Psychiatrie #20 Spiegelbilder bei Herrn Therapeuten
Nachrichten, die ich viel eher gebraucht hätte. Im Austausch mit den
Kollegen.
Mittlerweile so spät, dass es beinahe weh tut – auch wenn es natürlich
schön zu hören ist, was deren Wahrnehmung ist.
„Jeder war mit Deiner Arbeit zufrieden…“
„Nur in Deinem Fall wollte [der Chef] eine Ausnahme machen, was aus
meiner Sicht völliger Irrsinn war.“
Und ich… - habe mich monatelang verrückt gemacht, um den Ansprüchen
gerecht zu werden. Weil ich glaubte, dass es so sein muss und richtig ist, wenn
die Leute ihre Ansprüche an mich heran tragen. Dass ich es schaffen muss, die
zu erfüllen. Dass vielleicht jeder so mit den Diensten gegängelt wird, ich das
einfach aushalten muss und es mein Fehler ist, dass ich das nicht schaffe.
Hätten wir das nicht von Anfang an anders lösen können? Von Anfang an
den Druck raus nehmen können? Von Anfang an sagen können, dass es
überfliegermäßig – gut wäre, wenn ich das schaffen würde, aber dass es auch
sonst genug ist?
Wieso wird so Vieles erst deutlich, wenn die Katastrophen passiert
sind? Wieso erst dann, wenn aus der verlässlichen Mondkind eine dauerkranke
Mitarbeiterin geworden ist?
Dieses Bild, das ich da mal hatte, werde ich so schnell nicht mehr
aufrichten können. Auch ein Verlust. Neben all dem anderen.
Manchmal liege ich hier nachts in meinem Krankenhausbett in meinem
weißen Bettzeug und versuche zu begreifen, was hier passiert ist. Niemals hätte
ich geglaubt, unter welchen Umständen ich zurück hierher komme. Und ob ich das
in der Zeit überhaupt begreifen werde…?
Und dann wird mir klar: Wenn man mich hier entlässt, dann gehe ich
alleine. Mailaustausch mit der ehemaligen, potentiellen Bezugsperson
funktioniert zwar schon noch, wenn ich eine konkrete Frage habe, aber sie sind
wesentlich distanzierter. Dann kommen Dinge wie: „Weil zum Beispiel sich eine
Hausärztin in [Stadt] zu suchen wenn man nicht mal ein Auto hat, ist vielleicht
kein so gelungener Beginn…“ Und ganz leise vor meinem PC sitzend denke ich mir
dann: „Und wer wollte sich mit mir um die Auto – Geschichte kümmern? Und mit
mir wieder ein bisschen Fahren üben?“ Wir hatten mal Pläne. Hatten wir. Und
jetzt… - ist das schon sehr fraglich, ob wir je wieder in seinem Büro sitzen
und reden werden. Ich glaube, es wird noch lange dauern, bis ich das
verinnerlicht habe, aber die Welt von früher gibt es nicht mehr. Der eine
Sommer, den ich hatte, 2018, als die Seele sich ganz vorsichtig an Jemanden
angelehnt hat, der mitgetragen hat, ist vorbei. Und der kommt nie wieder
zurück.
„Sie trauern also um zwei Menschen…“, stellte letztens die Bezugspflege
fest, nachdem ich kurz die Geschichte, die den Neuro – Oberdoc und mich
verbunden hat, erzählt habe. Im Prinzip schon. Ich vermisse den emotionalen
Halt, der von diesem Menschen ausgeht, unglaublich. Gleichzeitig wäre das
vermutlich die letzte Möglichkeit gewesen, diese Familiengeschichte ein
bisschen zu überschreiben. Nochmal werde ich so einen Menschen nicht finden und
nochmal werde ich mich auf so eine Geschichte auch nicht einlassen. Langsam ist
selbst eine Mondkind mal zu oft verletzt worden.
Und dann kann ich es so oft immer noch nicht glauben, dass der Freund
und ich nie wieder miteinander reden werden. Dass es das jetzt einfach war. Der
größte Haltgeber im privaten Umfeld. Der ohne ein Wort zu hinterlassen,
gegangen ist. Ich weiß nicht mal, wo ich ihn jetzt besuchen kann.
Es ist interessant, wie die Menschen die Freundschaft bewerten. Sowohl
aus dem privaten Umfeld, als auch von den Therapeuten habe ich schon gehört,
dass es irgendwie mehr als eine normale Freundschaft war. Keine Beziehung, weil
wir es selbst nicht so genannt haben (vielleicht waren wir auch nur zu scheu),
aber irgendwie auch zu viel und zu eng für „nur“ Freunde.
Wenn ich den Blick auf die Zukunft richte, dann weiß ich nicht, was da
ist. Es ist nicht so, dass es gar keine Menschen mehr gibt in meinem Leben.
Aber etwas, das so tief ging, wie mit diesen beiden Menschen, habe ich nicht
mehr.
Therapiemäßig stand heute früh metakognitives Training an. In dem –
für mich zur Auffrischung – mal wieder vermittelt wurde, dass dieses
Verallgemeinerungsdenken bei Depressionen verbreitet, aber nicht sehr
förderlich ist. Da fiel es mir doch wie Schuppen von den Augen, dass ich aus
gelegentlichen kleineren Fehlern auf der Arbeit ein „Mondkind ist generell
unfähig“ gebastelt habe und dann tatsächlich sehr erstaunt war, dass man mir
jetzt gesagt hat, dass ich meine Sache da gut gemacht habe. Was auch irgendwie
ein Stück weh tut. Ich hätte nur weiter machen müssen. Nur einfach weiter…
Ich habe gehofft, meine überstrengen Kritiker und Forderer, die gerade
wieder meinen durchdrehen zu müssen, weil ich nicht arbeiten gehe in der
Gruppen – Schema – Therapie unterbringen zu können und habe sogar das Hasenherz
zusammen gefasst und den Themenwunsch angebracht, aber am Ende haben wir doch
über das Thema einer Mitpatientin gesprochen.
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Ein vorsichtiger Anfang eines ersten Briefes. Es werden wahrscheinlich Viele. Ich brauche nur endlich einen Raum und nicht nur wenige Minuten Zeit, wenn die Mitpatientin mal unterwegs ist... |
Therapiestunde.
Heftig heute.
Herr Therapeut startet mit einer kleinen Ansprache. Zum Thema
Therapiemotivation. Dass ich wirklich versuchen sollte, die wenige Zeit, die
wir haben so gut wie möglich zu nutzen und er es schon echt gut findet, dass
ich versucht habe in der Gruppe meine Themen unter zu bringen. „Worum ich Sie
ein bisschen bitten würde – weil wir uns ja jetzt auch schon so lange kennen –
vertrauen Sie mir…“ Mache ich ja irgendwie schon längst – viele Menschen hätten
mich nicht in die Notaufnahme bringen dürfen. Und irgendwie macht er es mir ja
auch einfach. Wie gern ich mich einfach in diesen Menschen fallen lassen würde…
- aber die Wege trennen sich in spätestens vier Wochen. Und auch wenn es „nur“
ein Therapeut ist – aber das ist wieder ein Verlust. Ist halt einfach so. Auch,
wenn ich schon irgendwie hoffe, dass unsere seltenen Telefonate bestehen
bleiben. Er ist tatsächlich eigentlich nach dem letzten Monat der einzige
Mensch, der übrig geblieben ist, der mehr als Fassaden – Mondkind kennt.
Inhaltlich hat die Stunde es echt in sich. Es geht wieder um das
Schuld – Thema hinsichtlich des Freundes. Auch wenn Herr Therapeut derjenige ist, der die Geschichte am
vollständigsten kennt – aber alle der Details kennt auch er nicht. Also… - erzähle
ich. Nach viel Ermutigung. Und mit viel distanziertem Beschützer im Hintergrund.
Dass ich die Nummer einigermaßen ohne Tränen durchkriege, hätte ich nicht
gedacht.
Und irgendwie werden mir dann ein paar Dinge bewusst. Selbst, wenn man
mich rechtlich vielleicht nicht verantwortlich machen kann und wird für das,
was passiert ist – eine menschliche Verantwortung hat man immer. Und andere
Menschen können allerhöchstens für eine begrenzte Zeit mittragen. Aber niemals
wird mir das Jemand abnehmen. Ich kann das auch nicht mal irgendwo parken und
mich ausruhen. Das, was da passiert ist, wird ab jetzt für immer Teil meines
Lebens sein. Und es wird immer die Frage bleiben: „Hättest Du noch ein Mal
zwischendurch das Telefon in die Hand genommen – würde er dann noch leben?“ und
„Hättest Du im ersten Moment, in dem Du gemerkt hast, dass etwas nicht stimmt
die Polizei informiert – würde er dann noch leben…?“ Und wie hätte das unsere
Beziehung zueinander verändert? Wie hätte das uns verändert? Wie hätte das mich
verändert?
Und mir wird noch etwas klar: Der Freund, der spiegelt so sehr. Wie
oft hatte ich Herrn Therapeuten in der Leitung und wie oft hat er gefragt, ob
er mich so ziehen lassen kann und wie oft habe ich „Ja, können Sie“ gesagt,
ohne wirklich und mit Sicherheit zu wissen, dass ich so sicher bin, wie ich
vorgebe zu sein? Diesen Vergleich spricht sogar er selbst an. Ich habe es
bisher immer gepackt, wenn er diese Frage gestellt hat. Bei mir hat das eben
nicht funktioniert, als ich quasi in seiner Position war und der Freund in
meiner Position.
Aber würde sich ein Herr Therapeut jetzt genauso fertig machen, wenn
das anders passiert wäre? Wenn sein „Ich verlasse mich darauf, dass Sie sich
melden“ nicht funktioniert hätte? Die Schwierigkeit an dieser ganzen Nummer
ist, dass ich so nah dran war, die Menschen genauso zu verletzten. Und wie gehe
ich eigentlich in Zukunft mit der Frage um? Was ist wichtiger? Hundert
prozentig ehrlich zu sein und zu kommunizieren, wenn man sich unsicher ist (was
für alle Beteiligten erstmal Mehraufwand bedeutet und für mich (negative)
Konsequenzen hat), oder in solchen Situationen überhaupt nicht mit dem
Therapeuten zu telefonieren, um ihn aus der Schusslinie zu bringen, oder
weiterhin diese Gradwanderung zu veranstalten von der ich immer noch glaube,
das sie früher oder später im Suizid endet, auch wenn ich hier erstmal sicher bin?
Und wenn man gar nicht so weit denkt: Wie gehe ich denn jetzt hier mit
der Frage um? Alleine, wenn es darum geht, ob man mich so wieder in den Ort in
der Ferne gehen lassen kann, wenn ich – je nachdem, ob ich es jetzt in sechs
Wochen schaffen soll oder nicht – es bis dahin nicht geschafft habe, eine
vernünftige Perspektive zu finden, die trägt? Und die sehe ich im Moment
absolut nicht.
Und wieso kann ich dieses verdammte Thema nicht endlich mal
verabschieden und mich endgültig für das Leben entscheiden? Das wäre so viel
einfacher…- ist aber im Moment absolut nicht denkbar.
Bei Herrn Therapeuten habe ich mich noch einigermaßen im Griff, was
dann aber schon auf der Treppe zwischen seinem Büro und der Station aufhört.
Und dann passiert das, was ich so sehr hasse. Ich sitze auf meinem Bett und
weine erstmal ein bisschen, weil der Druck wirklich zu hoch ist und die
Mitpatientin sitzt betreten daneben. Und eigentlich will alles in mir nur
irgendwie alleine sein und irgendwo sitzen dürfen, aber es gibt keinen Raum auf
dieser Station. (Vielleicht sollte ich mich demnächst in den Wäscheraum
verkrümeln und auf den Trockner setzen, oder so… ).
Die Abendrunde lasse ich mal ausfallen. Starre währenddessen auf die
Sonne, die durch die Wolken bricht. Und frage mich, wie so oft am Tag, wo Du
jetzt bist. Und beruhige mich. Obwohl ich wohl auf meinem Sofa den Rest des Abends durchgeweint hätte. Aber das geht hier nicht.
Abgesehen von dem Thema bleiben auch nach der wichtigsten
Therapiestunde der Woche viele Fragen offen. Wie lange kann ich noch hier
bleiben? Wie gehe ich auf der Arbeit mit diesem Bild um, das ich nun abgebe?
Wie kriege ich die Suizidalität in den Griff? Und bitte wie soll man das alles
bis zur Entlassung lösen… ? Ich weiß es einfach echt nicht …
Mondkind
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