug über die Musik sinniert.
Ich wache auf. Weit vor dem Wecker heute mal wieder. Und immer noch krank. Schlapp auf die Füße, mittlerweile hängt die Erkältung in den Nebenhöhlen und drückt auf die Zähne.

Ich springe schon früh hoch und versuche zu machen, was ich kann. Immer wieder brauche ich Pausen, aber dazwischen gebe ich Gas. Ich weiß übrigens auch nicht, wer zum letzten Mal diesen Tiefkühlschrank leer geräumt hat. Da sind Dinge drin, die waren schon da waren, als ich eingezogen bin. Aber da ich die Letzte bin, die hier die Lichter löscht, bin ich diejenige, die diese Relikte jetzt in den Müll befördert.

Ich komme der Pflicht nach, Frau Therapeutin anzurufen. Erkläre ihr, dass ich über Vieles nochmal reflektiert habe und hinsichtlich der Ergebnisse dieser Reflexion mit meinem Latein am Ende bin. Es gibt drei mögliche Wege.
Zum Einen kann ich den Plan mit Umzug und Jobbeginn jetzt versuchen irgendwie durchzuziehen und das ist auch das Wahrscheinlichste, das passieren wird. Aber da geht eben in mir ganz viel auf die Barrikaden, fühlt sich übergangen, nicht gehört. An sich ist das ein guter Plan – keine Frage. Nur eben nicht, wenn ich psychisch total am Ende bin.
Die zweite Möglichkeit ist die Situation zu akzeptieren, mehr auf mich zu hören und erstmal gesund zu werden – auch wenn eine mögliche Konsequenz ist, sich irgendwo einen anderen Job zu suchen. Das kann ich aber nicht akzeptieren, wenn meine Schwester dann dort anfängt zu arbeiten.
Oder – als dritter Weg – bleibt der Suizid. Sicher nicht die wünschenswerteste Lösung, aber da ich den einen Weg nicht gehen kann und den anderen nicht gehen will…
Jedenfalls erklärt das, warum es im Moment einige Menschen gibt, die mir helfen und in den letzten Wochen helfen wollten und ich da einfach nicht drauf eingehen konnte. Denn im Prinzip suche ich nur noch Menschen, die mir Möglichkeit drei als guten Weg absegnen. Es ist selbstredend, dass das keiner machen wird.

Frau Therapeutin findet die Ausführungen etwas besorgniserregend und schlägt vor, dass ich nochmal vorbei komme. Einerseits frage ich mich, wie ich dann die ganze Packerei noch schaffen soll, andererseits bin ich ihr aber auch sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gibt, das nochmal zu besprechen. Ich ziehe mich an und düse los. Eine der letzten (oder die Letzte?) Tour mit meinem Fahrrad… 

So grün sieht es nichtmal aus dem Fenster meiner Wohnung mitten auf dem Land aus... 🌳🍃


Tagesklinik. Wieder mal ein anderer Raum.
„Um nochmal auf das Telefongespräch zurück zu kommen: Wenn das jetzt für Sie beschlossene Sache ist und Sie das jetzt akzeptiert haben, dass Sie sich umbringen, dann lasse ich Sie nicht umziehen… Dann fahren Sie jetzt hoch in die Klinik.“
Ich hoffe inständig, dass sie mich nicht mit dem Plan, mich nicht mehr gehen zu lassen, hat antanzen lassen.
Ich erkläre, dass das jetzt alles vermutlich nicht die beste Idee meines Lebens war, mit der aktuellen Geschwindigkeit weiter zu machen, aber dass mein Vater ziemlich ausrasten würde, wenn ich den Umzug jetzt nicht machen würde und es die Option so gesehen nicht gibt. Das sei aber besser, als zu sterben, höre ich.

Ich glaube, ich war selten so offen, direkt und ehrlich mit der Therapeutin. Da hat sich schon viel getan in den letzten Wochen. Wir wenden ein bisschen Schematherapie an. Reden über die „inneren Kinder“. „Haben Sie mal über das „wütende Kind“ geredet?“, fragt Frau Therapeutin. „Ja, haben wir“, entgegne ich. „Ich habe auch mal irgendwann vorgeschlagen, die Suizidalität als einen Ausdruck eines wütenden Kindes zu sehen. Das hat alles versucht, um irgendwie gehört und gesehen zu werden, aber das wird einfach nicht gesehen und grundsätzlich immer übergangen. Und ich glaube, es weiß sich gerade nicht mehr anders zu helfen, als auf solche drastischen Mittel zurück zu greifen. In der Klinik hieß es allerdings immer, die Suizidalität sei ein Bewältigungsmechanismus. Ich weiß nicht, ob sich das ausschließt…“ Die Therapeutin befindet meine Theorie gut. „Und jetzt ist ihr „wütendes Kind“ bockig und sagt, dass es sich dann eben umbringt, wenn es nicht gesehen wird…“ „Das klingt echt gemein, wenn Sie das so sagen“, entgegne ich. „Ich weiß…“, sagt sie. „Das sollte das jetzt auch nur verdeutlichen, ich möchte Ihnen nichts unterstellen.“
„Wie können Sie dem Kind denn helfen?“, fragt Frau Therapeutin. Und als ich eine Weile schweige: „Können Sie dem vielleicht klar machen, dass das ein paar Dinge falsch verstanden hat?“, fragt sie. „Nein bloß nicht“, entgegne ich. „Das hört es seit Jahren, dann tickt es völlig aus…“
An der Stelle bin ich wirklich ratlos. Einfach den Plan durchziehen – damit fühlt es sich übergangen. Erst gesund werden, kann ich mir nicht erlauben.

Im Lauf der Stunde finden wir trotzdem kurzfristige Lösungen. Ich verspreche Frau Therapeutin am Wochenende umzuziehen und mich bis nach dem Umzug nicht umzubringen. Das beinhaltet das Wochenende. Meine Hand in ihre zu legen, ist immer nochmal eine andere Dimension eines Versprechens. Aber zwei Tage sind absehbar, das werde ich schaffen.
Und dann sehen wir weiter. Theoretisch besteht ja auch die Chance, nochmal hoch zu kommen und sich kurzfristig in der Klinik aufnehmen zu lassen, erklärt Frau Therapeutin. Ob das für ein paar Tage was bringt, das sei mal dahin gestellt, aber vielleicht kann das zumindest ganz akut die Krise abfedern. Ich soll ihr auf jeden Fall nächste Woche schreiben.
Und dann ist der Vertrag für Mitte Oktober auch immer noch nicht unterschrieben. Nächste Woche plane ich meinen Oberarzt zu besuchen – wenn es gar nicht geht, könnte ich mit ihm auch nochmal reden, ob er eine Idee hat, wie man da etwas auffangen kann, oder ob es eine gute Idee wäre mit dem anderen Oberarzt nochmal über den Vertrag zu reden. Dann könnte ich im Notfall immer noch Zeit bis Anfang Oktober raus schlagen, nochmal in die Klinik gehen und in der Zeit versuchen alle „inneren Kiddies“ soweit zu Kompromissen zu bewegen, dass keiner mehr sich umbringen möchte.
(Dazu bräuchte man allerdings wieder einen geeigneten Therapeuten, der diese extrem belastenden Situationen und Zustände mit aushält, von daher würde ich jetzt tatsächlich nicht unbedingt wert auf einen stationären Aufenthalt legen, aber meine Therapeutin arbeitet eben leider nur im ambulanten Bereich…)

Das wütende Kind lässt sich im Lauf der Stunde beruhigen, weil es eben wohl gehört wird. Es ist gerade (noch) nicht alles so absolut und aussichtslos, wie es zuvor noch schien. Noch gibt es zumindest Ideen.
Im Lauf der Stunde druckt Frau Therapeutin ein paar Dokumente zum Thema Krisenmanagement aus, die ich heute noch ausfüllen muss.

Gleich wollte noch eine Freundin kommen und eigentlich wollte ich bis dahin fertig sein mit Aufräumen und Putzen. Naja… Aber dafür geht es mir jetzt wesentlich besser. Ich bin meiner ambulanten Therapeutin einfach unglaublich dankbar, dass sie sich da so rein hängt. Über zweieinhalb Stunden haben wir diese Woche zusammen gesessen. Und dass sie es gerade irgendwie schafft, mich zu retten.
Mit ihr… - das wird ein Abschied auf Raten werden, in den nächsten Wochen. Bis jetzt fühle ich dabei immer noch nicht sonderlich viel. Ändern wird sich das wohl noch.

Mondkind

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