Durchhalten
Wenn ich die
Wohnungstür hinter mir schließe, kann ich darauf warten, dass nach wenigen
Augenblicken die Maske fällt.
Es ist
anstrengend, sie den ganzen Tag zu tragen, so oft zu sagen „Danke, mir geht es
gut.“
Ich spüre,
wie viel ich draußen lache, wie sehr ich voller Energie und Leben bin, oder
zumindest vorgebe das zu sein.
Teilweise
sogar die Leute mit anstecke, motiviere, wieder ganz so bin, wie ich mal war
oder immer sein wollte.
Und auf
einen Schlag – mit dem Betreten des Flurs und dem Ablegen des Schlüssels -
ändert sich das.
Und dann,
innerhalb weniger Minuten wird es so schwer auf mir, dass es unaushaltbar
erscheint, dass ich das Gefühl habe erdrückt zu werden von einem Gefühl, das gar
kein Gefühl ist.
Keine
Ahnung, ob das besagtes „Gefühl der Gefühllosigkeit“ ist, wie man das immer in
der Uni lernt.
Ich sollte
das heute in der Therapiestunde genau erklären – das habe ich auch getan und
die Therapeutin meinte, dass das sehr nach einer depressiver Symptomatik klingt
(ach nee) und in Verbindung mit dem „nicht – sehen können“ – manchmal schon
morgens in der Früh – und der Bewegungsstarre ein Zeichen dafür ist, dass ich
extrem gestresst bin.
Ich glaube,
ich habe es auch geschafft viel von dem zu erzählen, was gerade wirklich los
ist. Beispielsweise sind die oben genannten Symptome teilweise bewusst herbei
geführt, weil ab einem bestimmten Stadium der Erschöpfung das Denken und Fühlen
auch ein wenig abgeschirmt ist und ich dann zumindest mal ein oder zwei Stunden
Ruhe habe. Klar, besonders toll ist das auch nicht, aber eben besser, als das
Andere.
Ich habe
jetzt vor, vielleicht das Keyboard mal wieder aktivieren. Ein bisschen schief
zu spielen sei immerhin besser als gar nicht zu spielen, meinte die Therapeutin
und es müsse ja auch nicht perfekt sein. Und irgendwie muss ich ihr da Recht
geben.
Es ging auch
um die fehlende Integration des Klinikaufenthalts in das Selbstbild.
Es passt
immer noch nicht in mein Selbstverständnis diesen Bruch gehabt zu haben und
teilweise kommt mir das so weit weg vor, dass es schon gar nicht mehr real
erscheint.
Andererseits
hatte ich eben dort das Gefühl das erste Mal seit Jahren zu erleben, dass man
die Tage auch mit mehr als einem Hangeln zwischen Fixpunkten in einem Stadium
des ständigen „Dazwischen“ verleben kann. Manchmal dachte ich, dass vielleicht
jeder Mensch so lebt wie ich. Dass es dieses entspannte Aneinanderreihen von
Tagen, die viel bewusster gelebt werden können als ein „Dazwischen“, gar nicht gibt.
Und dann
gehe ich zurück, versuche so viel wie möglich davon in den Alltag mitzunehmen
und die Tage werden dennoch wieder ein „Dazwischen“ und ich habe es viel zu
spät gemerkt und das macht es im Prinzip schlimmer als vor der Klinik, weil man
zwischendurch gesehen hat, wie bunt das Leben sein kann.
Manchmal
habe ich mir in den letzten Tagen gedacht, dass ich zu müde bin. Zu müde, um
jeden Morgen bewusst die Entscheidung zu treffen die Tage zumindest soweit auf
die Reihe zu bringen, dass Alltag möglich ist. Den nächsten Studienblock zu
schaffen, das Examen im Frühling zu machen. Wenn es nicht klappt, dann ist es
so. Vielleicht werde ich es auch einfach nie schaffen, weil jetzt der Punkt
ist, an dem meine Psyche völlig versagt.
Und dann
passieren Dinge in diesem Alltag.
Ich hatte
heute das erste Mal seitdem ich wieder aus der Klinik bin ein Gespräch mit dem
Betreuer meiner Doktorarbeit. Und dann hat er zu mir gesagt: Schön, dass Du
wieder da bist, uns erhalten geblieben bist und jetzt hoffentlich bleibst.“ „Ich
hoffe es auch“, entgegnete ich.
Das war aber
keine Forderung. Es war glaube ich wirklich von Herzen und persönlich so
gemeint. Wir beiden kennen uns schon so lange – seit dem zweiten Semester
hatten sich unsere Wege immer wieder gekreuzt, bevor er mein Doktorvater
geworden ist. Wäre er es nicht gewesen, hätte ich das Projekt Doktorarbeit
längst aufgegeben, nachdem so viel schief gegangen ist und nachdem mir dazu
auch so viele Leute geraten hatten.
Aber er
hatte da eine genaue Idee im Kopf, ein Konzept, wie es funktionieren soll und
manchmal habe ich das tatsächlich nur noch gemacht, um sein Vorhaben – für das
man theoretisch jemanden in der Anatomie anstellen müsste – doch noch genauso
verbissen wie er, umzusetzen.
Er ist sehr
zufrieden mit meiner Arbeit aus der letzten Woche, meinte, dass ich gute Ideen
habe. Auch dass ich hinsichtlich des Schreibens der Arbeit schon ein Konzept im
Hinterkopf habe, hat er gelobt. Ich habe nämlich jede von meinen rund 200
Quellen auf einer Din A 4 Seite zusammen gefasst und von daher wird kein relevanter
Text und keine relevante Information unter den Tisch fallen. Ich habe damit
schon mal einen Teil der Einleitung geschrieben und das funktioniert wirklich
gut.
Manchmal
denke ich mir, dass es vielleicht doch eine Idee wäre nochmal zurück in die
Klinik zu gehen, vielleicht ein bisschen mehr Tagesklinik zu machen und
intensiv zu versuchen die Errungenschaften in den Alltag zu retten. Und nochmal
eine Zeit zu leben, die wieder mehr ist, als ein Dazwischen.
Aber im
Prinzip wäre es nur Aufschub, nur ein wenig Bequemlichkeit. Es wäre die Wiederholung von etwas, das streckenweise
ganz angenehm war (und streckenweise auch nicht – ich habe mich teilweise eben
auch sehr unverstanden gefühlt), aber es würde mich keinen Schritt nach vorne
bringen.
Eher würde
es mir den nochmaligen Einstieg in die Normalität noch schwerer machen.
Bisher gibt
es immer noch Menschen, die Verständnis haben – zum Beispiel eben der Betreuer
meiner Doktorarbeit. Ich fürchte nur – jedes Verständnis ist auch irgendwo
begrenzt. Denn der Alltag muss weiter gehen, die Forschung muss weiter gehen
und das Studium muss zu Ende gebracht werden. Nun hat es auch seitens ihm
Verzögerungen gegeben, da ist das bei mir schon auch mal okay – aber ein Mal.
Und das sind
diese Momente, für die sich diese Decke hinter die Haustür, die dann auf mich herunter
fällt, aushalten lässt. Das muss ich mir immer wieder sagen.
Und
vielleicht… - vielleicht wird es irgendwann besser.
„Okay –
durchhalten“, sagt die Therapeutin am Ende der Stunde und streckt mir ihre Hand
entgegen. „Anders kann man das gerade wirklich nicht nennen“, gebe ich zurück. „Ich
weiß“ ,sagt sie.
Alles Liebe
Mondkind
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