Psychiatrie #16 Einzelstunde und Igelmodus
Fassaden –
Mondkind.
Vielleicht
niemals im Leben mehr davon gewesen.
Reizüberflutung.
Stimmen, die zu laut sind. Die Ergotherapie, in der gehämmert wird, was fast
nicht zu ertragen ist. Menschen, die zu nah sind. Eine Mitpatientin auf dem
Zimmer, die redet wie ein Wasserfall und viele schlaue Tipps hat.
Worte, die
wie Vorwürfe in den Ohren klingen, obwohl sie das vielleicht nicht sein sollen.
Igelmodus.
Zusammen rollen und Stacheln raus. Nicht mehr reden. Außer, man wird
angesprochen.
Noch mehr
Angst, als ohnehin schon. Weil man sich ja nicht mehr ausdrücken kann. Nicht mehr
nach Hilfe fragen kann. Weil alle Menschen zu bedrohlich wirken. Als sei meine
Anwesenheit für alle zu viel. Zu viel für diese Welt. An der der Sommer sich
vorbei dreht. An dem wir uns genau in diesen Tagen sehen wollten. Bevor ich
dann gegangen wäre. Jenseits des Lichts.
Aber jetzt:
Sitzen bei Herrn Therapeuten. In seinem Büro. Das erste Mal seitdem er mich in
die Notaufnahme gebracht hat. Wieder offiziell seine Patientin. Nicht so halb
illegal, wie in den Monaten davor.
Einzelgespräch.
Heute. Sollte viel reißen. Die Dinge einfacher machen.
Hat es nicht.
Nur viele Fragen gestellt.
Und dann
wird mir klar: Ich kann die Geschichte das 723. Mal erzählen (wobei die volle
Wahrheit die allerwenigsten kennen). Aber das macht es nicht besser. Am Ende
muss ich mit diesem Schmerz leben. Niemand anders. Das kann mir keiner
abnehmen.
Und was auch
niemand sieht: Die Idee von einem zu Hause ist in den letzten vier Wochen in
sehr weite Ferne gerückt. Wie soll das gehen? Ohne die wichtigsten Menschen in
beiden Welten? Wenn alles was bleibt, Selbstvorwürfe sind? Auf den einen
Menschen habe ich nicht gut genug
aufgepasst, den anderen Menschen habe ich vielleicht überfordert – oder was das
Problem am Ende auch immer war.
Es gibt
keine zwischenmenschliche Welt, in der ich gerade leben kann.
Herr Therapeut redet über Entlassung. Merkt an, dass der Entlasstermin
ja ganz praktisch ist, weil er in die Woche vor seinem Urlaub fällt und das dann
schon passt. Wie kann bitte jeder glauben, dass ich in einem Monat weiter
machen könnte, als sei nie etwas gewesen? Als hätte ich nicht unglaublich viel
verloren, obwohl ich doch sowieso nie viel Rückhalt hatte in dieser Welt. Als
würde ich nicht völlig orientierungslos in der Welt herum schwimme?
Wenig später kommt Herr Therapeut zum Glück selbst darauf, dass das
ein unangebrachtes Kommentar war. Aber es beruhigt mich natürlich trotzdem
nicht.
Am Nachmittag gehe ich am Pflegezimmer vorbei. Mein Blick fällt auf
die Tafel. Da steht das Entlassdatum. Schwarz auf weiß an der Tafel. Das mich
am Fallen hindert. Bevor ich noch auf die Idee gekommen wäre.
Was mir das wohl sagen soll… ? Ob man mich wohl (wieder) als
Fehlbelegung interpretiert? Das war doch schon letztes Jahr dasselbe Theater.
Und eigentlich hatten wir das dann irgendwann mal gelöst.
Der Kollege, der sich so sehr um mich gekümmert hat und mich aus dem
Verkehr gezogen hat, versucht Mut zu machen. „Gib Dir mehr Zeit [Mondkind], das
war sicher keine falsche Entscheidung, Dich auf die Therapie einzulassen.“
Würde ich ja gerne. Ich würde gern zum ersten Mal seit so langer Zeit
das Leben fühlen. Aber es bleibt nicht mal mehr ein Rückzugsort für all die
Tränen. Weil ich Angst habe, verurteilt zu werden.
Und trotz Bemühung des Kollegen wird das hier vielleicht die letzte
Etappe auf einem Weg, auf dem ich – wenn man ehrlich ist – viel zu lange gelitten
habe. Weil einfach nichts mehr bleibt.
Am Ende gibt es nichts mehr zu reden.
Nur noch sitzen an der Heizung. Tee trinken. Aushalten. Tragen ohne
Worte. Weil es keine Worte gibt. Für den Wahnsinn in mir und um mich herum.
Mondkind
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