Psychiatrie #18 Stippvisite zu Hause


Mit dem Handy in der Hand rast Mondkind über den Uni – Campus. Einer Angehörigen von einer Freundin geht es nicht gut. Irgendwie hörte sich das schon alles gestern nicht besonders gut an, aber so richtig Zeit darüber nachzudenken, hatte Mondkind nicht. In der Nacht ist ihr dazu eine Idee gekommen, aber die hatte der Notarzt dann heute Morgen scheinbar auch. Ein bisschen Vorwürfe, dass sie es nicht angebracht hat, macht sich Mondkind dennoch.
Jetzt versucht sie zeitgleich ihre Angelegenheiten zu regeln und für die Freundin da zu sein. Am liebsten würde Mondkind durchs Telefon hüpfen, sie in den Arm nehmen und einfach bei ihr sein.

Nachdem Mondkind kurz in der Bibliothek war und im Studierenden Service Center ihren Studentenstatus ab Oktober von „Medizinstudentin“ auf „Promotionsstudentin“ geändert hat, setzt sie sich wieder aufs Fahrrad und radelt weiter in Richtung Wohnheim.
Schlüssel im Schloss drehen. Langsam die Tür aufdrücken und einen vorsichtigen Blick um die Ecke wagen.

Es sieht aus, als habe ein Tornado in der Wohnung gewütet. In der Kochnische stapelt sich das Geschirr, Einkäufe liegen auf der Ablage, dazwischen leere Verpackungen, schmutzige Kaffeetassen, ein paar Dosen, eine Bürste und ein Putzlappen.
Blick ins Bad. Noch schlimmer. Der Boden ist mal weiß gewesen und in die Staubschichten kann man Figürchen malen.

Bis die Hausverwaltung kommt, pumpt Mondkind schnell ihre Fahrradreifen auf und versucht noch ein Fachbuch runter zu laden. Aber irgendwie reicht für die Massen an Daten nicht mal das wlan des Wohnheims aus.
Die Dame von der Hausverwaltung, wegen der Mondkind heute Morgen hier ist, ist auch dezent geschockt über den Zustand der Wohnung und hat Mondkind eingeschärft, dass es bis zur Wohnungsübergabe besser sein muss.
Renovieren muss sie zum Glück nicht, aber noch allerhand putzen.

Auf dem Rückweg telefoniert Mondkind noch ein bisschen mit der Freundin und nach einiger Zeit und ein paar mehr Informationen von ihrer Familie beruhigt sie sich ein bisschen und Mondkind kann sie ohne ganz so schlechtes Gewissen alleine lassen – nicht ohne ihr klar zu machen, dass sie anrufen soll, wenn etwas ist und Mondkind auch vorbei kommt. Zwar weiß Mondkind dann auch nicht genau wie sie ihr helfen soll und ihre sozialen Kompetenzen schätzt sie so manches Mal auch nicht als sonderlich hoch ein, aber sie wird es versuchen. 



Kaum wieder auf der Station, sammelt sie der Chef – Psychologe ein. Zwar ist Mondkind extra in der Früh zur Wohnung gefahren, um die Chefpsychologen – Visite nicht zu verpassen, aber das geht ihr doch ein bisschen schnell. „Ich habe mich noch gar nicht so sortiert…“, legt Mondkind los. „Das ist nicht schlimm, das sollen Sie auch gar nicht“, entgegnet Herr Psychologe. „Also… - ich muss gerade noch ein paar Eindrücke verarbeiten, ich war in meiner Wohnung“, erklärt Mondkind. Zuerst geht es eine Weile um den Zustand der Wohnung und dass Mondkind ihrer Mitbewohnerin klar machen soll, dass sie dort putzen soll.
Mondkind weiß nicht genau, ob sie ansprechen soll, wie sie sich dort gefühlt hat… - und beschließt für sich irgendwann, es zu lassen. Soweit ist sie gerade noch nicht.
Da hat sie ihre Rechnung allerdings heute ohne Herrn Psychologen gemacht. „Wie sah es denn da mit den Gedanken aus, nicht mehr leben zu wollen…?“, fragt er.
Shit, Volltreffer. Obwohl es eigentlich gut ist. Besser, als darüber zu schweigen.
Mondkind hat keine Ahnung, wie sie da so bald eine Nacht verbringen soll. „Wer hat denn überhaupt gesagt, dass Sie am Wochenende eine Übernachtung bekommen?“, fragt Herr Psychologe, als Mondkind sagt, dass sie das am Wochenende schon irgendwie hinbekommen wird. Schließlich muss Mondkind üben, meint sie – in drei Wochen ist sie entlassen und in vier Wochen schon im Ort in der Ferne. Ob es denn schon besser geworden sei mit den Suizidgedanken, wird Mondkind gefragt.
Eigentlich… - nein. Im Prinzip verschärft der Ortswechsel die ganze Situation sogar – was ja nicht neu ist und bisher fast jedes Mal so war.

So allmählich stellt sich die Frage, wie Mondkind mit dem Thema weiter umgehen möchte. Es gibt die Möglichkeit, so langsam wieder den Deckel auf das Fass zu machen und zu behaupten, dass es besser wird (oder sich das so lange einzureden, bis man es selbst glaubt…). Oder es gibt die Möglichkeit, weiterhin offen damit umzugehen.
Ein „Im Moment liefern Sie mir nicht genügend Gründe, die mich glauben lassen, dass es eine gute Idee ist, Sie nach Hause zu lassen“, bringt mich jedenfalls nicht wirklich weiter. Nicht, dass die Behandler in drei Wochen befinden, dass Mondkind denen nicht genügend gute Gründe für eine Entlassung liefert – dann wird es blöd. Oder, dass die Behandler alle irgendwann genervt sind, von der ganzen Thematik, weil das doch nicht immer präsent sein kann – sich bei Mondkind aber eben schon seit mehr als zehn Jahren zwischen den Hirnwindungen eingegraben hat.

Und ehrlich gesagt fragt Mondkind sich auch immer noch, wie sie das mit der Suizidalität lösen möchte. Erst heute hat sie in der Zeitung gelesen, dass Oberärzte zu den Topverdienern in der Gesellschaft gehören. Also wartet da keine schlechte Zukunft auf sie. Aber die emotionalen Löcher, die wird man nie so richtig stopfen können. Die werden immer bleiben. Und vielleicht lassen all die temporären Lösungen, sie im Endeffekt nur noch weiter aufreißen.
Manchmal würde Mondkind sich zum Beispiel schon wünschen, dass ihr Bezugstherapeut – wenn er sowieso gerade als Erwachsener mit Mondkind im Kind – Modus redet – sie auch mal in den Arm nimmt. Denn das braucht dieses Kind ganz dringend. Kontakt und Erdung und das Gefühl, dass da jemand ganz nah ist. Den Herzschlag einer Person, der sie in dem Moment vertraut zu fühlen, ist für Mondkind eines der beruhigensten Dinge. Aber abgesehen davon, dass er das vermutlich aus Professionalität nicht tun würde und Mondkind ihn nicht danach fragen würde, würde es im Nachhinein vielleicht auch einfach zu sehr weh tun. 

Mondkind

P.S. Sorry, ich weiß langsam echt nicht mehr, was ich für Bilder nehmen soll. Ich muss mal irgendwo Fotos machen gehen... 

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