Psychiatrie #14 Das ewige Problem mit den Entlassdaten


Oberarztvisiten.
Ich weiß schon, warum ich die hasse, wie die Pest.
Gut sind die nie.

Es gibt Menschen, die ihr Entlassdatum erst sehr spät gesagt bekommen. Und solche, die es sehr früh hören. Ich gehöre zu letzteren.
Seit heute wissen wir: 3. September.  Das heißt, ab dem 7. September wieder arbeiten. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich in der Woche Dienst. Den ersten „ersten Dienst“. Dann eben einen Monat später, als ursprünglich veranschlagt.

3. September – das ist grob überschlagen noch etwas mehr als einen Monat. Bis Mondkind wieder zusammengesetzt sein soll.

Ich habe absolut nichts dagegen, arbeiten zu gehen. Und jeder weiß, dass ich das lieber tun würde, als alles andere. Aber was wieder schwierig zu verstehen zu sein scheint ist, dass mir in den letzten vier Wochen alles auseinander gefallen ist. Wie soll ich in vier Wochen stabil sein mit der Trauerarbeit, es verkraftet haben, dass die Person, mit der ich mich wechselseitig getragen habe, nie wieder zurück kommt? Wie soll ich die Schuldgefühle verarbeitet haben, akzeptiert haben, dass es eine Bezugsperson, so wie das geplant war in meinem Leben nicht geben wird, nachdem das mit der potentiellen Bezugsperson ja nun ziemlich schief gegangen ist und einen Plan für eine Zukunft haben, die ja ab nächster, spätestens übernächster Woche nicht mehr existieren sollte?
Ich habe das gestern der PJ – Studentin alles nochmal erzählt, weil sie lieb gefragt hatte, ob sie mit mir eine Anamnese machen dürfe. Und… - ich dachte mir, so schwer wie es auch ist, das alles nochmal zu erzählen, vielleicht nützt es was. Aber es scheint wenig gebracht zu haben.

Nicht, dass ich so lange bleiben will, aber es gibt Mitpatienten hier, die sind schon 14 Wochen hier. Natürlich kenne ich deren Geschichten nicht, weiß nicht, was die alles tragen müssen, oder auch nicht, aber ich frage mich einfach, warum ich immer so zur Eile getrieben werde? Grundsätzlich. Mit allem. Im Job, beim Gesundwerden. Immer ist Mondkind die Überfliegerin, die alles schnell schaffen muss.

Den Tee muss man langsam auch nicht mehr kommentieren... ;)


Wie soll ich mich in die Behandlung fallen lassen, auseinander fallen und mich wieder aufbauen lassen, wenn ich weiß, dass ich in rund einem Monat wieder alleine stehen und gehen muss? Und da dann einfach keiner mehr ist. Wenn ich zum Entlassdatum nicht einigermaßen stabil bin, habe ich verloren.

Eigentlich wollte ich es wirklich anders machen, bei diesem Aufenthalt. Aber am Ende sind Krankenhäuser auch Wirtschaftsunternehmen und kein Wohltätigkeitsverein. Ich verstehe das schon. Kann das schon nachvollziehen, was der Antreiber ist. Das Landen auf den Füßen ist immer hart. Jetzt gerade. Der Lebensverbesserungsidealismus erstickt sich genauso wie der Weltverbesserungsidealismus als Ärztin.
Um das erste Mal zu mir selbst zu finden, bräuchte ich wahrscheinlich unglaublich viel Zeit und Begleitung. Die es einfach nicht gibt. Das war doch das Gespräch vom Wochenende mit der Pflege. Wenn ich erlaube, dass man mir den Boden unter den Füßen weg zieht, brauche ich einen alternativen Boden der trägt, bis ich selbst wieder gehen kann, ohne ins Nichts zu stürzen. Klang logisch. Aber das wird nicht passieren. Folglich kann ich doch hier nicht fallen.

Und ich kann mir nicht helfen… - aber vielleicht… - musste es noch ein Mal okay werden, bevor auch ich meine Segel setze. „Ich habe das Gefühl, der Tod des Freundes steht da auch gar nicht so im Vordergrund“, erklärte die Oberärztin heute. Vielleicht sollte einen das einfach nicht so mitnehmen. Es war ja nun mal „nur“ ein Freund. Das ist ja schon so. Vielleicht bin ich da auch nicht normal.
Vielleicht wäre es nach den stressigen Monaten, in denen ich die Welt nicht mehr wahrgenommen habe, zu früh gewesen. Und vielleicht ist jetzt „fishing for moments“ dran. Wie immer,  wenn man sonst nichts mehr tun kann. Sich nochmal erlauben ein bisschen die Sonne zu genießen. Die Katze auf der Dachterasse. Herr Therapeut in einem stickigen Büro, dessen Ruhe, aufrichtige Aufmerksamkeit und Empathie, die auf mir liegt, wirklich spürbar ist.

Vielleicht muss es noch ein Mal hell werden, vielleicht muss die Sonne noch ein Mal durch die Wolken blitzen, bevor die Nacht kommt, die nie enden wird.
Ich habe jedenfalls keine Ahnung, wie man hier in der wenigen Zeit irgendetwas reißen soll, das am Ende trägt.

Mondkind

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