Psychiatrie #9 Oberarztvisite und Perspektiven
Heute ist Oberarztvisite.
Irgendwie ist das ein schnelles Visitchen. Bisher musste man da immer ewig
anstehen, aber hier werden scheinbar zu jedem Menschen nur ein paar Takte
gesagt.
Ein bisschen Herzrasen habe ich
dann doch, als ich auf dem Stuhl vor dem Arztzimmer sitze. Eigentlich kenne ich
die Riege da drin ja nicht besonders gut.
Wie es mir so geht, will man
wissen. „Naja, es geht so…“, sage ich. Und, was jetzt mein Plan ist, das möchte
man auch wissen. Ich führe nochmal aus, dass ich sehr gerne auf die Station vom
letzten Mal wollen würde und man da jetzt eben schauen muss, wie es mit der
Wartezeit ist. Der Oberarzt hat gute Neuigkeiten – in genau zwei Wochen – am 28.07.20
kann ich auf die alte Station verlegt werden. Solange müsse ich allerdings noch
auf der geschützen Station verharren, wird mir gesagt. Eigentlich ist das ja
gar nicht so schlecht, denke ich mir. Da kann man zumindest das Thema mit der
Suizidalität nochmal in den Mittelpunkt stellen und braucht dafür nicht mehr so
viel Zeit auf der anderen Station – auch wenn ich mittlerweile weiß, dass mein
Therapeut dort sich gut damit auskennt. Da nimmt aber der Herr Oberarzt mir den
Wind schon aus den Segeln, indem er anmerkt, dass Suizidalität ja jetzt wohl
kein Thema mehr sei. Immer diese Unterstellungen…
Eigentlich hätte mich diese
Nachricht wohl freuen sollen und im ersten Moment hat sie das auch wirklich
getan. Und dann… - vielleicht brach dann alles ein bisschen über mir zusammen.
Irgendwie hatte ich damit
gerechnet, dass die den Platz auf der Station für mich nicht bekommen und ich
spätestens Ende der Woche zurück in meinen vier Wänden bin. Und jetzt nicht
noch rund 10 Wochen lang ein super unproduktiver Teil des Gesellschaft bin.
Es wae so Vieles gleichzeitig,
das auf mich einprasselte. Die Erleichterung, die Dankbarkeit, dass ich die
Chance nochmal bekomme. Die Angst vor der Reaktion der Vorgesetzen, die Angst
vor mir selbst, wieder versagt zu haben. Der Druck, dass es diesmal wirklich
klappen muss.
Und ich habe mir zum ersten Mal
erlaubt, mich auf die Station hier einzulassen und nicht dagegen zu kämpfen von
wegen „Du gehörst hier gar nicht hin…“ Natürlich ist es nicht der „place to be“,
aber irgendwie doch sicher. Ich werde hier mit ein bisschen Bemühen meinerseits
nichts sterben.
Und plötzlich ist da Raum. Raum
für alles, für das sonst keinen Platz ist. Trauer zum Beispiel. Nach dem ersten
Tag vor mittlerweile bald zwei Wochen habe ich gestern stundenlang um den
verstorbenenen Freund geweint. Und um dieses Drama, das diese Geschichte
darstellt. Ich muss nicht mehr funktionieren. Und mit dieser Erkenntnis
zerfalle ich dann mal.
Der Ergotherapeut der Station hat
gestern wirklich gut aufgefangen. Er kam genau zum richtigen Zeitpunkt und dann
war erstmal eine halbe Stunde begleitetes Heulen angesagt, ehe er mich mit ein
bisschen Musik zum Entspannen entlassen hat und ich auf meinem Bett dann
erstmal eingeschlafen bin. Psychiatrie
kann sehr, sehr anstrengend sein.
Am Abend hatte ich noch eine
lange whatsApp – Konversation mit einem Kollegen, der sich gerade ultra viel
Mühe gibt. Er sagt, dass es jetzt nicht darum geht, was die anderen denken oder
erwarten, sondern darum, das angeschlagene Selbst zu rehabilitieren. Dass
niemand im Moment so schlecht über mich denkt, wie ich über mich selbst. Und
ja, eigentlich ist das nichts Neues, aber es bewegt doch, wenn er schreibt: „Du
musst jetzt so leiden, weil Du diese falschen Überzeugungen so unkritisch
übernommen hast. Du definierst Dich durch die Arbeit, die Du verrichtest. Wenn
Du Dein Selbstwertgefühl davon abhängig gemacht hast, hast Du verloren, wenn Du
krank wirst. Selbstannahme bedeutet, sich bedinungungslos zu akzpetieren.“ Und
dann fragt er, ob ich denn selbst andere kranke Menschen als nutzlosen Teil der
Gesellschaft sehe. Und wenn nicht – was nicht so ist, sonst hätte ich den
falschen Job – muss ich mich selbst auch nicht so sehen.
Ich werde irgendwann wieder im
weißen Kittel über die Flure fegen. Nur eben nicht jetzt. Und das ist okay.
Ich glaube, mir war noch nie so
sehr wie bei diesem Klinikaufenthalt bewusst, wie sehr ich kämpfen möchte. Für
eine bessere Zukunft. Für mich. Das wird nicht einfach. Weil ich mich über die
Jahre immer mehr verloren, als gefunden habe. Wer bin ich ohne den Job? Weil
sich die destruktiven Gedanken und Selbstvorwürfe nicht einfach abstellen
lassen. Aber ich will es versuchen. Mehr als je zuvor.
Ich möchte einfach irgendwann mal
glücklich sein. Und diese Chance nutzen, die ich hier bekommen habe, auch wenn
alles was passiert ist, eine einzige Tragödie ist.
Mondkind
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