Schwieriges Gespräch

7 Uhr. Der Wecker klingelt. Eigentlich kann ich mich nicht beschweren, aber ich bin komplett erschlagen. Jeden Tag sinkt mein Energielevel im Moment ein wenig tiefer.
Im Schlafanzug setze ich den ersten Kaffee auf, ziehe mich um und setze mich an den Schreibtisch. Ich muss heute schon ein wenig schaffen, bevor ich in die Ambulanz fahre – sonst wird das mit dem Plan heute nichts.
Die Konzentration darauf ist aber eher begrenzt – zu sehr beschäftige ich mich damit, was ich der Therapeutin heute erzähle.

Regenpause. Auf dem Weg zur Uni. Noch schnell in der Bibliothek vorbei, um den Zettel auszudrucken.

„Kommen Sie schon mal mit Frau Mondkind“, höre ich wenig später und laufe hinter ihr in mir das so vertraute Zimmer hinein. Sie muss noch ein paar Zettel wieder in einen völlig überfüllten  Ordner sortieren. „Ich habe mir eigentlich mal vorgenommen, den ordentlich zu halten“, erklärt sie. Mondkind kennt den Ordner gut – daraus zieht die Therapeutin immer ihre Arbeitsblätter. „Ich finde den immer wieder sehr faszinierend“, gibt Mondkind mit einem Lächeln zurück.
Der Ordner ist im Schrank verstaut, die Therapeutin sitzt ihr gegenüber und es geht los. „Wie geht es Ihnen denn?“, fragt sie. „Ich bin sehr nachdenklich… Und sehr müde…“, sage ich.
Sie notiert etwas auf ihrem Klemmbrett.
„Wissen Sie, ich habe mir ja lange überlegt, was ich aus der Stunde jetzt mache“, beginne ich. „Ich habe sehr viel nachgedacht letzte Woche. Ich würde es mir einfacher machen, wenn wir über die knapp bemessene Examensvorbereitung reden, über die Kurswahlen, die bald anstehen und wo ich noch nicht weiß, was ich mache, weil ich einerseits noch ein paar Kurse haben möchte und andererseits weiß, dass es ja ohnehin schon alles schwierig ist. Das Ding ist nur – darum geht es gerade nicht so vorrangig. Es geht gerade um ganz andere Überlegungen, die viel mit der Gewichtung von Tatsachen, Überzeugungen und dem Setzen von Prioritäten zu tun haben.“
„Das ist jetzt aber sehr ungenau… - das ist Ihnen klar“, sagt sie.
„Ja…“, sage ich und gönne mir ein kleine Pause. „Deswegen habe ich gedacht, ich bringe einen Zettel mit. Dann wird zumindest alles mal gesagt und ich muss das auch nicht alles noch ein zweites Mal entwickeln.“
„Das ist ja okay“, sagt sie, während ich an der Ecke des Zettels ziehe und ihn auf den Tisch lege.
„Das ist aber viel“, merkt sie an. Ich erwidere, dass ich es schon eingekürzt habe, aber dass ich das einfach im Moment noch nicht so präzise ausrücken kann.
Sie nimmt den Zettel zu sich herüber und liest, während mir fast das Herz aus der Brust springt, denn die Nummer kann jetzt auch ganz arg nach hinten los gehen.

Unter Anderem geht es darum, dass es für mich im Moment keinen Sinn mehr ergibt. Ich habe die Hoffnung den später zu finden, wenn ich einen Job bekomme in einem Krankenhaus, in dem ich schon sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Aber dazu muss jetzt alles funktionieren. Nochmal schieben geht nicht mehr.
Es gibt keine Personen mehr, an denen ich hänge und anderthalb Jahre dafür überleben, dass ich ein paar Mitarbeitern in der Ambulanz das von Woche zu Woche verspreche – die die Frage natürlich auch nicht aus Nächstenliebe, sondern aus reiner Routine stellen – ist schon ziemlich fragwürdig.
Den Weg weiter zu gehen, ist ein Risiko, weil ich nicht weiß, ob ich das noch anderthalb Jahre schaffe. Ich habe das Gefühl, dass der Gedanke in diesem Krankenhaus zu einer guten Ärztin ausgebildet zu werden, der einzige rote Faden ist und dass der unglaublich Druck macht, denn wenn der reißt, falle ich mit. Und von daher musste ich aus der Klinik raus, auch wenn ich wusste, dass es eigentlich ein bisschen früh ist. Und deshalb ist die Warnung, dass das am Ende eine lebensbedrohliche Krankheit ist, auch ein wenig an mir vorbei gegangen. Am Ende ist es eine Gradwanderung, aber irgendwie sind für mich alle Optionen okay und von daher macht mir die Bedrohlichkeit nicht unbedingt Angst.

Sie legt den Zettel wieder in die Mitte.

„Im Prinzip sind da zwei große Überlegungen drin“, sagt sie. „Zum Einen die Sache mit dem Krankenhaus und zum Anderen…“ – sie zückt Ihren Kuli und umkreist zwei Absätze – „sind das hier Suizidgedanken. Da müssen wir jetzt auch nicht drum herum reden…“
„Es ist eine Überlegung“, gebe ich zurück. „Eben… – Gedanken…“, sagt sie.

Wir reden über die Sache mit dem Krankenhaus und kommen auf das, was ich irgendwo in mir ahne.
Ich hatte dort zwei wunderschöne Famulaturen, ich habe dort super nette Leute kennen gelernt. Aber es ist ein Krankenhaus, das im Umbau ist, bald an die Uni angegliedert wird. Abgesehen davon ist es kein Geheimnis, dass die aufgrund ihrer ländlichen Lage unfassbar viel Personalmangel haben und sich viel Mühe geben Programme auf die Beine zu stellen, um den Nachwuchs an das Krankenhaus zu holen.
Wie wird es sein, wenn ich da wirklich Assistenzärztin werde? Eine ganz andere Verantwortung habe? Tatsächlich unter dem Scheffel des Oberarztes stehe?
Und waren die Famulaturen da wirklich so gut, wie mein Gehirn mir das gerade vermittelt. Ich hatte da auch so meine Phasen, wenn ich ehrlich bin.
Ist das nicht vielleicht alles ein wenig idealisiert? In meiner Vorstellung werde ich nirgendwo anders richtig gut arbeiten können, weil ich mich an allen anderen Krankenhäusern in denen ich war (abgesehen von meiner Psychiatrie – Famulatur, aber das ist ja ohnehin ein ganz anderes Völkchen), nie wohl gefühlt habe.
Wird vielleicht dann an diesem Ort – 400 Kilometer weit weg von hier – alles zusammen brechen?
Man weiß es nicht.

„Im Prinzip gibt es für Sie also für die nächsten anderthalb Jahre keine Alternativen, wenn Sie nicht so voran kommen, wie Sie das wollen?“, fragt sie. „Im Prinzip schon“, gebe ich zurück.
„Das ist ungünstig in Bezug auf die Suizidgedanken“, sagt sie. „Sie wissen schon, dass das ganz intensives schwarz – weiß – Denken ist?“, fragt sie.
„Ja… - schon“, gebe ich zurück. „Ich meine – letzten Endes wird es auch andere Orte geben, an denen ich werde arbeiten können. Es gibt so viele Krankenhäuser. Nur das weiß ich ja alles nicht. Und da ich der Meinung bin, dass ich andere Dinge für die Menschen leben – wie in etwa Partnerschaft oder Familie nie werde aushalten können, solange es mir so geht, wie es mir gerade geht, scheint das die einzige sichere Möglichkeit zu sein. Also… rational verstehe ich was Sie meinen und ich müsste mir nicht so viel Stress machen, sondern könnte mir Zeit lassen beim gesund werden, weil ich da als Studentin auch in einer ganz passablen Situation bin, aber das kommt eben so emotional nicht an. Ich bin gerade selbst auch ein bisschen verwirrt und weiß gar nicht, wo mich diese Gedanken jetzt alle hinbringen“

„Das merkt man in dem Text“, sagt sie. „Das ist aber nicht schlimm.“ Sie redet von Mustern, in die ich nach der Klinik wieder hinein gefallen bin – auch wenn ich nicht ganz genau weiß, was sie damit meint. Ich bin wieder sehr ins Arbeiten gefallen – da hat sie Recht. Aber Doktorarbeit und Uni erledigen sich leider nicht von allein und eigentlich bräuchte ich im Moment ein zweites Ich, sodass wir parallel arbeiten können.

„Es ist einfach gerade schwierig für Sie“, sagt sie. „Zum einen sind Sie gerade aus der Klinik raus, zum anderen hat sich jetzt wirklich viel geändert bei Ihnen und dann ist auch Examenszeit. Jedenfalls zähle ich ein halbes Jahr davor schon zur Examenszeit und Sie schleppen das ja schon seit Anfang dieses Jahres mit sich herum, weil Sie es ja im Sommer machen wollten.
Und so hart wie sich das gerade anhört: Wir müssen jetzt erst mal zusehen, dass Sie das Examen schreiben und schaffen können und dass Sie das bis dahin überleben.“

Ich nicke und schließe kurz die Augen, um die Tränen daran zu hindern, sich einen Weg zu suchen. Wenn das schon aus dem Mund einer Therapeutin kommt, gibt es wirklich nicht so viel Hoffnung bis zum nächsten Frühling.

„Wir sind schon wieder über die Zeit und machen nächste Woche mit dem Thema weiter“, merkt Sie an. Kurzes Schweigen.
„Können Sie mir versprechen, sich bis nächste Woche nicht umzubringen?“, fragt sie.
„Das steht doch auf dem Zettel“, erwidere ich. „Ein Leben an einem Versprechen an eine Ambulanz fest zu machen ist nicht unbedingt sinnvoll, aber wenn ich das tue, dann halte ich mich dran“, sage ich. (Ich führe jetzt nicht aus, dass ich der Meinung bin, dass ab einem bestimmten Grad ich mir gar nicht sicher bin, ob ich noch rational entscheiden kann…)
„Ich weiß“, sagt sie. „Und deswegen lasse ich Sie jetzt auch gehen“.

Wir verabschieden uns und dann verlasse ich das rote Gebäude, als gerade die Sonne zwischen den Wolken hervor bricht, sodass ich trocken im Labor ankommen würde.
Ich weiß nicht, wie es mir damit jetzt geht. Ich bin erleichtert, dass es jetzt ausgesprochen ist. Dass ich das Gebäude wieder freien Fußes verlassen darf.
Aber nur weil es ausgesprochen ist, verschwindet es nicht. Ich trage diese Schwere 24 Stunden am Tag mit mir herum und gerade, wenn darüber in der Ambulanz gesprochen wird, ist das doch alles im Augenblick sehr präsent.

Im Anschluss mikroskopiere ich erst mal zwei Stunden und lasse die Stunde nachwirken und sacken. 

Alles Liebe
Mondkind

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