Psychiatrie #27 Kisten und Erinnerungen
8 Monate.
Und schon wieder sitze ich
zwischen Umzugskartons.
Alles normal, sagen die Menschen.
Nichts ist normal. Absolut gar
nichts.
Tränen, die in der Klinik nie
fließen. Emotionen, denen die kontrollierte Mondkind in der Klinik nie freien
Lauf lassen kann.
Ich kann das nicht. Nicht schon
wieder. Das Außen umtauschen.
Tagebuch einpacken.
Lose Zettel. Einmal quer
blättern. Und erstarren.
Dienstag, 5. Mai 2009
„So ganz langsam neigt sich ein Tag dem Ende zu – ein Tag,
der nicht besser war, als die voran gegangenen 6 Monate […]
Ich will einfach nur wieder nach Hause…
Nicht mehr jeden Tag kämpfen, sich aufraffen, tun, als ob
nichts wäre.
Ich will, dass Dad mich zu meinem Geburtstag in den Arm
nehmen kann, dass ich bei ihm sein darf.
Ich will mal wieder richtig glücklich sein können, freie
Zeit genießen können.
Aber im Moment geht das alles nicht.
Dad sagt, wir seien fleißig. Mum hat mir vorhin gesagt,
ich sei faul, nur weil ich mir einfach mal 5 Minuten Zeit nach dem Abendessen
nehmen wollte, damit sich mein Kopf 5 Minuten ausruhen kann. Es fällt mir doch
schon schwer genug, mal ein paar Minuten nichts zu tun – warum muss sie dann
gleich schimpfen? Vielleicht standen mir die 5 Minuten auch einfach wirklich
nicht zu.
Mittlerweile ist es 10 nach 12. In 5 ½ Stunden heißt es
wieder Aufstehen und dann geht der ganze Mist von vorn los. Warum tue ich mir
das an?
Mittwoch, 27. Mai 2009
[…] Und dann kam wieder: „Na so schaffst Du es ja eh nicht
durch die Oberstufe…“
Sehr motivierend, besonders, wenn man eh schon
Selbstzweifel hat.
Ich kann nicht mehr.
Und ich könnte es so leicht beenden.
Im Tablettenschrank steht meiner Meinung nach genug rum,
Brücken gibt es auch genug. Wenn man da steht, vielleicht in der Sonne, der
Wind wirbelt einem die Haare ins Gesicht, man ist allein… und weiß, man muss
nie wieder zurück. Nie wieder zwischen den Fronten stehen, sich nie wieder als
Versager fühlen, oder einer sein, nie wieder das Gefühl der Leere, Trauer und
Verzweiflung aushalten, nie wieder in der Zeit, in der das Leben noch
unbeschwerter war schwelgen müssen.
Einfach nochmal ein paar Minuten leben. Und dann gehen.
Schon der Gedanke daran fühlt sich befreiend an. Diesen Käfig hier einfach
verlassen.
Mindestens zehn Jahre Wahnsinn.
Wundert irgendwen noch
irgendetwas?
Hatten wir ja lange nicht... |
Ich hatte gestern ein langes
Gespräch mit der Pflege und der Ärztin, in dem ich klar gestellt habe, warum
ich mich derzeit auf der Station schlecht aufgehoben und nicht ernst genommen
fühle. Quintessenz ist, dass ich mit dem Konzept wohl einfach nicht zurechtkomme.
Ich habe mein ganzes Leben gelernt, dass man nichts zu wollen und nichts
einzufordern hat und hier erwartet man genau das. Und gerade wenn es mir
schlecht geht, dann kann ich das nicht. Dann brauche ich jemanden, der mir die
Hand reicht, auf mich zukommt, mir von selbst ein bisschen was abnimmt und mir
versichert, nicht „zu viel“ zu sein. Natürlich ist das nicht die Situation des „echten
Lebens“, aber ist die Klinik „echtes Leben“?
Vorhin habe ich mit dem
Seelsorger aus dem Ort in der Ferne telefoniert, der mir geraten hat, dem
Gefühl das ich hier spüre ein bisschen nachzugehen, es festzuhalten und mit in
die Klinik zu tragen und die nächste Woche nochmal bewusst daran zu arbeiten,
die Mauern einzureißen. Auch, wenn es schwer ist. Ich muss mir bewusst machen,
dass ich im Endeffekt nicht weiter, als bis zu einem gewissen Punkt fallen kann.
Auch, wenn es unangenehm ist, weil alle das blöd finden.
„Sie sind in allen Gesprächen
wahnsinnig kontrolliert, sie können sich so gut sprachlich ausdrücken und man
spürt die Gefühle in den Worten. Nur Sie spüren die nicht“, erklärt er mir. Und
deshalb erwartet auch keiner, dass ich zusammen klappe. Und wenn es doch so
wird, dann ist es immer ein Stück weit unverständlich. Denn die Mondkind kann
ja eine Menge. Bekommt alles irgendwie hin mit ihrer kontrollierten Art. So
sehr sich ihr Inneres auch dagegen sträubt.
Aber die Mondkind kann nicht
mehr.
Nachdem sie selbst in der Klinik
nicht aufgehört hat, zu rotieren.
„Gibt es nicht auch irgendetwas,
das Sie tun müssen“, wurde Mondkind gestern in der Morgenrunde gefragt, nachdem
sie gesagt hat, dass ihr Tagesziel die Fertigstellung eines Geschenks für eine
Freundin ist, was auch aufwändig war.
„Nein, ich war gestern schon den
halben Tag bei der Versicherung, ich muss heute mal nicht so viel tun“,
entgegnete Mondkind – nicht ohne augenblicklich ein schlechtes Gewissen zu
haben, weil sie nicht produktiv genug ist. Zu tun gibt es immer. Und von einer
Mondkind erwartet man das offenbar auch.
Wieso schlägt sich das Team nicht
auf die Mondkind – Kind – Seite? Wieso sagt keiner: „Mondkind, lass es raus –
und egal wie destruktiv das ist: Wir sind Dir nicht böse und wir fangen Dich
auf.“ Wieso kann man Mondkind nicht die Sicherheiten geben, die sie braucht?
Auch wenn die mehr sein mögen, als bei vielen anderen.
Wieso erlaubt keiner, dass
Mondkind mal nicht "muss"?
Wieso steht Funktionieren immer
noch an oberster Stelle? Entlassung ist ein Dauer – Thema in der Klinik. Der
Fixpunkt, bis zu dem Mondkind wieder zusammen gesetzt sein muss – was sicher
mit verhindert hat, dass sie je auseinander gefallen ist. Wieso kann man der
Sache nicht so viel Zeit geben, wie es braucht?
Knapp eine Woche noch.
Versuchen wir, uns nicht
beirren zu lassen. Keiner in der Klinik kennt Mondkind lange und gut genug, um den Weg nachzuvollziehen,
den sie gehen musste. Versuchen wir, dem Innen mehr Raum zu geben. Versuchen
wir, die Person zu sein, die hinter den Mauern ist. Unabhängig davon, ob wir es
dem Team damit einfach oder schwer machen. Es ist immerhin deren Job und es
geht um mein Überleben.
Mondkind
P.S. Für Leute, die das öffentliche Kommentieren nicht so mögen, gibt es jetzt eine Mailadresse. Müsste irgendwo an der Seite stehen ;)
P.S. Für Leute, die das öffentliche Kommentieren nicht so mögen, gibt es jetzt eine Mailadresse. Müsste irgendwo an der Seite stehen ;)
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