Psychiatrie # 17 Funken von Licht
Stresstag.
Der aber trotzdem ein kleines
bisschen Hoffnung macht. In all der gefühlten Ausweglosigkeit.
Der Tag beginnt mit Yoga. Das
trifft bei mir meist auf mittelmäßige Gegenliebe. Es lastet mich halt überhaupt
nicht aus und der Kopf kann gemütlich weiter seine Schleifen rennen. In der
Regel komme ich geräderter raus, als ich rein gegangen bin.
Als ich gerade die Treppe
hochlaufe, kommt mir ein Pfleger entgegen gelaufen. Er hat einen Zettel vom
Therapeuten dabei. Heute Mittag Einzelstunde. Wie schön, dass ich das eine
Stunde vorher auch mal erfahre. Da habe ich ja noch super viel Zeit mir zu
überlegen, was ich besprechen möchte.
Also noch schnell zur Achtsamkeit
und dann muss ich mich bemühen, pünktlich zum Einzelgespräch zu erscheinen. Ich
habe die Pflegeschülerin im Schlepptau. Sie hatte mich gefragt, ob sie sich mit
rein setzen darf und da wir uns ja ganz gut verstehen, habe ich es ihr erlaubt.
Nachdem ich erklärt habe, dass es
mir immer noch verhältnismäßig schlecht geht, wird heute ein bisschen mit
Kritikern geschimpft.
Ich mag das irgendwie, wenn Herr
Therapeut mit meinem „Kind“ redet. Irgendwie wird und wurde das ja viel zu
selten gefragt, was es eigentlich möchte, sodass es das auch heute gar nicht
mehr weiß. Aber wenn Herr Therapeut seinen Stuhl nimmt, ihn neben meinen stellt
und dem „Kritiker“ und „Forderer“ mal seine Meinung geigt, löst das ganz viel
aus. Das ist für den Moment so viel Mittragen und Sicherheit und so viel
Gesehen werden, dass man mich über die Schiene wirklich zum Weinen bringen
kann. Ich glaube so viel wie heute, habe ich hier seit der Ankunft nicht mehr
geweint. Und für den Moment hat das wirklich gut getan.
„Kritiker“ und „Forderer“ sind ja
immer der Meinung, dass sie das nur aussitzen müssen und in drei Wochen sowieso
wieder schalten und walten können, wie sie wollen. Herr Therapeut meinte aber,
das wird er nicht zulassen und er habe schon eine Menge Ideen, wie er das
verhindern kann. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer darauf zu vertrauen. Denn
in drei Wochen muss ich auf eigenen Beinen stehen – da führt kein Weg dran
vorbei. Und ich glaube, dass ich hin und wieder jemanden brauche, der mich
wirklich aktiv aus diesen Gedankenschleifen raus holt.
Kaum wieder auf der Station wird
bekannt, dass wir heute statt morgen Oberarztvisite haben. Da die Oberärztin
allerdings im Urlaub ist, haben wir eine Vertretung – und das ist der Oberarzt
von der Privatstation. Wer schon länger mitliest wird wissen, dass ich wegen
ihm eigentlich unbedingt in ein anderes Haus wollte. Die Chance muss ich
nutzen.
Zwischendurch überredet mich die
Pflegeschülerin endlich mal den Oberarzt im Ort in der Ferne anzurufen. Ich
muss langsam wissen, ob er mich auf meinem Weg noch etwas unterstützen möchte –
auch wenn ich das nicht erwarten darf – oder nicht. Langsam muss ich aus den Unsicherheiten
in der Ferne, Gewissheiten machen. Auch, wenn die dann nicht ausfallen, wie ich das
gern hätte.
„Ach Mondkind, Hallo“, höre ich
eine bekannte Stimme in der Leitung. Eine freudige Stimme, soweit ich das
beurteilen kann. Ich soll ihn am Abend nochmal anrufen. Aber die
Wahrscheinlichkeit, dass es ein gutes Gespräch wird, ist nicht so gering würde
ich sagen.
Ich glaube allmählich übrigens,
dass ich hier mal wieder ein bisschen Glück gehabt habe. Ohne den Einsatz der
Schülerin, die mich hin und wieder zur ein oder anderen Sache überredet oder
irgendwelche Dinge weiter an die Pflege gibt, wäre ich auch noch nicht so weit.
Und mit Herrn Einzeltherapeuten
und seinem Engagement, habe ich natürlich auch sehr viel Glück gehabt.
Am liebsten würde ich ihn ja adoptieren... 🐱 |
Vor dem Arztzimmer sitzen.
Herzrasen. Auf den Oberarzt warten. Irgendwie passt es mir ganz und gar nicht ihm
sagen zu müssen, dass es schlecht läuft. Irgendwie wäre mir ein gutes Endes
dieses Wahnsinns lieber gewesen.
Komisch, dem Weißkittel wieder
gegenüber zu sitzen. Dem Menschen, der mir schon 2015 mehr oder weniger das
Leben gerettet hat. Nachdem so viele Menschen und Beratungsstellen meinen
Gemütszustand als „Phase“ und „überarbeitete Studentin“ abgetan hatten, war er
der erste, der mich ernst genommen hat. Mir schnellstmöglich eine Therapeutin
verschafft hat und mich so eng an die Ambulanz angebunden hat, dass ich das
überleben konnte.
Er fragt mich, wie es läuft. „Nicht
so gut“, antworte ich. Was das heißt, möchte er wissen. Ich entgegne, dass ich
sehr damit beschäftigt bin, mich von den negativen Gedanken abzulenken und
selbst dafür mittlerweile so gut wie keine Kraft mehr habe, weil ich nicht
ständig mit meinem Kopf kämpfen und zusätzlich aktiv auf Achse sein kann.
Was „negative Gedanken“ seien,
möchte er wissen. Ich weiß nicht, was Frau Therapeutin ihm vor meiner Aufnahme
erzählt hatte. Ob er einigermaßen im Bild ist, oder ob ich ihn jetzt etwas
überrumple. Ich fasse mein Hasenherz zusammen. „Naja… - mir ist schon klar,
dass ich die Klinik nicht gesund verlassen werde. Allerdings war ja eines
meiner Hauptanliegen, die Suizidalität in den Griff zu bekommen…“, beginne ich.
„Genau“, sagt er. Sehr gut, er weiß Bescheid. Dann kann ich ja weiter reden. „Ich
verzweifle mittlerweile wirklich an mir selbst und bin mit der Situation völlig
überfordert“, führe ich aus. „Ich weiß, dass ich objektiv betrachtet wirklich
in einer guten Situation bin und viele Chancen habe, aber subjektiv kommt das
einfach nicht bei mir an. Mein Kopf ist wirklich ausschließlich auf Negativität
gepolt, lehnt alles ab, was den Versuch einer Zukunft rechtfertigen würde. Und
ich weiß, dass ich hier mittlerweile nur noch drei Wochen habe. Meine Angst ist
nicht, im Ort in der Ferne zu versagen. Das ist etwas viel Essentielleres.
Meine Angst ist, dass ich an dem Chaos in meinem Hirn sterbe, bevor ich
verstanden habe, was dieses Leben für mich bereit hält…“
Nach dem Monolog ist mir warm
geworden. Aber ein bisschen stolz bin ich auch auf mich. „Das hört sich
wirklich nicht so gut an“, sagt er. Er wirft einen kritischen Blick in die
Medikamente. „Da müssen wir mal schauen, ob wir Ihnen mit den Medikamenten noch
etwas Gutes tun können…“ Er wirft zwei mögliche Optionen ein und wägt es hin und
her. Beides hat so seine Vor- und Nachteile. Eines wirkt besser – insbesondere bei
chronischer Suizidalität – hat aber auch mehr Nebenwirkungen. Er überlegt sich
das bis nächste Woche.
Und ich… - ich fühle mich heute
ernst genommen und verstanden. „Ich hätte Sie auch gern bei mir gehabt“, hatte
er damals im Gespräch auf der anderen Station gesagt, das ich damals nach der
Aufnahme mit ihm im anderen Haus geführt habe. Und jetzt ist es halt umgekehrt.
Jetzt haben wir ihn halt auf unserer Station. Und ich schätze das sehr, dass er
sich so viel Mühe dafür gibt, mich stabiler auf die Reise zu schicken. Obwohl
er hier nur Vertretung macht.
Jetzt fehlt gleich nur noch das
Gespräch mit dem Oberarzt und dann reicht es auch für heute. Ich bin schon
jetzt extrem platt. Aber irgendwie positiv platt. Vielleicht gibt es Hoffnung.
Vielleicht bringt eine Umstellung der Medikamente noch eine Verbesserung.
Vielleicht hat Herr Therapeut wirklich noch irgendein Ass, das er dann aus dem
Ärmel schüttelt und das mir dann auf meinen eigenen Füßen in der Ferne hilft.
Denn ich bin mir schon recht
sicher, dass ich eigentlich leben möchte. Deshalb habe ich vermutlich auch so
viel Angst, dass es nicht klappt. Sonst wäre es mir ja wahrscheinlich
gleichgültig.
Mondkind
P.S. Ich hoffe, die ständigen Katzenfotos nerven die geneigte Leserschaft nicht zu stark. Einerseits mag ich ihn wirklich, andererseits muss man hier hinsichtlich Fotos eben auch sehr mit dem Datenschutz aufpassen.
P.S. Ich hoffe, die ständigen Katzenfotos nerven die geneigte Leserschaft nicht zu stark. Einerseits mag ich ihn wirklich, andererseits muss man hier hinsichtlich Fotos eben auch sehr mit dem Datenschutz aufpassen.
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