Psychiatrie #23 Über Gespräche und Heizungen


Who cares if one more light goes out?
In a sky of a million stars
It flickers, flickers
Who cares when someone's time runs out?
If a moment is all we are
We're quicker, quicker
Who cares if one more light goes out?
Well I do

(Linkin Park – One more light)


Mitte Mai diesen Jahres. Ich bin in der Studienstadt. Es war schwierig. Wir wollten uns doch sehen. Hatte ich gedacht. Aber Du hattest nicht wirklich die Kapazitäten dafür. „Wir holen das dann nach, wenn Du das nächste Mal Urlaub hast“, hast Du mir gesagt. Und ich habe mir gedacht, dass das Ausfallen lassen des Treffens doch jetzt wirklich nicht nötig ist. Ja, die Umstände wären nicht toll gewesen, aber who cares… ? Und dennoch habe ich Deinen Wunsch respektiert. Du hast mich gefragt, ob ich böse deswegen bin. „Nein“, habe ich gesagt. Nicht, weil es mir nicht wichtig gewesen wäre, sondern weil ich Dich respektieren wollte.

Irgendwann hast Du das dann auch eingesehen – dass wir uns doch sehen sollten, wenn ich nur so selten da bin. Und Du hast den Donnerstagabend vorgeschlagen. Den eine Freundin vehement für sich vereinnahmt hatte, weil das der einzige Abend war, an dem sie vorbei kommen konnte, um ihre DVDs, die sie mir geliehen hatte, wieder abzuholen.
Ich habe mich ehrlich gesagt einfach nicht getraut ihr abzusagen, weil die Freundschaft ohnehin wahnsinnig angespannt ist. Und Dir habe ich gesagt, dass der Terminvorschlag jetzt ein bisschen zu spät kommt, um noch alles umzuplanen.
Was passiert, konnte keiner wissen… Oder wusstet Du es… ? Und wolltest es zunächst nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist…? Bevor dann doch die Zweifel kamen? Und die Sehnsucht, die wir nach einander hatten?  Man kann heute Niemandem einen Vorwurf machen, dass es so gelaufen ist. Aber ich wünschte, wir hätten uns nochmal in den Arm nehmen können. Uns nochmal sehen können. Und ich frage mich, ob das etwas geändert hätte.
Vielleicht warst Du ja auch einfach verärgert, dass ich die Freundin Dir vermeintlich vorgezogen habe. War das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat… ?
Ich weiß es nicht. Ich werde es nie wissen.

 „Beste Freunde“ können wahnsinnig wertvolle Menschen sein. Auch, wenn Du das nie geglaubt hast. Wenn Du mir das nie geglaubt hast.
Du warst ein nicht wegzudenkender Ankerpunkt in meinem Leben. Und dennoch hoffe ich, es geht Dir besser, wo immer Du auch bist.
Ich denk an Dich… - Du fehlst hier wahnsinnig. Und auch, wenn es bezogen auf die Größe der Welt nur ein winziger Funken Licht ist. Es war mein Funken Licht. Und ich war Deiner. Wir hatten uns gegenseitig. Das hast Du immer wieder betont. 


***

Donnerstagabend habe ich noch mit dem Seelsorger aus dem Ort in der Ferne telefoniert. Wir versuchen mal mit der Trauerarbeit weiter zu kommen. Und weil das Briefe schreiben so schlecht gegen die Schuldgefühle hilft ist jetzt die Idee, dass ich noch einen Dialog schreiben soll zwischen dem Freund und mir und dabei reflektiere, ob er mir verzeihen würde und das überhaupt so sehen würde, dass ich nicht auf ihn aufgepasst habe. Mal schauen, was dabei raus kommt. Irgendwie kann ich mir im Moment noch nicht genau vorstellen, was er dazu sagen würde, aber vielleicht ergibt sich etwas, wenn ich das ein paar Tage in meinem Kopf reifen lasse.
Wir reden auch darüber, wie und ob es jetzt weiter gehen kann im Ort in der Ferne. Da wären ja mal Pro- und Contra – Listen angebracht. Und als wir schon eine Weile darüber sinnieren, erkläre ich: „Und was nützen mir sämtlich Pro- und Contra – Listen, wenn das Herz nun mal noch an diesem Ort hängt? Allein wenn ich mir vorstelle da wieder meine Koffer zu packen, könnte ich auf der Stelle zusammen brechen…“ Na wenn das so sei, sagt der Seelsorger, bekommt man mich sicher schlecht da weg. Vielleicht braucht es dann noch einen Versuch. Nach dessen Scheitern es dann hundert prozentig klar wäre, dass es eben einfach nicht funktioniert. Was es eben jetzt noch nicht ist. Einmal scheitern darf man. Ich kann mich aktuell nicht gegen diesen Ort entscheiden. Der doch ein zu Hause werden sollte. Und vielleicht noch eines werden soll. Ich kann nicht im sechsten Jahr wieder woanders hin pendeln. Und auch wenn auf der Arbeit Vieles nicht funktioniert hat, hatte ich da – nachdem ich vier Jahre lang immer wieder da war – meinen Platz. Wie das jetzt nach der Klinik aussieht, weiß ich nicht. Ob man mich verurteilt, oder nicht. Aber vielleicht brauche ich diesen Versuch noch. Der ja auch irgendwie Gutes beinhalten kann.
Und dann, irgendwann, sagt er etwas, das sehr weh tut: „Ihr altes Leben kriegen Sie nicht zurück. Auf keiner Ebene. Das können Sie eigentlich mal symbolisch auf dem Gelände vergraben.“ Bis es im privaten Alltag wieder etwas wie Normalität gibt, wird es lange dauern – das hat schon der Chefpsychologe mir gesagt. Und auch auf der Arbeit werde ich – auch wenn man mich wieder akzeptiert – wer anders sein. Das geht schon mal damit los, dass der Chef wissen möchte, wie das mit der Therapie weiter geht. Und an dieses Bild, das nicht mehr der arbeitswütigen, vorbildlichen Mondkind entsprechen wird, muss ich mich gewöhnen. Vielleicht wird es gut; auf lange Sicht. Aber doch schwer, wenn ich mich bisher so sehr über die Leistung definiert habe.

Freitagfrüh habe ich ein Gespräch mit der Bezugspflege. Das läuft auch tatsächlich sehr gut. Wir reden viel über den Job und ich greife alle Überlegungen vom Vorabend nochmal auf. Wir definieren ein zu Hause. Als einen Ort, an dem ich ein soziales Netz habe, vielleicht eine Art Bezugsperson. Eine Wohnung, die eine Art „schützende Burg“ ist mit dem Wintergarten als Wohlfühloase. Und eine Umgebung, in der ich mich auskenne. Das könne man alles auch dort unten schaffen, sagt die Pflege. Es wird nur – das solle ich berücksichtigen – sehr viel Zeit brauchen. Und ich müsste irgendwie damit zurechtkommen, dass die potentielle Bezugsperson keine Bezugsperson wird. Ob das klappt, weiß ich nicht. Aber ich arbeite im anderen Haus gerade in einem ganz guten Team und vielleicht kann ein gutes Team, in dem ich mich auch gut aufgehoben fühle ein bisschen auffangen und den Schmerz über den emotionalen Verlust dieser Person ein bisschen schmälern. Klingt nach einer Möglichkeit, befindet die Pflegerin.
Ich nutze – wenn wir schon mal dabei sind am Ende des Gesprächs zu klären, ob es noch Fragen oder Wünsche gibt – die Gelegenheit und bitte sie darum, dem Herrn Therapeuten nochmal eine Mail zu schreiben, ob er nicht noch ein paar Minuten Zeit über hat. Das schaffe dann sogar ich, wenn wir das Setting einmal haben, wobei auch das sehr viel Überwindung ist. Aber irgendwie… - fühle ich diese Schwere wieder, die langsam in mir hochkriecht. Die man nochmal thematisieren könnte, bevor hier wieder nichts mehr geht. Und einfacher wird es am Wochenende sicher nicht. Sonntag ist der Tag, an dem die Nachricht des Todes des Freundes genau einen Monat her ist. Und spätestens das wäre der letzte Tag gewesen, an dem ich laut Plan, der bis vor einem Monat existierte, die Sonne hätte aufgehen sehen sollen. Das sind zwei gute Gründe, dass es ordentlich knallen kann – was blöd wäre zum Sonntag. 

Es tut mir leid, ihr müsst mit Katzen - Bildern Vorlieb nehmen... (wenn es die nicht gäbe, wären die Morgen hier nicht nur wesentlich trister, sondern der Blog auch um viele Bilder ärmer...)


Herr Therapeut steht dann auch kurz vor dem Mittag in der Tür. Zwei Minuten Zeit habe er und er wolle sich erstmal erkundigen, ob die Hütte jetzt lichterloh brennt.
Oh Herr Therapeut. Meinen Sie, ich hätte den Mut gehabt nach Ihnen zu fragen, wenn die Hütte nicht wirklich, wirklich brennen würde… ? „Also ohne, dass ich Ihnen die Dringlichkeit jetzt absprechen möchte…“, sagt er wenigstens dazu, aber unglücklich ist es trotzdem ein bisschen.
„Was ist denn jetzt der Auftrag an mich?“, fragt er. Tja, das ist immer so die Frage. Was ist denn der Auftrag dabei an Herrn Therapeuten? Mittragen, Dasein, Zuhören. Etwas anderes kann man nicht machen. Ich kann die Tatsachen ja nicht mehr ändern. Ich kann generell nichts ändern, was hier im letzten Monat passiert ist. Was aktuell glaube ich unser beider Problem ist. Ich habe so viel Redebedarf über Dinge, die ich nicht mehr ändern kann. Das ist eben so. Ich kann das nicht einfach wegstecken und abtun, als sei nie etwas gewesen.
Er hat hingegen eher Redebedarf über die Zukunft. Den ich gar nicht habe. Denn ob das mit mir und der Zukunft so eine coole Idee ist – darüber denken wir erstmal noch nach. Alles, was ich auch auf diesem Weg bräuchte, wäre vermutlich ausreichend Schienung. Was die Menschen hier wirklich nicht leisten können. Keiner wird mit mir in den Ort in der Ferne gehen können und die Schritte mit mir zusammen gehen können. Das ist auch eine der Tatsachen.
Aber dadurch kommen wir beide da aktuell auf keinen grünen Zweig. Ist zumindest meine Wahrnehmung.
Jedenfalls – Idee von Herrn Therapeuten: Am Sonntag mit Therapeutentee vor die Heizung setzen. Das haben wir ja im letzten Jahr ausreichend geübt, uns dann ein bisschen mehr getragen zu fühlen. Na das ist doch mal eine gute Idee. Ich hoffe meine Zimmernachbarin ist nicht da – dann gibt es ein Date mit der Heizung.

Danach ist die Stationsvisite. Nachdem die Nacht noch nicht besser war und mein Körper immer noch auf die Barrikaden geht, schlage ich für die Nacht eine Bedarfsmedikation vor.
Und dann… - ewig grüßt das Murmeltier: „Aber Frau Mondkind, Sie sind doch in einer glücklichen Position. Bislang hat doch bei Ihnen alles geklappt. Sie haben mit 27 Jahren Ihr Medizinstudium beendet und sind im Job. Das schaffen nicht Viele.“
Glücklich hat auch das mich nicht gemacht. Haben wir ja schon mal festgestellt. Und das ist dann auch das Statement, bei dem ich beschließe ihr nicht zu erklären, was da am Wochenende für zwei Ereignisse aufeinander prallen. Ich glaube, das würde sie jetzt nicht verstehen.

Am frühen Nachmittag ist noch Achtsamkeitstraining. Und irgendwie hatte ich schon vorher im Gefühl, dass das wahnsinnig schwierig werden könnte. Was es dann auch wurde.
Kaum, dass wir auf dem Boden liegen und im Hintergrund die dezenten Gitarrenklänge erklingen, erspüre ich diese Welle von Traurigkeit, die auch vollste Konzentration bei der Körperreise nicht zurück halten kann. Die Tränen fließen durchgehend und ich versuche die anderen Gruppenteilnehmer mit dem Weinen nicht zu behindern. Was mir auch einigermaßen gelingt. Dafür kann ich bei der „Wie haben Sie sich gefühlt – Runde“ gar nichts mehr sagen. Die Dämme brechen. Ist schrecklich und erleichternd zugleich. Ob man jetzt irgendetwas für mich tun kann, will die Therapeutin wissen. Abnehmen könne mir das ja keiner. Richtig, habe ich auch festgestellt. Dasein und Mittragen. Mehr kann man nicht tun. Aufpassen, dass dieses Herz aus Glas, das es schon vorher war, nicht völlig zerfällt. Es in beide Hände nehmen und ein Stück des Weges tragen. Bis es wieder zurück in den Takt findet. Und ihm dafür auch die Zeit geben. Der Mensch neben der Heizung. Der wäre ganz schön. Und im Gegensatz zu meiner Wohnung, gibt es hier sogar viele Heizungen. Sitzen, halten, Tee trinken. Fertig ist die Mondkind – Unterstützung.

Ich habe Angst vor Sonntag. Wahnsinnige Angst. Wie soll ich diesen Tag aushalten? So viel Ende von allem, was ich kannte. Und so viel Anfang. Von allem, was jetzt vielleicht noch kommt. Vielleicht.

Allen Lesern wünsche ich einen guten Start ins Wochenende.
Mondkind

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