Psychiatrie #5 Telefonat mit einem Kollegen
Irgendwie bin ich… - aktuell positiv beeindruckt von den Kollegen. Ob mir
das irgendwann nochmal auf die Füße fällt… - weiß ich nicht.
Zwei Kollegen wissen aktuell Bescheid was los ist und wo ich bin. Und,
dass ich mir nicht sicher bin, ob ich hier bleiben will. „Schreib ihm doch
einfach ein paar Zeilen und sag ihm, wo Du bist. Ich glaube, er macht sich echt
Sorgen. Ich bin ihm Freitag aus dem Weg gegangen, damit er mich nicht fragt, ob
ich etwas Genaues von Dir weiß…“, regt die Kollegin über whatsApp an.
Also schreibe ich dann dem Kollegen. Wir kamen wirklich immer super
miteinander aus, aber er ist der Überflieger der Klinik. Er kann wirklich
alles. Er erwartet nicht von jedem alles, aber ich glaube der Plan von jedem
war, dass ich mich da einreihe. Und er verlässt die Klinik sowieso in einer
oder zwei Wochen – viel kaputt machen kann ich da jetzt auch nicht mehr, sonst
wäre ich vermutlich restriktiver.
„Hi Mondkind“
„Wir können telefonieren.“
„Ruf mich an.“
Es ist schon etwas später am Abend, meine Zimmernachbarin schläft schon.
Deshalb gehe ich mit meinem Telefon in eine Ecke des Flures. Aber auch da ist
es zwischenzeitlich laut.
„Sag mal Mondkind, kannst Du nicht dahin gehen, wo es etwas ruhiger ist…?“,
fragt der Kollege. „Nein…“, sage ich etwas zögerlich. Es geht hier zu wie im
Taubenschlag. „Mondkind, Du bist aber nicht auf der geschützten psychiatrischen
Station, oder?“, fragt er. „Doch…“, sage ich ganz leise. „Oh Mondkind…“, seufzt
er. „Wie bist Du denn dahin gekommen? Was hatten die denn für einen Grund?“ „Naja
vorrangig keine Betten mehr auf der offenen Station…“, erkläre ich und druckse
noch ein bisschen weiter.
„Mondkind, ich finde es schwer Dir in der Situation einen Rat zu geben“,
sagt er irgendwann. Wenn es Dir dort noch schlechter geht, dann bringt das
nichts, dann komm zurück. Aber… - hast Du mir alles gesagt Mondkind? Ich habe
das Gefühl, da fehlt etwas…“ Genauso redet er auch immer mit seinen Patienten…
Ich stehe vom Boden auf, stütze meine Ellenbogen an dem Vorsprung der Tür
auf und schaue nach draußen, wo die Baumspitzen im Wind schaukeln. „Nein, ich
habe Dir nicht alles gesagt… aber weißt Du, es gibt so viele Menschen, die das
verurteilen und….“ Ich schweige eine Weile. „Ich verurteile nur Ärzte, die ihre
Patienten nicht kennen, oder sehr schlechte Briefe schreiben…“
„Ich weiß man merkt es mir nicht an und man soll es mir ja auch nicht
anmerken, aber ich war schon wegen Depressionen in Behandlung…“, erkläre ich. „Das
heißt, Du hattest schon eine depressive Episode…“, fasst er zusammen. Dass ich
schon zwei Mal in der Psychiatrie war, lasse ich jetzt aber raus.
„Und wie war das mit der Arbeit Mondkind? Hat Dich das überfordert?“,
fragt er. „Schon…“, gebe ich zu. „Ich wollte ja den Erwartungen immer gerecht
werden und immer alles schaffen, aber das hat mich echt an die Grenzen gebracht
und da waren nicht mehr viele Kapazitäten und dann bringt der Freund sich auch
noch um…“ „… das hat Dich dann dekompensieren lassen Mondkind, das verstehe ich
schon…“, ergänzt der Kollege.
„Aber Mondkind… - was ich jetzt immer noch nicht verstehe ist, warum die
Dich für so gefährdet halten, dass die denken, dass Du auf eine geschützte
Station musst. Was hast Du denen gesagt…?“ Ich knie mich wieder auf den Boden
und weine mittlerweile schon. „Weißt Du, das Problem ist, dass ich mich auch
gedacht habe, dass ich es nur noch bis August mache; bis zu den ersten Diensten
und dann ist hier Feierabend. Ich weiß, dass ich das kompetenzmäßig schaffen
könnte, aber wenn man so schon immer am Limit geht…“ „Und dann waren die ersten
Dienste der Zeitpunkt zu dem Du Dich umbringen wolltest…“, schlussfolgert er.
Ich kann gar nichts mehr sagen.
„Moment stop… - Mondkind, das was Du mir hier erzählst, ist eine ganz
ernste Sache. Du darfst solche schlimmen Gedanken nicht haben. Niemand soll so
etwas haben. Ich wusste das überhaupt nicht. Warum hast Du denn nicht mit mir
geredet?“, fragt er. „Na was hätte ich denn sagen sollen?“, frage ich. „Na, das
was Du mir jetzt erzählt hast…“
„Das interessiert doch keinen. Ich habe es versucht mit einem anderen
Oberarzt zu besprechen, dass mich das Tempo überfordert, aber da hieß es nur,
ich müsse das machen…“, sage ich. „Mondkind, die haben Dich echt wahnsinnig
gefordert. Aber das sah immer so aus, als könntest Du das gut schaffen…“, sagt
er. „Wollte ich ja auch“, entgegne ich.
„Und weißt Du, jetzt habe ich halt einen Monat vorher gesehen, was
passiert, wenn der Freund sich umbringt und wie krass das Umfeld darunter
leidet und jetzt bin ich völlig aufgeschmissen…“, sage ich. „Jetzt verstehe ich
Mondkind“, sagt er. „Ich glaube Mondkind, dass der Suizid des Freundes jetzt
nur das System zum Einstürzen gebracht hat. Du musst Dich Deinen Problemen
jetzt stellen und daran arbeiten. Ich weiß nicht, warum das so gekommen ist,
aber Du wirst eine Ahnung haben.“ „Ich möchte doch einfach nur mein normales
Leben zurück…“, sage ich. „Ja aber Mondkind, das geht jetzt nicht. Das bringt
nichts, wenn Du hierher kommst und im nächsten Dienst wieder dekompensierst. Du
musst erst stabiler werden. Und Mondkind, das ist keine Schande, wirklich
nicht. Das kann jedem passieren.“
„Was hast Du Deinen Ärzten davon alles erzählt?“, fragt er. „Nicht viel…“,
sage ich. „Mondkind, ich weiß, dass das schwierig ist – gerade in Deiner Position.
Aber Du musst Dich irgendwem öffnen. Und wenn es nur ein Mal ist. Die müssen
wissen, was in Deinem Kopf los ist. Und ich glaube nicht, dass Du gerade akut
suizidgefährdet bist.
Mondkind mir gefällt das nicht, wenn Du Dich jetzt entlassen würdest. Sprich am Montag ehrlich mit dem Oberarzt, sag, dass Du auf die offene
Station möchtest, auf die Du gern hin willst und dann schau mal, was passiert.
Ich kann mir vorstellen, dass Du dann mehr Freiheiten hast. Entweder – wenn es
Dir zusagt, gehst Du auf die Psychotherapiestation, oder Du kannst Dich dann –
vermutlich nicht gegen ärztlichen Rat – entlassen, wenn Du denen ein Konzept
präsentierst, wie es weiter gehen soll.“
„Aber wenn ich jetzt mit dieser ganzen Nummer mit Psychotherapiestation
anfange… - und darauf vielleicht auch noch eine Weile warten muss – vielleicht schmeißt
der Chef mich dann raus?“, frage ich nochmal nach. „Mondkind, der schmeißt Dich
nicht raus…“, sagt der Kollege.
Ich bedanke mich bei ihm. Und meine dieses „Danke“ wirklich so verdammt
ernst. „Kein Problem Mondkind…“ Und dann…
„Halt durch Mondkind, ich weiß, dass das schwer ist. Mir hat schon
Arztsein auf der Geschlossenen gereicht. Und berichte am Montag was dabei raus
gekommen ist“.
Irgendwie ist das gerade ganz komisch. Manchmal, wenn die Menschen mich
anfangen zu sehen, dann weine ich einfach nur noch. Weil es so weh tut, dass es
so schlimm gekommen ist. Dass da so viel auf einen Haufen ist, dass ich nicht
mehr weiß, wo ich anfangen soll. Mit all der Trauer, all der Schuld, diesem
Leben dahinter, das ohnehin in Scherben liegt, weil die Pläne nicht
funktioniert haben.
Und dann bin ich gleichzeitig so dankbar, gerade so viel Menschlichkeit
zu erleben, auch wenn es mir die Psychiatrie gegebenfalls erspart hätte, wäre vorher klar gewesen, dass es so wie es aktuell ist, nicht weiter gehen kann.
Es sind wieder diese Gespräche, die ich jetzt so dringend brauche und die auf der Station mal wieder nicht statt finden - oder statt finden können. (Gestern Abend hat mich nochmal
kurz ein Pfleger angesprochen und irgendwie muss ich ja erklären, wieso ich
beide Welten verloren habe innerhalb von drei Wochen. Es hat kaum 10 Minuten
gedauert, bis kam: Also waren Sie in den Oberarzt verschossen… Nein, einfach
nur nein. Da ist mit wieder klar geworden: Es ist egal was und wie viel ich
rede. Und ich werde nicht nochmal von vorn anfangen. Auf gar keinen Fall).
Mondkind
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