Tag 72 / 73 von 116 Psychiatrie II und III und Gedanken zum PJ
Psychiatrie lernen ist für mich ein wenig
anstrengend.
Irgendwie findet man ständig Berührungspunkte mit
sich selbst.
Nur damit ich auch auf jegliche Fallen des IMPPs
vorbereitet bin, lese ich die Themen alle zumindest noch mal durch.
Ich lese von der kognitiven Triade bei
Depressionen, die postuliert, dass depressive Patienten ein negatives
Selbstbild, negative Erwartungen an die Umwelt und auch eine negative Erwartung
an die Zukunft haben und nicht merken, dass das nicht so ganz der Realität
entspricht.
„Mondkind… - Du müsstest doch nur mal ein wenig
positiv denken“, schießt es mir durch den Kopf. „Du weißt doch, was da los ist…“
Ich gehe zum gefühlt hundertsten Mal die
Pharmakotherapie durch und stoße tatsächlich auf eine Sache, die ich noch nicht
wusste. Trizyklische Antidepressiva können zum Syndrom der inadäquaten ADH –
Freisetzung führen… das habe ich noch nie gelesen… Ich frage mich, wie oft das
passiert… vielleicht recherchiere ich das später nochmal.
Ich habe auch gelernt, dass ein Symptom der
Polymyalgia rheumatica eine depressive Verstimmung sein kann und ich bin auch
schon über die entsprechende Frage des IMPP gestolpert. Es sei extrem selten,
steht im Script. Manchmal muss man das IMPP eben kennen. Stammbetonte
Muskelschmerzen + depressive Verstimmung = Polymyalgia rheumatica.
Auch in Psychiatrie gibt es natürlich ein paar
Themen, die ich nicht mag – aber insgesamt waren die letzten beiden Lerntage
einigermaßen angenehm und ich habe sogar ein wenig aufgeholt, sodass ich es
jetzt wahrscheinlich in 3,5 Tagen schaffe, obwohl ich an meinem ersten
Psychiatrie – Tag fast gar nichts geschafft habe.
Aber ich glaube zu viel mehr als lesen, wäre ich in
den letzten beiden Tagen auch nicht im Stande gewesen – das Mirtazapin haut
nämlich ziemlich rein. Was so eine winzige Tablette alles auslösen kann... Gestern
Morgen kam ich überhaupt nicht aus dem Tee. Zwar hatte ich ganz vernünftig
geschlafen, aber leider verschwindet der Wirkspiegel ja nicht mit dem
Morgengrauen und Mirtazapin hat eine ziemlich lange Halbwertszeit. Also hatte
ich den Tag über noch eine Menge davon.
So ein bisschen sediert zu sein, fühlt sich ehrlich
gesagt gar nicht so schlecht an – es war tatsächlich mal ein wenig Ruhe in
meinem Hirn. Allerdings ist das mit der Lernerei eher nicht so praktisch.
Heute ging es schon besser und man soll sich ja
dran gewöhnen, also sehe ich das mal optimistisch für die nächsten Tage.
***
Was mir im Kopf herum spukt, ist auch noch das PJ.
Mittlerweile trage ich die Entscheidung alle acht
Monate weg zu gehen, mal „auf Probe“ mit mir herum. Das hat mir mein
Philosophielehrer mal empfohlen. Er sagte, man solle eine Entscheidung treffen
und ein paar Tage lang beobachten, wie sich das anfühlt…
Und wie fühlt es sich an…?
Ich glaube, wenn das PJ hier nicht laufen würde, wie
ich mir das vorstelle, würde ich mich wirklich immer fragen: „Mondkind, was
wäre gewesen wenn…“ Und ob ich nun hier bleibe oder nicht – es wird sich
ohnehin viel ändern.
Allerdings kann ich es glaube ich jetzt auch noch
gar nicht richtig abschätzen, was das wirklich bedeuten wird.
Es wird alles anders. Plötzlich studiere ich nicht
mehr, sondern stehe schon halb im Berufsleben.
Dann bin ich an einem anderen
Ort mit anderen Menschen. Die gewohnte Umgebung, die gewonnenen Freunde der
letzten Monate, das Labor und irgendwie auch die Uni werden fehlen. Und die
Ambulanz natürlich (auch wenn die in der Ambulanz das nicht gern hören, aber wenn
es nichts bringen würde, wäre ich nicht dort).
Wo hält man sich fest, wenn man sich selbst nicht
halten kann? Wenn bisher immer das Außen gehalten hat und man aber darauf
angewiesen ist, dass das Außen konstant bleibt? Irgendeine Konstante braucht
man glaube ich und manche Menschen mögen die in sich selbst finden und dann
sind Veränderungen auch leichter machbar. Aber bei mir funktioniert das nicht.
(Und ein bisschen frage ich mich schon, warum das
jetzt so negativ betrachtet wird, denn im Prinzip ist es doch nur die logische
Schlussfolgerung aus meiner aktuellen Situation).
Der Gedanke, dass es dann nicht mal mehr drei
Monate sind, bis ich weg bin und vollkommen auf mich selbst gestellt bin, ist
erschreckend. Ich weiß noch nicht, wie das funktionieren soll. Aber das wüsste
ich ja hier genauso wenig. Der einzige Vorteil wäre eben, dass ich hier eine
Anlaufstelle hätte, wenn es akut überhaupt nicht mehr geht. Aber würde ich das
machen? In dem Wissen, dann die Kontrolle abzugeben, das PJ eventuell erstmal
nicht weiter zu machen? Komme ich nicht vielleicht – wo auch immer ich dann bin
– zu dem Schluss, dass ich gar nicht weiß, wofür es sich eigentlich noch lohnt zu
kämpfen und ich in diese ganze Mühle gar nicht noch mal hinein will?
Denn ob man letzten Endes wirklich Hilfe aufsucht wenn es brennt, setzt ja immer noch die Entscheidung für das Leben voraus.
Ich glaube der Gedanke, dass ich heute noch nicht
wissen kann, was ich in drei Monaten fühle und denke, macht es ein wenig
einfacher. Das ist wie mit den Garantien. Ja, es kann falsch sein. Es kann
sein, dass ich in den Tagen vorher absolut verzweifelt in meinem Zimmer sitze,
weil ich einfach überhaupt keinen Plan habe und das Gefühl habe da in etwas
hinein zu laufen, aus dem ich nie wieder heraus komme. Aber das muss nicht so
sein. Vielleicht spinnt meint Hirn auch gerade nur aufgrund der
Examensvorbereitung und ich freue mich auch ein wenig.
Aber ich werde es nie wissen, wenn ich es nie
versucht habe.
Mondkind
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