Wohnungschaos und ambulante Therapie


Nachmittags um kurz nach vier.
In einer vermüllten Wohnung. Zwischen Kisten. Und Kosten.
Was ist das hier bitte für ein Albtraum?
Westlife im Hintergrund. Auf Kopfhörern. „Dynamite“. Empfehlung übrigens an meine lieben Leser.
Und nachdem Frau Therapeutin heute ganze Arbeit geleistet hat, kann ich zum ersten Mal um diesen Sommer weinen. Um den „Sommer nach dem Examen“. Um die Freiheit vor dem Arbeitsleben. Dublin. Croke Park. Westlife live erleben. „Dynamite“ mit Feuerwerk. Das war der Traum.  
Um eine Zeit, die vom Versuch geprägt war, eine Krankheit zumindest soweit zurück zu drängen, dass ich arbeiten kann. Um eine Zeit, die mir keiner mehr zurück geben kann.

***
Morgens. Kurz vor 6. Aufwachen. Schmerzen. Nicht mehr beim Atmen. Aber im Nacken. Irgendwie habe ich jetzt noch einen steifen Hals. In einer so blöden Muskelgruppe, dass auch Arm bewegen weh tut. Super. Die Nasennebenhöhlen sind auch langsam beteiligt. Was macht mein Körper da für einen Mist?

Die Wäsche ist schon gewaschen, als die Zimmerübergabe der Mitbewohnerin stattfindet. Sie verkauft der Hausverwaltung den ganzen herum stehenden Krempel als meinen. „Ich war drei Monate nicht da und bin gestern erst wieder gekommen“, setze ich zur Verteidigung an. Aber die Hausverwaltung hat keine Lust (und wahrscheinlich auch nicht die Kompetenz), sich mit der Mitbewohnerin in englischer Sprache auseinander zu setzen. „Zur Not entsorgen Sie es einfach, wenn Sie ihre Kaution wieder haben wollen“, höre ich von der Hausverwaltung. Ich bin so perplex davon, dass ich gar nichts sage. Das kann jetzt nicht ihr Ernst sein ?!?

Die Mitbewohnerin zischt ab und ich stehe im Chaos. Im Lauf des Morgens fange ich an verschimmelte Essensreste zu entsorgen, das Geschirr zu spülen und die Küche zu schrubben. Aber schnell geht es nicht voran. Ständig muss ich Pausen machen, weil jede Bewegung des Nackens und des Arms weh tut.
Ein weiteres Packen der Kisten, Fenster putzen und Badezimmerboden wischen verschiebe ich auf später.

Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg zur ambulanten Therapeutin. Sie habe ich jetzt auch viele Wochen nicht mehr gesehen. Ich hoffe einfach so, dass sie erkennt, dass nicht alles so gut ist, wie die in der Klinik das gern gehabt hätten. 

Schafis... 🐑 Auf dem Weg zur Therapie

„Frau Mondkind…“ Eine vertraute Stimme.
„Sie sind erkältet“, stellt Frau Therapeutin fest. „Das stimmt“, entgegne ich – auch wenn ich befinde, dass ich so schlimm gar nicht mehr klinge. „Das steht bei Ihnen schon seit Tagen drin…“, erklärt sie mir. Ach so… - sie hat mitgelesen. Dann muss ich sie gar nicht mehr aufs Pferd heben. Dann weiß sie ja, welche Ereignisse alles so sehr durcheinander geschmissen haben.
„Letzte Woche als wir telefoniert haben, wirkten Sie sehr verzweifelt. Jetzt macht das auf mich nicht mehr so sehr den Eindruck. Im Gegenteil – Sie wirken sogar glücklich. Haben Sie die Probleme gelöst…?“, fragt sie. „Nein…“, entgegne ich. Erkläre, dass ich aktuell so gut wie nichts mehr fühle und der Auffassung bin, dass das ein Schutzmechanismus ist, weil ich sonst mit allen aktuellen Ereignissen so überfordert wäre, dass ich komplett zusammen brechen würde. Und das geht jetzt nicht mehr.
Wir kommen auf das Thema Suizidalität zu sprechen. „Ich glaube, ich habe damit meinen Frieden gefunden, irgendwie. Ich habe keine Angst mehr davor. Ich habe so lange gekämpft und ich kann einfach nicht mehr. Es ist okay…“, entgegne ich. „Das ist kein gutes Zeichen“, entgegnet sie und notiert etwas auf ihrem Klemmbrett. „Und in dem Zustand haben die Sie da entlassen…?“, fragt sie etwas entgeistert. „Ja“, entgegne ich. „Ich bin irritiert…“, sagt sie. „Das war ich auch“, antworte ich. „Allerdings habe ich mir irgendwann gedacht, dass die vielleicht ihre Gründe haben, das nicht so ernst zu nehmen. Vielleicht übertreibe ich es echt zu sehr oder sie denken, dass sie mir und der ganzen Sache keinen Raum geben dürfen. Was weiß ich… - ich bin kein Therapeut…“ „Nein Frau Mondkind, das muss man schon ernst nehmen…“, entgegnet Frau Therapeutin.

Ganz langsam fängt sie mich ein. Führt mir mein Denken vor Augen. Mögliche Alternativen, die ich weder sehen, noch akzeptieren kann. Und irgendwann kullern die ersten Tränen. Endlich. Es bleiben wenige, aber es sind überhaupt mal welche. Ich nehme wieder Verbindung mit mir selbst auf, spüre, was da alles auf mir lastet. Es ist enorm viel mit unfassbarem Zeitdruck.
„Wollen Sie jetzt hoch in die Notaufnahme?“, fragt Frau Therapeutin irgendwann. Ist das jetzt das Resultat? Nach all den Wochen Klinik? Ich kann dieses Wort nicht mehr hören.
„Mein Vater köpft mich, wenn das jetzt alles nicht läuft, wie geplant…“, entgegne ich. „Das kann ich nicht machen…“
„Also Frau Mondkind – wir müssen uns jetzt hier etwas ausdenken; das wäre mir schon wichtig“, erklärt Frau Therapeutin.
Ich soll sie morgen früh anrufen. Und damit das auch definitiv klappt, gibt sie mir gleich mal drei Telefonnummern mit, damit ich sie auf irgendeinem Apparat erwische.
Ehrlich gesagt plane ich ja im Moment nur von heute auf morgen, was die Machbarkeit der Tage angeht. Und bis zu diesem Augenblick hatte ich noch nicht gewusst, wie ich Nacht schaffen soll. Aber dadurch, dass sie jetzt morgen den Anruf erwartet, hat Frau Therapeutin mich dann wohl mal über die Nacht gerettet. Danke Frau Therapeutin.

Auf dem Rückweg muss ich noch allerlei Dinge erledigen, obwohl der Blog schon geradezu ruft. Und dann aktualisiere ich als Erstes mal die Mails. Die Maklerin hat sich gemeldet. Einen Nachweis über eine Haftpflichtversicherung möchte sie haben bis zum Umzug (ich war nur nicht heute Mittag erst kopieren) und die Kaution (was auf meinem Konto so ziemlich Ebbe hervorruft). Was mir wieder klar macht: Was soll ich machen? Krankheit hin oder her – wenn ich es jetzt einbrechen lasse, bricht die finanzielle Machbarkeit auch zusammen.

Was bitte ist das für eine bescheuerte Krankheit? Warum lässt sie einen nichts sehen? Warum nimmt sie einem so viel weg und lässt nur noch einen einzigen, nicht begehbaren Weg übrig? Warum lässt sie Suizidgedanken so präsent werden, wo ich doch weiß, wie viel diese Welt noch zu bieten hat? Und warum kann meine Familie das nicht einmal als Krankheit sehen und mir die Zeit geben, gesund zu werden, statt immer nur Druck zu machen, dass es gefälligst schnell voran gehen muss?
 

Mondkind

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