Tag 71 / 116 Psychiatrie I Teil I und Gedanken zum Thema Krankheit



Irgendwie habe ich langsam ein Problem denke ich.
Heute ging einfach nichts. Absolut gar nichts. Ich habe noch mit Biegen und Brechen ein halbes Psychiatrie – Kapitel hinbekommen. Obwohl das eigentlich auch nur so Pseudo – mäßig „produktiv“ war – es standen affektive Störungen auf dem Programm - denn im Ernst: Teilweise muss ich mich ja nur selbst fragen. Und die Psychopharmaka in dem Bereich sind jetzt auch keine große Kunst für mich…

Ich überlege, was ich jetzt machen soll… ja okay, Pause – aber das hat alles irgendwie keinen Sinn, wenn ich ohnehin nicht schlafen kann. Ich würde ja gerne… - und ich habe heute (fast traue ich mich es nicht zu sagen, weil es eigentlich GAR NICHT geht), zwei Stunden auf dem Bett gelegen und mir mal vorsichtshalber einen Wecker gestellt, damit ich beruhigt einschlafen kann und auch nicht verschlafe.
Es klappt einfach nicht.

Und ich glaube mit dieser immensen Lernbelastung und auch der emotionalen Belastung der letzten Zeit mit meiner Familie, dem Theater in der Ambulanz und dem PJ, komme ich mit meinen vier bis fünf Stunden pro Nacht im Moment einfach nicht mehr aus.

Wenigstens habe ich heute mal eine Glühbirne besorgt, war endlich mal einkaufen und habe das Mirtazapin organisiert. Ich bin gespannt… - obwohl das so schnell auch nicht wirken wird und es bisher immer so war, dass ich ja selbst von den hohen Dosierungen nichts gemerkt habe.

Ein bisschen Auge habe ich heute noch gekreuzt und festgestellt, dass es schon ziemlich erstaunlich ist, dass man bei einigen Erkrankungen doch relativ treffsicher die richtige Antwort ankreuzt, obwohl man von den meisten dieser Erkrankungen bis vor einer Woche noch nie im Leben etwas gehört hat.

Ich versuche heute Abend zumindest noch die Hälfte von Neuro zu wiederholen, dann mache ich morgen das Psychiatrie – Kapitel fertig und die andere Hälfte von Neuro und arbeite vielleicht ein wenig für Sonntag vor, damit ich dann mein Kapitel wieder schaffe… So irgendwie ist das jetzt notgedrungen der Plan…

***

In meinem Elternhaus regiert das Chaos, habe ich vernommen.
Wenn man meine Mutter alleine lässt, über Nacht schlafen geht und morgens durchs Haus geht, sehe es wohl aus, wie nach einem Anschlag. Klamotten liegen im Flur verteilt herum, in der Küche stehen die Essensreste und in den Kühlschrank wurde sowieso schon mal nichts gepackt. Ich will das gar nicht weiter ausführen, aber es muss furchtbar sein.

Und in dem Zusammenhang ist mir mal aufgefallen, dass meine komplette Familie im Prinzip dasselbe Problem hat und wir uns damit alle irgendwie an den Rand des Abgrundes bringen.

Meine Mama ist chronisch krank und was ihr wirklich sicher helfen würde, wäre mal eine vernünftige Medikamenteneinstellung. Ich habe viele Menschen im Verlauf meines Studiums gesehen, die an derselben Erkrankung leiden wie sie und nicht einem davon ging es so schlecht wie ihr.
Und auch wenn unser Verhältnis zueinander ziemlich zerrüttet ist, aber das tut einfach weh.

Letzten Endes ist aber auch bei ihr von Krankheitsakzeptanz keine Spur. Die Ärzte haben sich geirrt, sie hat das ja alles gar nicht und überhaupt – man würde ihr ja im Alltag nichts anmerken.
Ich wette, für sie ist jeder Arztbesuch eine absolute Tortur und immer wenn ihr ein Arzt vorschlägt, dass sie sich ja mal stationär medikamentös einstellen lassen könnte, wechselt sie den Arzt.

Am Ende sitzen wir alle im selben Boot. Am Ende sind es dieselben Leitsätze, die uns kaputt machen.
„Du darfst nicht krank sein.“
„Du hast unter allen Umständen zu funktionieren.“

Ich glaube dadurch, dass ich Medizin studiere, konnte ich mich davon zumindest schon ein Stück entfernen. Menschen werden krank. Und keiner sucht sich das aus. Ich würde nie einem meiner Patienten das Recht absprechen, krank zu sein – nur warum erlaube ich es mir selbst dann nicht?
Und Kranksein ist auch kein Zeichen von Schwäche. Eigentlich ist es doch eher ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein und Stärke, sich damit auseinander zu setzen und am Ende einen Weg zu finden, Kranksein in das Selbstbild zu integrieren und trotzdem das Beste daraus zu machen. 



Ich muss mich ja eigentlich gar nicht über meine Mama aufregen – bei ihr ist das nur offensichtlicher, weil es nicht vorrangig um eine psychische Krankheit geht, sondern sie wirklich körperlich beeinträchtigt ist.
Ich meine ganz im Ernst: Was sucht eine Studentin mit – wenn ich nochmal den Arzt von gestern zitiere (und ja, es hat mich geschockt) – schweren Depressionen und rezidivierender Suizidalität - im Studium?
Ich sage nicht, dass Krankheit dazu verdonnern sollte, generell nicht mehr zu arbeiten oder zu studieren – das wäre auch falsch.
Allerdings stehe ich im Moment genau deswegen mit dem Rücken zur Wand, weil ich im Prinzip weiß, dass es so nicht mehr weiter geht und mir das noch nie so klar war, wie jetzt. Und auf der anderen Seite kann ich es mir aber nicht erlauben, mich erst um meine Gesundheit zu kümmern und dann – stabiler und mit mehr Motivation und Elan und auch (hoffentlich) mit Spaß an der Sache, weiter zu studieren.

Wenn das nur alles so einfach wäre… Wenn es reichen würde, das zu durchdenken…
Auch wenn es jetzt mehrfach Thema war, kann ich mich denke ich nicht dazu entscheiden, das PJ jetzt nicht zu machen. Mir war das gar nicht so klar, aber meine Therapeutin meinte letztens zu mir, dass das für mich ja super schwer sei, mich generell auf irgendetwas einzulassen und den Ärzten zu vertrauen, dass sie wissen was sie tun.

Ich weiß halt auch nicht, was passieren würde, wenn ich über das Thema offen mit dem Oberarzt, der sich in puncto PJ für mich verantwortlich sieht, sprechen würde. Welcher Arzt würde denn nicht sagen: Werde erst gesund und mache dann das PJ. Und welcher Arzt würde einem Kranksein übel nehmen? Mal im Ernst: Dann hätten die ihren Job verfehlt…

Manchmal – ich glaube, das habe ich schon mal irgendwo geschrieben – glaube ich wirklich, dass mir das Medizinstudium das Leben gerettet hat. Ob ich es wohl als Jurastudentin (das war die Alternative, die unsere Eltern so für uns angedacht hatten…) zum Arzt geschafft hätte, bevor ich an der Verzweiflung über das Leben kaputt gegangen wäre? Ich weiß es nicht.
Denn eins muss man ja sagen: Durch das Medizinstudium sitzt man eindeutig näher an der Quelle. Es ist nicht nur so, dass uns in den Psychiatrievorlesungen näher gebracht wurde, dass es eine Krankheit wie jede andere ist, die jeden treffen kann – inklusive Psychiater. Es ist auch so, dass gerade in der Anfangszeit sich die Ärzte und Psychologen einfach mehr dahinter geklemmt haben und ich öfter gehört habe: „Mondkind bei Ihnen ist uns das besonders wichtig“ und auf meine irritierte Frage warum das so sei, kam dann: „Na Sie sind mit Ihrem Medizinstudium schon näher dran an uns, als andere Menschen.“
Ob das nun gerechtfertigt ist so etwas zu sagen oder nicht, ist mal eine andere Frage – aber im Nachhinein bin ich unglaublich dankbar dafür. In der Ambulanz wird das ja scheinbar nicht so gern gehört, aber bevor ich da hinkam war ich so dermaßen verzweifelt, dass für mich klar war, dass dieses Projekt jetzt klappen muss, oder ich das nicht mehr lange durchhalte.

Ich weiß nur nicht, was ich jetzt mal wieder aus den Erkenntnissen mache. Wissen und Handeln sind zwei verschiedene Dinge. Und wenn es um Wissen ginge, dann hätten sich schon längst ein paar Dinge hier grundlegend geändert. Der Arzt meinte gestern auch zu mir: „Aber Frau Mondkind, Sie studieren Medizin. Sie wissen doch, dass Depressionen mittlerweile sehr gut behandelbar sind und das kein Grund zur absoluten Verzweiflung ist.“
Natürlich weiß ich das. Ich weiß auch, wie die Medikamente wirken, was man wie miteinander kombinieren kann. Ich kenne Studien zu den Medikamenten und so weiter und so fort. Aber das hilft meinem Hirn leider nicht zu glauben, dass es irgendwann okay wird.

Was ich mich auch gerade frage… - aber weil ich das noch nicht durchdachte habe, kommt zu dem Thema vielleicht andermal ein Post: Wo fängt Krankheit an? Bei körperlichen Krankheiten ist das ja relativ einfach zu definieren, aber wo fangen psychische Krankheiten an? Klar, das ICD – 10, bzw. DSM  hat da auch Definitionen, aber einige davon sind maßlos übertrieben und das ganze System dient ja auch letzten Endes nur der Abrechnung und nicht der realen Einschätzung der Patienten.
Ist jetzt jemand – wie ich – die es trotz allem bisher irgendwie hinbekommt, berechtigt sich erstmal um ihre vermeintliche Gesundheit zu kümmern?
Ich weiß es nicht...

Mondkind

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