Psychiatrie #17 Müdigkeit


Atmen.
Ist manchmal alles was bleibt, wenn der Rest  aufgibt.
Igelmodus. Nicht nur im Kopf. Sondern auch mit dem Körper.

Friseur war am Wochenende geplant. Fand ich eine gute Idee. Beseitigen des Vogelnestes auf dem Kopf. Bis… - ja, bis ich dann darüber nachgedacht habe, was das heißt. Ist das moralisch gesehen vertretbar, sich in der jetzigen Situation Gedanken um die Haare zu machen? Auch wenn sie massiv stören? Und schaffe ich das überhaupt in die Stadt zu fahren? Die Stadt, die ich doch ohne ihn gar nicht kenne? „Sie können dann ja noch mit wem einen Kaffee hinterher trinken gehen“, sagte die Stationsärztin heute zu meinen Plänen und wusste nicht, was sie damit auslöst. Würde ich gern tun. Wenn es den Typen, mit dem ich in dem einen Sommer ohne Examensstress den wir hatten durch die Cafés des Stadt gezogen bin, noch geben würde. Dann wäre das hundert prozentig der Plan für morgen.
Die Pflege sagt, ich muss das nicht machen. Aber jetzt den Termin wieder abzusagen… - ob das überhaupt geht… ? Und dann muss ich sowieso in die Stadt und endlich mal Briefpapier kaufen. Und Ordner zum Abheften der Unterlagen. Außerdem muss ich irgendwie weiter kommen.  Ich muss zurück in die Stadt. Auch ohne ihn.

Herrn Therapeuten unterrichten wir dann mal über den Igelmodus.
Berichten, dass wir Angst haben, uns nicht nur selbst zu verurteilen für alles, was passiert ist, sondern, dass vielleicht auch das Personal mich verurteilt. Was keiner macht, aber was nun mal mein Gefühl ist. Und ich mich deshalb sehr unwohl auf der Station fühle. Lässt er so stehen.
Und irgendwann viel später im Gespräch: „Also ist Suizid doch wieder eine Option?“ Mit einem Ton, der doch etwas von Vorwurf hat. Wie mir das denn jetzt einfallen kann. Naja… - klar ist das eine schwierige Kiste, nachdem was ich jetzt gerade erlebe. Aber kann mir bitte Jemand erklären, wie ich so weiter leben soll? Ohne die beiden wichtigsten Personen in meinem Leben? Die potentielle Bezugsperson hat zwar am Anfang irgendwann mal erwähnt, dass ich sie auf dem Laufenden halten soll und das habe ich eine Weile auch brav gemacht, aber nachdem da gar keine Rückmeldung kommt, sehe ich das nicht wirklich ein. Ich werde mich schon an ein Leben ohne ihn gewöhnen müssen – oder eben auch nicht. 

Einer der wenigen hellen Momente des Tages. Morgens um kurz nach 6 Uhr mit der Katze💓

Ich kann einfach nicht mehr. Diese ständigen Verluste. Das Bemühen um Welten, die auseinander brechen, bevor sie stehen. Es geht nicht mehr. Wirklich nicht.
Heute habe ich die meiste Zeit des Tages tatsächlich auf dem Bett gelegen. Weil dieses Denken so müde macht. Die Gedankenschleifen. Und wenn man irgendwann feststellt, dass man nicht mehr eine Seite eines Buches zu lesen schafft, macht es das nicht besser. In rund einem Monat soll ich wieder arbeiten gehen. Im weißen Kittel über die Flure fegen. Und so gern ich meinen Kollegen sagen würde, dass ich morgen wieder da bin, muss ich langsam einsehen, dass es nicht geht.

Vielleicht komme ich langsam hier an. Vielleicht. Lasse langsam mal los. Den Funktioniermodus.
Und doch habe ich das Gefühl – ich bin so müde von diesem Leben, dass mir der stationäre Aufenthalt hier vielleicht gerade das Leben rettet, aber sonst nicht viel bringt. Der Herr Therapeut könnte sich vermutlich gerade mal wieder auf den Kopf stellen. Solange, wie der Lebenswillen so gering ist. Und dann kommen mir die Worte des Kollegen wieder in den Sinn, der eigentlich an dem Tag über den Freund sprach: „Mondkind, es gibt Menschen, die sind so schwer depressiv, da kannst Du nichts mehr machen. Die tauchen immer wieder in der Klinik auf und dann kannst Du sie mit Tavor abschießen, aber mehr kannst Du nicht machen. Reden bringt da gar nichts…“

Es gab eine Zeit, in der mir die Sache mit der Suizidalität keine Angst mehr gemacht hat. Ich wusste, es passiert. Es ist okay für mich. Die Menschen werden damit leben können. Was ist, wenn es passiert und die Menschen nicht damit leben können? Was ist, wenn Menschen so sehr leiden, wie ich jetzt? Und ich daran Schuld bin? Aber wie soll ich dieses Leben tragen, wenn ich am Ende immer alleine bin? Das hier ist eine nette Auffangstation, aber sobald ich wieder zurück in der Ferne bin, ist da nichts mehr.

Ich muss bis Montag meine Therapiemotivation wieder finden. Ich wollte es doch anders machen, dieses Mal. Und die Termine bei Herrn Therapeuten sind gezählt, die sollte man gut nutzen.
Und irgendwie… - nachdem er sich so viel Mühe um mich gegeben hat, bin ich auch echt verpflichtet, mir mindestens genauso viel Mühe zu geben und es endlich mal auf die Kette zu bekommen.

Mondkind

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