Psychiatrie #21 Übernachtung im emotionalen Chaos



Bibliothek.
Weiter hat Mondkind es nicht geschafft. Zum Einen schaut sie aus wie ein begossener Pudel,  weil es so schüttet, zum Anderen ist der Druck im Kopf so groß, dass sie jetzt erstmal schreiben muss.
Und danach geht es weiter in Richtung Studentenwohnheim.

So emotional aufgewühlt wie aktuell, war Mondkind seit dem Tag der Einweisung nicht mehr. Und nein – klug ist das nicht, in dem Zustand eine Nacht zu Hause zu verbringen. Aber der Reihe nach…

Mondkind hatte eine Nacht Zeit, um darüber zu reflektieren, was da eigentlich gestern in der Therapie passiert ist.
Und so langsam versteht sie es.
Vermutlich hat Herr Therapeut da auch eine ganze Menge unbewusst durcheinander geschmissen.

Die Kombi ist wahrscheinlich einfach blöd. Vorgestern Abend hatte Mondkind mit der Pflegerin noch ein Gespräch über ambivalente Botschaften und im Prinzip hat der Termin mit dem Psychologen gestern hundert prozentig in diese Kerbe geschlagen.

Mondkind hat diesen Zettel noch, den Herr Therapeut damals in der ersten Stunde, die sie gemeinsam hatten, geschrieben hat.
Irgendwie hat er es Mondkind einfach gemacht, ihm zu vertrauen. Er hat so eine sympathische und echte Art, er kam irgendwie fürsorglich rüber. Als würde er das ernst meinen, was er da sagt. Mondkind hatte nie Jemanden, der sich von Beginn an so viel Mühe gegeben hat; so sehr versucht hat, dass sie ihm vertraut. Mondkind hatte nie Jemanden, der dieses Bild von dem verletzten Kind vor der Heizung so ernst genommen hat, wie er.

Und dann kamen da die Vorwürfe und die Zwischentöne, die Mondkind in der Heftigkeit nicht erwartet hatte. Und vermutlich wusste Herr Psychologe auch nicht, dass es das Spiel ist, das zu Hause immer gespielt wird. Dass Mondkind über die Jahre gelernt hat, auf die Schärfe in der Stimme und auf die Betonung der Worte zu achten und einige wichtige Gespräche immer und immer wieder durchanalysiert.
Und gestern sprangen bei Mondkind dann sämtliche Alarmglocken an. Und statt sich gegen die Vorwürfe zu wehren, rollt Mondkind sich dann in der Regel zusammen.

„Du wolltest doch nicht mehr so viel vertrauen; vorsichtiger mit Deiner Verletzbarkeit umgehen…“, hat Mondkind sich mal gesagt. „Du weißt doch, wie das immer endet…“
Aber wenn man niemanden hat und dringend jemanden braucht und der Therapeut sich so viel Mühe gibt… - bis Mondkind aus dieser Klinik raus bin, ist das wahrscheinlich die empfindlichste und von ihr am meisten durchanalysierte Beziehung.

Herr Therapeut hat sich heute bedankt, dass Mondkind ihm das trotz der ganzen jetzt vorherrschenden Zweifel erzählt hat und das nicht seine Intention gewesen sei. Er wolle ihr immer noch helfen, wolle immer noch, dass es ihr besser geht und könne Mondkinds Reaktion vor dem biographischen Hintergrund auch nachvollziehen.
Er hatte aber wahrscheinlich auch schon gemerkt, dass das vielleicht gestern etwas viel war. „Ich weiß, wir haben heute die kurze Sitzung, aber wollen Sie einen Tee?“, fragte er zu Beginn… was Mondkind jetzt  ein bisschen verwirrt hat.

Also bemühen sich jetzt beide Seiten, da wieder eine Ebene des Vertrauens zu schaffen. Aber das wird dauern. Außerterminlich nerven wird Mondkind ihn nicht mehr. Es gibt Fehler, die macht man nur ein Mal. Und heute war sie trotzdem vorsichtig. Hat seine Kritik ernst genommen, noch nie so wirklich über die Familie in der Therapie geredet zu haben (weil sie das in der Ambulanz und beim letzten Aufenthalt auch tot geredet hat) und heute mal darüber sinniert. Die meisten Dinge bei denen er noch schluckt, sind für Mondkind heute normal. 

Erstmal irgendwie den Druck etwas reduzieren...


Die letzten beiden Tage haben allerdings viel mehr ins Rollen gebracht. Sie haben die Frage in den Vordergrund gerückt, wie nah Mondkind eigentlich Menschen an sich heran lassen will und sollte. Sie haben das ganze Familien – Ding wieder etwas mehr in den Mittelpunkt gerückt, das zwar schon gefühlt 700 Mal besprochen wurde, aber immer noch weh tut, weil es Mondkind irgendwann mal das zu Hause weg genommen hat, das sie bisher auch nicht wieder gefunden hat. Und es zeigt auch, wie verletzbar Mondkind ist. Dass nicht viel nötig ist, um sie komplett aus der Bahn zu werfen, was einfach die Frage aufwirft, wie das im Ort in der Ferne funktionieren soll. Dort einen Therapeuten zu finden ist jedenfalls erstmal ziemlich aussichtslos, nachdem das Durchtelefonieren der ortsansässigen Therapeuten nichts genutzt hat und die Terminservice – Stelle nur Psychologen hatte, zu denen Mondkind mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfach nicht hinkommt.

Mondkind weiß nicht, ob sie dem Therapeuten jetzt erklären kann, dass sie kurz davor ist, auseinander zu brechen. Nachdem sie weiß, dass er das Thema Suizidalität nicht mehr hören kann, der Meinung ist, dass sie sich nur noch im Kreis drehen und ihre aktuelle Verfassung vermutlich ohnehin auf die Wochenend – Panik zurück führen wird. Allerdings wäre es Mondkind sicher auch an einem Dienstag so ergangen, wenn Herr Therapeut da an einem Montag so viel angetriggert hätte.
Mondkind beschließt es zu lassen. Kein Fass aufmachen, wenn sich die Wogen gerade etwas geglättet haben.

Auf der Station brechen die Dämme dann aber doch. Das erste Mal seit der Aufnahme sitzt Mondkind auf dem Bett und weint über eine Stunde. Eigentlich ist das gut – wenn man nur Mondkinds Gründe sehen würde.

Eigentlich hatte Mondkind sich gefreut, sich heute Abend mit ein paar Kommilitonen zu treffen. Aber mit so viel emotionalen Chaos im Kopf, das einfach erstmal nur sortiert werden möchte, geht das nicht. Sie würde ohnehin nur teilnahmslos daneben sitzen, während sich alles immer schneller dreht.
Und ehrlich gesagt weiß Mondkind auch nicht, ob das so klug ist, in dem Zustand die erste Nacht seit über acht Wochen zu Hause zu verbringen.

Drei Stunden später nimmt Mondkind ihren Mut zusammen und geht zum Pflegezimmer. Sie möchte erklären, dass sie nach den letzten Tagen emotional so aufgewühlt ist, dass sie jetzt einfach nicht fahren kann. Aber die Schwestern verstehen das nicht. Mondkind wird wortkarg, wenn es ihr sehr schlecht geht und so liegt es sicher auch an Mondkind, dass die Pflegerin Mondkinds Zustand auf das anstehende Wochenende zurück führt. Und ihr deutlich macht, dass sie genau deshalb unbedingt fahren muss. Mondkind ist zu schwach und zu müde zum Diskutieren.
Und natürlich kommen auch von dort Vorwürfe. Sie sei zu passiv gewesen. Habe ja nicht die „pro- und contra – Listen“ und „to do – Listen“ geschrieben, die man ihr vorgeschlagen habe. Und nicht die nötigen Telefonate erledigt. Dabei hat Mondkind das doch alles gemacht. Nur keine Notwendigkeit darin gesehen, jedes Mal zum Schwesternzimmer zu dackeln und rückzumelden, dass sie die „Hausaufgaben“ gemacht hat. Es reicht doch, wenn sie die Listen hat und nun abarbeiten kann. Es war doch ein guter Tipp, aber warum soll sie denn dann wieder zum Schwesternzimmer, wenn es ihr ohnehin alles so schwer fällt? Da kann man doch wertvolle Energie sparen.

Auseinander fallen geht aber nicht. Das geht nie. Auch wenn man ihr wochenlang gepredigt hat, dass das der Ort ist, an dem es passieren darf und soll, geht es nicht, wenn es nicht ins zeitliche Konzept passt. Und das tut es gerade nicht.
Die Klinik ist nicht so sicher, wie man meint, wenn Mondkind wirklich in der Not ist. Dann braucht sie jemanden, der aktiv auf sie zugeht.
Aber es fragt keiner, wie es Mondkind mit den Ereignissen der vergangenen Tage geht. Es fragt keiner, ob Mondkind in der Situation die Suizidgedanken im Griff hat, obwohl das vor der ersten Übernachtung doch vielleicht mal eine Frage wert wäre.

Und jetzt sitzt Mondkind hier. Wartet, dass der Regen weniger wird - vermutlich vergeblich.
Etwas zu essen hätte sie auf dem Weg noch mitbringen können. Aber das hätte einen zusätzlichen Stopp im Supermarkt impliziert, für den der Druck in Mondkinds Kopf zu hoch war.
Und zwischen Uni und zu Hause ist kein Supermarkt mehr. Aber ein bisschen Müsli ist bestimmt noch da.

Mondkind

P.S. Ob ich mit dem Job wirklich Mitte September anfangen kann, wird sich nun doch erst Ende August klären, weil der Oberarzt bis dahin im Urlaub ist... super... 

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