Psychiatrie #21 Oberarztvisite, Therapiehausaufgaben und ganz viel Trauer


Oberarztvisite.
Nicht sehr erquicklich. Wie eben üblich. Aber eben nicht nur „nicht erquicklich“, sondern auch mit der Frage versehen: „Wie ernst nehmen die mich eigentlich?“

Es geht mal wieder um die Arbeit. Und ich stelle die Frage in den Raum, wie das denn nach mehr als sechs Wochen Krankheit überhaupt aussieht. Ob man etwas wie eine Wiedereingliederung machen muss. Denn dann müsste ich vermutlich von meiner Station, auf der ich arbeite runter und das würde ich aktuell nicht wollen. Denn egal ob ich mich für oder gegen den Ort in der Ferne entscheide – drei Monate Kündigungsfrist gäbe es in jedem Fall und ich möchte einfach nur dort weiter machen dürfen, wo ich aufgehört habe – so es überhaupt irgendwie weiter geht.
Die Oberärztin erklärte, man müsse die Wiedereingliederung nicht machen  - obwohl ich das eigentlich ganz gern nochmal mit dem Sozialdienst besprochen hätte. Auch, damit – wenn es darauf hinaus läuft – die Sache mit dem Krankengeld läuft. Nicht, dass ich da irgendetwas tun muss und nichts davon weiß.

Interessanterweise sagt aber auch sie, dass es medizinisch gesehen wohl keinen Unterschied macht, ob ich zwei Wochen kürzer oder länger in der Klinik bleibe. Aber von ihrem Entlassdatum rückt sie nicht ab. Mehr Zeit scheinen sie mir hier nicht zu geben. Und dann muss man sich das echt alles gut überlegen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass in der Zeit nicht mehr möglich sein wird, als mich irgendwie wieder in den Funktionier – Modus zu pressen, aber das ist nur meine bescheidene Meinung.

An irgendeiner Stelle stellt sie in den Raum: „Mindestens zwei Menschen wissen, dass Sie auf der Arbeit sehr viel mehr können, als Sie sich zutrauen. Das sind ich und… - [der sehr geschätzte Herr Psychiater]“.
Er hat die Mail, die ich ihm geschrieben habe, in der ich ihn gefragt habe, ob er mich nicht für die Station hier im Hinterkopf behalten kann, also scheinbar gelesen – auch wenn er sie bis heute nicht beantwortet hat. Und er weiß, dass ich hier bin – hat vielleicht sogar im Hintergrund die Strippen gezogen; es ging ja doch schnell mit der Verlegung. Zu dem Zeitpunkt war er sogar der richtige Ansprechpartner, weil die Oberärztin hier im Urlaub war – sonst hätte ich das auch nicht gemacht. Ich weiß trotzdem nicht, ob die Oberärztin weiß, dass ich mich immer freue zu wissen, dass er im Hintergrund im Boot sitzt (ich fürchte eher nicht); immerhin hat er mich doch drei Jahre behandelt und war der Erste, der mich ernst genommen hat; oder ob das der dezente Hinweis war: „Sie wissen schon, dass Sie mich ziemlich übergangen haben…“ Ich befürchte eher Zweiteres. Und ich befürchte, ich habe mit der Aktion die ohnehin schon angeschlagene Grundlage zwischen der Oberärztin und mir auf noch dünneres Eis gestellt.
Dennoch – aber das ist natürlich komplett unmöglich, es sei denn es geht von ihm aus – würde ich echt gern mit ihm mal darüber reden, was alles vorgefallen ist. Er hat mir auch nie vorgeschrieben, was ich tun oder lassen sollte, aber er hatte immer gute Ratschläge und die könnte ich gerade gut gebrauchen.
Ich habe den Nebensatz in der Visite allerdings nicht kommentiert, weil ich in dem Moment nicht wusste, was mir das sagen soll, dass sie es erwähnt hat.

Die Oberärztin stellt indes eine eigene Theorie in den Raum. „Sie grübeln unfassbar viel, um der Trauer und den anderen Gefühlen, die da gerade sind, aus dem Weg zu gehen… Sie sollten sich Gedanken über die Funktion des Grübelns machen…“
Ich glaube nicht, dass das ganz verkehrt ist – gerade das Arbeitsthema hindert mich sicher viel an konstruktiven Prozessen hier. Und nach wie vor fehlt mir allein Raum zum Trauern. Ich glaube dennoch, dass ein „Der Freund ist gestorben, das ist jetzt einfach so und sich Gedanken zu machen bringt jetzt auch nichts“ viel zu einfach ist. Gerade in meiner Situation, wo das nicht nur sein, sondern auch mein Thema war und nach wie vor ist.
Ich weiß aber auch nicht ob – wie die Pflege gestern anmerkte – dieses Gedanken- und Gefühlschaos für irgendwen der es nicht selbst erlebt hat, (was ich von der Oberärztin natürlich nicht weiß) wirklich verstehbar ist. Ich hätte auch nicht gedacht, was das mit einem Menschen macht, da so involviert zu sein.

Heute Mittag hatte ich übrigens mal Ruhe auf meinem Zimmer. (Ich habe ehrlich gesagt selten so einen anstrengenden Menschen erlebt…). Sich Zeit zum Trauern geplant und auf Knopfdruck zu nehmen ist ehrlich gesagt ziemlich anstrengend, aber ich habe mal ein bisschen weiter an den Briefen geschrieben. Ein bisschen Musik gehört und ein paar Tränen nebenbei vergossen. Und es ist ein bisschen ausgeartet und die Zimmernachbarin hat es dann doch mitbekommen.
Seine Mutter hat mir zwischendurch geschrieben. Erwähnt, dass er nun erlöst davon ist immer nur „Freund / Kumpel“ sein zu können. Antworten habe ich immer noch nicht. Nur die Gewissheit, dass uns das gerettet hätte, das Ding „Beziehung“ zu nennen.
Und ehrlich gesagt hoffe ich manchmal immer noch, dass das nur ein Alptraum ist. Dass er mich irgendwann mal anruft und sagt: „Hey Mondkind, ich wollte nur mal antesten, wie wichtig Du mir wirklich bist…“





Und während ich so schreibe und lese und inständig hoffe, dass niemand auf der Station die Tränen sieht, wünsche ich mir gleichzeitig Jemanden neben mich. Der sich setzt, mich in den Arm nimmt und so lange wartet, bis die Tränen für heute leer geweint sind. Und mir versichert, dass das Herz an diesem wahnsinnigen Schmerz nicht zerbrechen kann. 

Fragen über Fragen...

Therapiehausaufgaben muss ich auch noch machen bis morgen. Frage ist: „Wie hätten Sie gern, dass es weiter geht…?“ Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, ob das auf die Arbeit, oder generell gesprochen gemeint war. Und ehe ich mit irgendwelchen Pro- und Contra – Listen über den Ort in der Ferne, die Neuro und allem ankomme, die ich bis morgen ohnehin nicht vollständig schreiben kann, wäre es auch eine schöne Überlegung zu sagen: „Wenn ich mir wirklich etwas wünschen dürfte, dann wäre es so lange sicher sein zu dürfen und therapeutische Unterstützung haben zu dürfen, bis die Seele ein kleines bisschen heiler ist. Bis da ein bisschen mehr Lebensqualität ist. Bis da – ohne dass wir rationale Pläne für die Zukunft aufstellen müssen – überhaupt ein gewisses, zuversichtliches Bauchgefühl ist, dass wir die Zukunft noch erleben wollen.“
Wären eventuell auch solche Aussagen gemeint mit „Vertrauen Sie mir.“? Den Mut zu haben, das nicht so ganz regelkonform zu gestalten, wie man am Besten und Schnellsten zurück in den Job kommt. Sondern nachzufragen, ob Jemand bereit ist an meiner Seite zu kämpfen. Für ein bisschen Lebensqualität für eine Mondkind. Für ein bisschen mehr Zeit, um den Freund im Herz zu verankern. Um sich an all die guten Momente zu erinnern. Für mehr als ein Funktionieren, bis das in einer absehbaren Katastrophe endet. Für ein bisschen mehr Menschsein in dieser schwierigen und schnellen Welt, in der so vieles so viel wichtiger erscheint als das Leben, bis die Welt dann plötzlich stehen bleibt.

Und wie sollen wir bitte morgen in 25 Minuten Einzeltherapie irgendetwas reißen... ? Ich fürchte, wir werden nicht über die Therapiehausaufgaben hinaus kommen. 

Mondkind

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