Psychiatrie 19 # "Du nervst..."
Mondkind ist die Erste der
Station, die wach ist. Mal wieder. So, wie eigentlich jeden Morgen.
In der Küche kocht sie den ersten
Kaffee des Tages, ehe sie sich raus auf die Terasse setzt. Langsam geht die
Sonne auf und spiegelt sich in den Fenstern des gegenüber liegenden Gebäudes.
Noch ist Sommer. Noch ist es so
warm, dass man morgens um kurz nach sieben Uhr mit einer leichten Jacke draußen
sitzen kann.
Sommer. Sommer in der
Psychiatrie. „Every summer has a story“ war letztens das Motto eines der
Mandalas, das Mondkind ausgemalt hat. Psychiatrie ist die Story von Mondkinds
Sommer 2019.
Der Sommer, in dem es auf
beruflicher Ebene zur Verfügung gestellte „Bezugspersonen“ gibt. Auf eine ganz
tiefe Ebene kann man in der kurzen Zeit nicht kommen. Aber es ist ein bisschen
Sicherheit, die Mondkind vorher nicht hatte und auch hinterher erst mal nicht
mehr in dem Maß haben wird. Ein bisschen atmen. Ein bisschen verschnaufen.
Und dennoch erinnert die Stille
an diesem Morgen an längst vergangene Zeiten. An Sommer mit der Familie am
Meer. An Zeiten, die vermutlich nicht unbeschwert waren, aber die Mondkind als
etwas unbeschwerter in Erinnerung hat. Lange hat sie nicht verstanden, warum
das so ist. Bis gestern Abend.
Vermutlich war sie als Kind lange
Zeit nicht in der Lage, die ambivalenten Botschaften zuzuordnen. Und hat
deswegen eine Menge bewusst oder unbewusst nicht wahrgenommen. Gekommen ist ihr
der Gedanke gestern Abend.
Gestern gab es zu später Stunde
noch ein Problem zu lösen, das Mondkind unangenehm war. Unangenehme Dinge und
die Überwindung ins Stationszimmer zu gehen – zu viel für eine müde Mondkind.
Ein sehr lieber Mitpatient hat Mondkind dann begleitet und es mit ihr gelöst.
Danach wurde sie von der Nachtschwester noch ins Stationszimmer zitiert, sollte
die Tür schließen und in Ruhe darüber reflektieren, warum sie nicht in der Lage
ist, von selbst auf die Menschen zuzugehen und immer das Gefühl hat, dass sie
nervt.
„Haben Sie das denn erlebt, dass
jemand da so ambivalente Botschaften vermittelt hat, dass sie einerseits
willkommen sind und andererseits zurück gewiesen werden…?“
Mondkind musste eine Weile
überlegen, um darauf zu kommen. Aber ja – eigentlich ist das laufend so. „Mondkind,
Du weißt, dass ich Dich ganz doll lieb habe“, erklärt ihre Mutter häufig am
Telefon. Und dann hört Mondkind von ihrer Schwester, dass gesagt wurde, dass
die Familie vielleicht wieder zur Ruhe kommt, wenn Mondkind in der Ferne ist.
Es wird gesagt, dass Mondkinds Krankheit akzeptiert werde, aber dann wird der
Klinikaufenthalt als überflüssig und unsinnig tituliert und das einzige
Interesse aller ist, wann Mondkind denn nun entlassen wird und gedenkt,
arbeiten zu gehen.
Da stimmt etwas nicht. Ganz
gewaltig nicht. Und da Mondkind keine Ahnung hat, was man nun glaubt, was man
von ihr hält und sich die Ahnung in ihr breit macht, dass nach außen hin alles
akzeptiert wird, um sich nicht angreifbar zu machen, in Wahrheit aber ganz
andere Meinungen und Einstellungen vorherrschen, macht sie sich lieber
unsichtbar. Liefert kein Futter für weitere Verwirrung und Kränkung ihrer selbst.
Vielleicht ist das ein Schlüssel.
Es ist mal etwas anderes als „Nein Mondkind, Du nervst nicht“ und ein in der
Klinik viel gepredigtes „Das ist unser Job“ und „Würde es Sie nerven, wenn Ihre
Patienten etwas von Ihnen wollen würden?“
Ich könnte das heute üben. Herr
Bezugspsychologe hat mir heute angeboten, am Nachmittag zwischen Tür und Angeln
noch mal aufzusuchen. Es gibt ein wichtiges Problem anzusprechen und im Ansatz
zu klären, aber Mondkind ist sich fast sicher, dass sie es nicht tun wird, da
er angedeutet hat, dass er eigentlich keine Zeit hat und Mondkind ihm die Pause
klauen würde.
Mondkind
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