Tag 53 / 116 Rheuma II und ein paar Gedanken zur therapeutischen Beziehung
Dann wäre das Wochenende also auch mal wieder fast vorbei. Mir fehlen noch fünf Seiten Wiederholung, aber das wird jetzt noch
durchgezogen. Dann habe ich nämlich wirklich alles geschafft!
Die Nacht war wieder schwierig, was auch daran lag,
dass hier gestern Abend noch eine Hausparty stattfand. Schlafen unter
erschwerten Bedingungen sozusagen. Also manchmal komme ich mir hier schon vor
wie in einer Jugendherberge oder so… - ich glaube so viele „alte Hasen“ was die
Dauer des Studiums anbelangt, wohnen hier nicht…
Es ist ja auch auf drei Jahre begrenzt und die meisten
werden wohl eher die ersten statt die letzen drei Jahre nehmen.
Ansonsten hat es heute geschneit bei uns und es war
wirklich schön, dass ich mit einem dicken Schal um den Hals, in eine Wolldecke
eingewickelt und mit einem Tee zwischen den Händen den Schneeflocken zuschauen
konnte, wie sie vor dem Fenster tanzten. Es war wirklich so ein ganz
ruhiger Moment… - kennt das jemand?
Ich habe heute auch eine Mail bekommen, über die
ich mich sehr gefreut habe – da muss ich in den nächsten Tagen mal schauen,
wann ich die beantworte.
Kreuzen hat heute auch gut funktioniert - und das obwohl Diabetes dran war! Ich glaube, ich habe es echt (für den Moment) drauf. Es gab nur eine blöde Frage, die darauf abzielte, dass die Hyperkaliämie zu einem Hyperaldosteronismus führt. Wenn man das genau durchdenkt ist es logisch, aber ich kam nicht drauf. Einerseits hat es mich wirklich geärgert, andererseits denke ich mir dann immer, dass es doch auch wichtig ist, das zu wissen. Manchmal glaube ich, ich werde nie eine gute Ärztin, weil ich so viel nicht weiß. Dabei möchte ich doch, dass meine Patienten später bestmöglich versorgt sind.
Nicht schön war heute das Telefonat mit meiner
Mutter.
Ich habe mir schon überlegt, ob ich überhaupt dran
gehe, aber da ich vorher gerade einer Freundin auf whatsApp geschrieben hatte
und meine Mutter da schon mal hinterher spioniert und sich dann beschwert weil
sie weiß, dass ich das Handy gerade in der Hand hatte, blieb mir wohl nichts anderes
übrig.
Die Telefonate enden dann immer im selben Desaster.
Ich habe das Gefühl, wir sind mehr als nur Fremde. Wir reden völlig aneinander
vorbei und verstanden fühle ich mich schon mal generell nicht. Und das zielt
jetzt gar nicht auf die psychische Situation ab – ich kenne ja die Vorurteile
meiner Mutter und da müssen wir auch nicht mehr drüber diskutieren.
Im Endeffekt wollte sie nur, dass ich eine
Überweisung tätige, aber glaubt jemand, sie hätte mal gefragt, wie es mir so
geht und was ich so mache?
Gerade davon ausgehend habe ich mir mal gedacht, dass es nicht mal so
ungewöhnlich ist, dass mein Hirn gerade reagiert, wie es eben reagiert. Das
Problem ist nur, dass das eben einfach nicht passieren darf.
Im Prinzip habe ich ja überhaupt gar keine Bezugspersonen mehr. Mit
sozialen Kontakten ist das ja ein wenig dürftig und solange wie ich mir nicht
sicher bin, wie lange ich das noch überlebe, möchte ich da auch nichts vertiefen,
um es nicht noch komplizierter zu machen, als es ohnehin schon ist.
Mit der Familie – das funktioniert ja nicht, wie wir ausreichend
wahrgenommen haben und seitdem ich von meinem alten Wohnort weg bin, liegen die
Beziehungen dorthin auch einigermaßen auf Eis. Das war mir ja auch vorher klar
und einer der wesentlichen Knackpunkte. Natürlich war es dort eine sehr
schwierige Lebenssituation, weil ich nun mal eine „Fremde“ in einem
funktionierenden Familiengefüge war (ein bisschen wie eine Adoptivtochter, wie in der Klinik mal zynisch angemerkt wurde), aber ich habe dort auch viel
Unterstützung erlebt. Diese Abende, in denen wir manchmal einfach zwei Stunden
am Esstisch saßen, waren echt unbezahlbar. Wenn ich mal kurzzeitig
vergessen konnte, dass ich da eigentlich gar nicht hingehöre. Vor den Klausuren
hat mir die Vermieterin auch sehr oft ein kleines „Survival – Paket“ zusammengestellt
mit ein paar Süßigkeiten und einer Karte, auf der sie mir ganz viel Glück
wünschte. Das hat mich wirklich immer bewegt, bevor ich morgens um kurz vor 6
Uhr das Haus verlassen habe.
Es hatte definitiv auch gute Seiten dort zu sein und vielleicht wären
sie noch viel besser geworden, wenn ich das einfach angenommen hätte, ein Teil
dieser Hausgemeinschaft zu sein.
Zwischendurch ist das Labor dann ein wenig in den Fokus gerückt, war
ein bisschen dieser Ort, an dem ich mich wohl gefühlt habe, aber das geht ja
nun auch nicht mehr.
Und je mehr das Außen wegbricht, desto mehr wird die Therapeutin diese
Bezugsperson.
Ich fand das sehr beeindruckend, dass der Psychosomatiker mich für
diese Tatsache gar nicht verurteilt hat. Ich selbst mache das nämlich, weil mir
bewusst ist, dass es so nicht sein sollte und ich mir denke, dass ich dann eben
alleine in der Welt zurecht kommen muss (was aber laut dem Psychosomatiker gar keiner kann. Jeder braucht irgendwen hat er mir erklärt).
Das Problem ist halt, dass das eine „geschäftliche Beziehung“ ist, die
von der Krankenkasse finanziert wird, was mein Hirn leider nicht so ganz
bedacht hat. Es gibt keine Garantien. Jetzt bin ich natürlich diejenige, die
das beendet, aber das könnte in ein paar Wochen auch andersherum der Fall sein
– rein theoretisch. Und dann könnte ich auch überhaupt gar nichts dagegen tun.
Das Ding ist halt, dass sie viel mehr da ist, als jeder andere. Das
habe ich ja nun – wenn auch etwas unfreiwillig - zu genüge ausprobiert. Jedes
Mal wenn es wirklich gebrannt hat – und ich erinnere mich da insbesondere an
den September – hat sie mich irgendwie dazwischen geschoben und war da, obwohl
das wirklich nicht unbedingt zu ihrem Job gehört. Also Therapeutin zu sein
schon, aber nicht unbedingt auch noch Krisenintervention zu betreiben. Die
hätte mich auch locker an die Klinik verweisen können… - hat sie aber nicht.
Ich weiß nicht, wie sie das so generell handhabt und wie viele Leute
dann bei ihr doch noch irgendwie dazwischen geschoben werden, aber ich finde
das schon fast unangenehm, wenn sie sich da so viel Mühe für mich gibt, weil
ich wirklich nicht weiß, womit ich das verdient habe und damit wirklich schlecht umgehen kann.
Natürlich ist mir klar – und ich glaube, das ist auch noch das einzig
Gute bei der Sache – dass das wirklich eine saubere therapeutische Beziehung
ist. Im üblichen Ungleichgewicht. Ich weiß absolut gar nichts von ihr. Sie hat
mal einen Vermieter und einen Fernseher erwähnt, aber sonst habe ich wirklich
absolut keine Ahnung von ihrem Leben.
Und das muss ich mir dann versuchen irgendwie klar zu machen.
Natürlich trägt diese Beziehung. Das ist ja auch unter anderen Sinn der Sache.
Ich habe mal mit einem Psychiater gesprochen, der mir erklärt hat, dass es
Menschen gibt, die in ihrer Entwicklung viel verpasst haben und sozusagen „nachreifen“
müssen. Das kann mit Hilfe eines Therapeuten geschehen. Dazu – so hat er
erklärt – müsse der Mensch aber erstmal einsehen, dass er eine Schwäche hat und
dann könne er in der therapeutischen Beziehung eine Art Regression erleben, um
dann überhaupt erst in der Lage zu sein Anerkennung und Wertschätzung von Außen
anzunehmen, die man schon tatsächlich brauche. Und wenn das dann von Außen
quasi angestoßen werde, könne der Mensch auch langsam lernen sich selbst
anzunehmen und sich auch selbst wertzuschätzen.
Und weil dieser Prozess eine intensive therapeutische Beziehung
brauche, müsse es quasi fast so sein, dass zwischenzeitlich ein
Abhängigkeitsverhältnis entsteht, das sich aber mit der zunehmenden Gesundung
des Patienten auch von selbst wieder löse.
Also von der Theorie kann man halten, was man möchte. Auf jeden Fall
scheint es irgendwie zumindest ein bisschen normal zu sein, was mir hier gerade
passiert. Ich traue mich nur absolut nicht das anzusprechen, obwohl es glaube
ich ein ganz wesentlicher Knackpunkt ist. Im Mai stehe ich dann wieder alleine
da. Es ist nicht das erste Mal in meinem Leben. Aber jedes Mal doch wieder so
hart.Und vielleicht ist es okay davor gerade ganz viel Angst zu haben...
Alles Liebe
Mondkind
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