Psychiatrie #6 Ein Hauch von Schematherapie
Sonntag, 13. Juli 2020
Ich sortiere gerade meine Wäsche, als „mein“ Oberarzt anruft. Ein
Telefonat, das sich mal gewaschen hat. Es solle mir jetzt bloß nicht einfallen,
mich entlassen zu lassen. Ich versuche ihm zu begründen, dass meine Idee ist,
mich auf die Warteliste schreiben zu lassen für die Station, auf die ich gern
möchte und dazwischen zurück zu kommen und zu arbeiten. Dass das für mich am
meisten Sinn hat, weil ich einfach auch irgendwann mal nicht mehr immer von
vorne die Geschichte erzählen kann.
„Mondkind, Du hast genau einen Schuss. Du hättest diese Chance nicht
bekommen, wäre dieses Ereignis jetzt nicht passiert (Danke, echt…), also jetzt
nutze die. Und Dich wieder entlassen zu lassen, ein paar Wochen zu arbeiten und
dann nochmal rein, das kannst Du vergessen, das funktioniert nicht.“
An irgendeiner Stelle geht es dann auch noch darum, was in dem Gespräch
zwischen den ganzen Oberärzten und Chefs überhaupt gesprochen wurde. „Mondkind,
das Gespräch ging 20 Sekunden und Du bist auch nicht immer der Mittelpunkt der
Welt…“
Ja… okay…
Nachmittag. Ich bin mit meinem PC in den Aufenthaltsraum gezogen, um die
Bewerbung einer Freundin zu korrigieren.
An meine Ohren dringt plötzlich eine vertraute Stimme. Bilde ich mir das
ein, oder ist eine das Pflegerin von der Station, auf der ich gewesen bin? Noch
eine Weile lausche ich aufmerksam den Stimmen, dann kann ich sie zuordnen. Sie
war nicht diejenige, mit der ich die besten Gespräche geführt habe (ein richtig
Gutes hatten wir), aber immerhin überhaupt mal jemand, den ich kenne.
Um mir ganz sicher zu sein, beschließe ich meine ohnehin fast leere
Wasserflasche auszutrinken und umzutauschen. Vorsichtig – wie ich immer bin –
klopfe ich und stecke den Kopf zur Tür herein. „Immer noch genauso schüchtern
wie damals“, stellt sie Pflegerin fest. Juhu, sie hat mich auf dem Schirm. Das
war doch alles was ich erstmal wissen wollte.
Später am Abend bei der Medikamentenausgabe (ich muss langsam eine
Resistenz gegen Tavor entwickeln, sonst werde ich bald so müde hier sein, dass
ich nicht mehr denken kann), frage ich sie, ob sie im Lauf des Abends mal eine
Ecke Zeit habe. „Ob ich eine Ecke Zeit habe…“, wiederholt sie amüsiert. „Ja
klar Frau Mondkind…“ Wow… - sie kann meinen Namen aus dem Ärmel schütteln.
Später am Abend sitze ich noch mit meiner Teetasse (Therapeutentee!)
(seine Tassen muss man hier hüten, wenn die leer sind, gibt es nämlich
nirgendwo mehr welche) im Aufenthaltsraum, als sie mich einsammelt.
Was in solchen Situationen mit mir passiert, finde ich ehrlich gesagt
ziemlich heftig. Maskenmondkind funktioniert streckenweise tatsächlich schon
wieder ganz gut. Aber wenn ich Personen hier habe, die die zerbrechliche
Mondkind noch kennen ist, ohne dass ich etwas dagegen tun kann, sofort
Feierabend. Das Erste das passiert ist, dass ich in Tränen ausbreche und sie
Taschentücher holen muss.
Was passiert ist, möchte sie wissen. Ich spreche. Von der Bezugsperson.
Die nicht so für mich da sein kann, wie ich das gern hätte. Dass ich das aber
verstehe. Seine Begründung. Dass ich jetzt wieder all die Menschen im Ohr habe,
die mir immer schon gesagt haben, dass das nichts werden kann. Und, dass sich
dann auch noch der Freund das Leben genommen hat. Und ich mich so schuldig
fühle. Weil ich nicht für ihn da gewesen bin. Weil ich die Prioritäten anders
herum gestellt habe. Erst versuchen wir es in der Ferne hinzubekommen. Während
er acht Monate lang verzweifelt gewartet hat, dass ich zurückkomme. Jeder hat
gekämpft. An unterschiedlichen Fronten. Niemand von uns beiden hat etwas
gewonnen. Es waren zwei Wochen zu früh bei ihm. Es war dieser halbe Meter, der
noch zu gehen war. Der die Dinge vielleicht geändert hätte. Ich falle hier
völlig auseinander, er hat sein Leben verloren.
Tragisch ist das, sagt die Pflegerin. So einfühlsam wie sie heute vor mir
sitzt, habe ich sie nicht in Erinnerung. Aber gerade bin ich unglaublich
dankbar. „Was sagt denn jetzt die kleine Mondkind dazu?“, fragt die Pflegerin
irgendwann. „Naja, die ist komplett am Ende…“ „Wiederholt sich da nicht etwas
mit Ihrer potentiellen Bezugsperson…?“, fragt die Pflegerin. Und schiebt nach
ein bisschen Schweigen meinerseits hinterher „Lässt er Sie jetzt nicht so
alleine wie ihr Vater damals…?“ „Naja…“, setze ich zur Verteidigung an, „so ist
es nicht. Es ist nicht so, dass es ihn gar nicht interessiert wie es mir geht
und wir können noch zusammen arbeiten. Und gerade – in dieser extremen Situation
– fragt er auch nach mir. Wobei er da auch schon eher die Rolle des Ermahners
einnimmt, aber wahrscheinlich macht er sich einfach Sorgen…“ „Aber kann denn
die kleine Mondkind das differenzieren…?“, fragt die Pflege. „Nee…“, sage ich. „Genau
und deswegen müssen Sie jetzt als gesunder Erwachsener ein bisschen auf die kleine
Mondkind aufpassen…“ Und wieder mal kommen wir darauf, dass der Anteil des
gesunden Erwachsenen noch viel zu klein ist.
Es geht um Schematherapie. Was da so machbar ist. Oder vielleicht auch
nicht machbar? Bis Anfang August sei jedes leer werdende Bett verplant. Die
Chancen, dass irgendetwas klappt, sind gering. Aber die Pflegerin ist die
Erste, die versteht, dass ich einfach nicht mehr von vorne anfangen kann. Nicht
das dritte Mal. Das ist einfach zu viel.
„Reden Sie mal morgen mit dem Oberarzt darüber und begründen Sie dem auch
genau, warum Schematherapie Ihnen so sehr geholfen hat. Ich kann das schon
verstehen, dass Sie daran erstmal weiter arbeiten wollen. Vielleicht findet
sich ja eine Lösung…“ Ich würde ja auch in einem anderen Haus schlafen und dann
halt tagsüber rüber pendeln. Aber ich möchte einfach so gern diese Chance
bekommen, nachdem das für mich die hilfreichste Therapieform war, die ich je
hatte.
Sie erwähnt dann noch, dass die Oberärztin aktuell nicht da ist. Und
zumindest letztes Jahr war es so, dass mein sehr geschätzter Herr Psychiater
die Station dann vertretungsweise übernommen hat. Eigentlich wollte ich ihn
diesmal wirklich da raus halten. Er muss um Himmels Willen nicht wissen, dass
ich auf der geschützten Station bin; er versteht die Welt nicht mehr. Jetzt
habe ich ihm noch geschrieben. Wenn er gerade das Zepter der Station in der
Hand hat…
So… - ich bin gespannt. Was hier heute passiert. Ob wir mal einen Arzt
sehen. Einen Psychologen. Ein bisschen was wie Therapie.
Man weiß es nicht.
Ich berichte.
Allen Lesern wünsche ich einen guten Start in die neue Woche!
Mondkind
P.S. Entschuldigt, dass hier teilweise die Bilder fehlen. Zum Einen habe ich nicht viel Internet, zum anderen ist das auf einer geschützen Station echt schwer das regelkonform zu machen.
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