Circles
Ich liege immer noch knapp im Zeitplan.
Heute habe ich wieder ein Script zusammen gefasst
und im Labor war ich auch und habe die nötige Anzahl an Präparaten
mikroskopiert und dokumentiert.
Zwar habe ich heute auf dem Weg ins Labor gerade den
Sturzregen erwischt – aber was will man machen, wenn der Zeitplan gerade dann „Fahrt
ins Labor“ vorschreibt? Da kann ich ja nicht eine halbe Stunde warten – dann gerät
der knapp bemessene Plan aus dem Takt.
Sogar ein wenig vorgearbeitet habe ich schon, da
morgen ein langes Kapitel ansteht und ich auch mal wieder den Kühlschrank
auffüllen muss und deshalb morgen weniger Zeit als heute zur Verfügung steht.
Ich jongliere wieder.
Rechne die Minuten hin und her und höre selbst dann
nicht auf, wenn das Tagesziel erreicht ist. Ich muss vorausschauend arbeiten,
einrechnen, dass manche Kapitel thematisch schwerer sind als andere, dass ich
nächste Woche mit der Färbung weiter machen muss und da wieder mehr Zeit in das
Labor investiert werden muss. Ich muss einrechnen, dass nächste Woche gleich
zwei Termine in der Ambulanz anstehen und dass meine Verfassung ein Weiterarbeiten
auch manchmal nicht erlaubt, wenngleich ich hoffe, dass es so schlimm nicht
kommt.
Es gibt immer genug Gründe vorzuarbeiten.
Ich bin dankbar in der Klinik so viel Tagebuch
geschrieben zu haben. Manchmal – bevor ich abends ins Bett gehe, scrolle ich
einfach mal durch, lese quer, was ich da geschrieben habe. Nehme die Stimmung
auf, die zwischen den Zeilen liegt, verliere mich irgendwo im Frühling dieses
Jahres.
Gerade in den letzten Tagen merke ich, dass es
wirklich hart ist mit all den Gedanken alleine vor dem Schreibtisch zu sitzen -
mit der Leere und der Frage nach dem Sinn, die ich doch nicht beantworten kann.
Ich glaube, es hat damals schon eine Entwicklung
gegeben. Ich kann mich genau an den Satz erinnern: „Und die Hoffnung die Sie
nicht haben, tragen wir jetzt erst mal für Sie“. Der hing solange nach. Es ist
ein total merkwürdiges Gefühl gewesen, sich trotz der Situation in der ich war
und in der sich so viel geändert hat und ich zeitweise gar nicht wusste, ob es
für all das überhaupt eine Lösung gibt, getragen zu fühlen. Irgendetwas wie ein
Nest zu haben, obwohl gerade alles zusammen bricht und der vermeintliche worst
case eingetreten ist.
Natürlich haben die mich auch viel verbal getreten,
dass ich weiter mache und mich um alles kümmere, aber ab und an kam auch mal: „Sie
machen ihre Sache gut und deshalb wird das auch alles etwas werden.“ Ich
glaube, die haben manchmal angenommen, dass ich mehr Therapiemotivation hatte,
als ich meine gehabt zu haben. Denn einfach war es alles nicht und ich habe
viel mit mir gehadert, aber das ist vielleicht auch normal und okay. Bevor ich
gegangen bin, haben mir sogar mehrere Menschen aus dem Team gesagt, dass sie
mir das alles am Anfang nie zugetraut hätten.
Aber ich glaube, das ging für mich auch alles nur,
weil ich nicht weiter als bis zu einem gewissen Punkt fallen konnte. Wenn es
schief geht, dann muss ich eben an anderer Stelle von vorne beginnen, so war
immer mein Gedanke. „Wir stellen Sie doch nicht in dem Zustand auf die Straße“,
erklärte mir der Stationsarzt mal irgendwann als ich anmerkte, dass ich Angst
habe mitten im größten Chaos gehen zu müssen. Auch das war einer der zentralen
Sätze dort. Ich musste so viel in meinem Leben schon allein bewältigen, dass
mir die Klinik als Stütze im Rücken sehr willkommen war und ich von daher auch
wusste, dass ich es mich jetzt trauen kann ein wenig offensiver vorzugehen, was
Veränderungen anbelangt.
Und irgendwie über die Zeit hat sich ein wenig
Selbstsicherheit entwickelt. Ein Gefühl von: „Ich kann das alles wirklich
schaffen.“ Das Studium, nebenbei noch ein wenig Privatleben, eine Handvoll
Freunde, ein bisschen Vertrauen in mich selbst. Irgendwann war ich nicht mehr
so müde. Und mal rückblickend betrachtet: Es war eine beachtliche Leistung: Ich
hatte am Ende jeden Tag Studium von 8 – 17 Uhr, habe mich nebenbei noch um die
Wohnung und den Umzug gekümmert und musste auch der Klinik noch gerecht werden,
zumindest ab und an noch irgendwo erscheinen und mich nach und nach auch mit
dem Thema Entlassung auseinander setzen. Es waren wahnsinnig volle Tage und
natürlich habe ich mich ab und an gefragt, wie ich das alles schaffen und die
Klausur bestehen soll, aber ich hatte so viel Energie und so sehr den Willen
das alles hinzubekommen, dass ich - wenn
abends alles gelaufen war – mich noch hingesetzt habe, alle Vorlesungen
aufgearbeitet habe und die ganze Zeit über nicht viel Rückstand angehäuft habe.
Manchmal – so hatte ich das Gefühl – war das der
perfekte Augenblick um die Zeit anzuhalten. Es lief alles. Und diese Zuversicht
– in Worte gefasst von mir selbst – ist irgendwie doch etwas ganz
Erstaunliches.
Ich saß gestern meiner Therapeutin gegenüber und ich
weiß gar nicht mehr, wie wir drauf gekommen waren – wahrscheinlich rührt
ausgehend davon gerade der Text – und in dem Moment, in dem ich den Satz gesagt
habe, da ist mir eigentlich erst klar geworden, dass es wirklich so war: „Ich
habe zwischendurch wirklich geglaubt, dass ich es schaffen kann und das solche
Situationen wie das hier, so schnell nicht mehr wieder kommen.“
Und gemessen an den ganzen Jahren in denen das
vorher schon mehr oder weniger ein zielloses vor sich hin Existieren war, war
das nach wenigen Wochen Klinik doch eine beachtliche Zuversicht.
Im Prinzip ist das ja alles schon kurz vor der
Entlassung gekippt. Ich glaube, an jenem Freitag, den ich wohl so schnell nicht
vergessen werde. Der Freitag, an dem ich abends am letzten Tag auf der Station
unseres Stationsarztes (was mir in dem Moment überhaupt nicht bewusst war) in
seinem Büro saß und das erste Mal das Gefühl hatte, dass da gerade eine
Mondkind sitzt, die ihre Maske abgelegt hat – und das auch nicht, weil das eine
bewusste Entscheidung war, sondern weil ich von meinem Zimmer aufgesammelt
wurde, was sonst nie vorkam. Ich hatte also das Gefühl einen unbeobachteten
Moment zu haben, denn raus musste es manchmal schon aus mir und mit dem Doc
habe ich einfach überhaupt nicht gerechnet.
In dem Moment saß ich das erste Mal so da, dass
Innen und Außen zusammen passen, was auch gleich eine ganz andere Reaktion des
Gegenübers zur Folge hatte. Und bei dem Team offensichtlich für so viel
Verwirrung gesorgt hat, dass von Tag zu Tag am Ende zwei Wochen mehr dran
gehängt wurden.
Und naja… so lang kann die Zeit des Optimismus
irgendwie gar nicht gewesen sein… vielleicht war die kürzer, als die mir im
Nachhinein vorkommt, vielleicht waren es nur ein paar Tage, aber sie war da… und
hat sich jetzt wieder sehr rar gemacht.
Genauso wie die Überzeugung, dass ich nicht jeden
Tag bis zum Limit arbeiten muss, um das alles zu schaffen. Klar – schleifen lassen
ist auch schlecht, aber es müssen keine 14 oder 15 Stunden – Tage werden und
ich muss auch nicht in der Dämmerung noch im Labor sitzen.
Vielleicht war es das, was die Therapeutin gestern
mit „alte Muster“ meinte.
So etwas passiert übrigens, wenn Mondkind vor sich
hin philosophiert. Sie fängt irgendwo an und kommt am Ende ganz woanders raus.
Weiß selbst nicht genau, was sie da eigentlich sagen möchte, aber ist doch
gerade irgendwie emotional bewegt…
Jetzt muss ich aber noch zu Ende formatieren, mein Laborbuch
schreiben und mich endlich mal dran setzen und einen neuen Dynamo und eine
Fahrradpumpe bestellen. Der Winter kommt – Licht wird wichtig.
Alles Liebe
Mondkind
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