Psychiatrie #22 Über das (Nicht)reden


When I had the time to tell you
I never thought I'd live to see the day
When the words I should have said
Would come to haunt me
In my darkest hour I tell myself
I'll see you again
I'll see you again
You never really left
I feel you walk beside me
I know I'll see you again

(Westlife – I’ll see you again)

Hey,
ich hätte echt nicht gedacht, dass ich dieses Lied so bald für Dich zitieren würde.
Es ist Sommer geworden. Heiß. So richtig heiß. Ich wette, Du hättest Dich wieder beschwert. Dass man ja kaum atmen könne und es in der Wohnung viel zu warm sei.
Und weißt Du, was meine neue Lieblingsbeschäftigung nachts ist… ? Revolverheld hoch und runter hören. Wir wollten aufs Konzert gehen… - erinnerst Du Dich?
Weißt Du, was mir auffällt... - am Sonntag wird es ein Monat. Wird vermutlich ein schwerer Tag.
Ich denk an Dich, okay?

***

Die Story. Die Geschichte dieser Monate. Dieses Sommers.
Wochenlang habe ich sie ein bisschen verdreht erzählt. Ich dachte, wenn man manche Details nur lange genug verdrängt und verschweigt – vielleicht kann man sie vergessen. Kann man nicht. Habe ich festgestellt. Deshalb ist Herr Therapeut der Erste und Einzige, der bislang die vollständige Geschichte kennt. Ob er sie ins Team getragen hat, weiß ich nicht. Und auch ich selbst habe erst kürzlich auf meinem Handy die Zeitspannen nachvollzogen, die es wirklich waren.
Die vermutlich von beiden Seiten erhoffte Erleichterung hat es nicht gebracht. Eher ist es noch schwerer als vorher. Weil es jetzt so präsent ist. Und weil niemand sagen kann und wird, dass ich mich da absolut raus reden kann. Herr Therapeut fragte nach der Glaubwürdigkeit des Freundes im letzten Telefonat. Tja… - ich weiß es nicht. Vielleicht wollte ich ihm auch einfach glauben. Und irgendwie weiß ich auch nicht mehr, wie wir uns verabschiedet haben. Ob er wirklich gesagt hat „Bis morgen Mondkind…“

Wenn es mir sehr schlecht geht, dann ist Hilfe zu organisieren wenn es zu anstrengend wird, immer schwierig. Jetzt ist es gerade unmöglich. Denn da ist nicht nur diese unspezifische Angst vor den Menschen um mich herum und davor, ihnen mit meinem unqualifizierten Gerede ihre Zeit zu stehlen, sondern auch die Angst verurteilt zu werden. Oder, dass die Menschen gar nicht erst Bescheid wissen.
Und auch mit Freunden zu sprechen, ist gerade einfach nur anstrengend. Bei Keinem der Menschen, der jetzt noch da ist, ist das Vertrauen groß genug, ehrlich zu sein und die wahre Geschichte zu erzählen. Und daher nützt deren „Mondkind, Du kannst nichts dafür“ auch nichts. Doch, ich kann etwas dafür. Ich hätte zum Beispiel auf ein diffuses, ungutes Bauchgefühl hören können – auch wenn ich zu dem Zeitpunkt nicht mit dieser Katastrophe gerechnet hätte.
Ehrlich gesagt gibt es wenig das schlimmer ist, als in der Psychiatrie zu sitzen und nicht reden zu können, aber ich muss es mir ja ehrlicherweise selbst zuschreiben. Und sicher könnte ich das jetzt üben, für mich einzustehen. Aber stundenlang unruhig das Zimmer auf und ab laufen und die Frage, ob ich jetzt zur Pflege gehe und was ich da sage und möchte – das ist jetzt gerade echt zu anstrengend. Oder einfach mal bei Herrn Therapeuten zu klopfen und seinen Zeitplan durcheinander zu wirbeln.

Die Idee des Seelsorgers war es ja gewesen, Briefe an den Freund zu schreiben. Zwei sind auch mittlerweile fertig. Aber ich habe nicht ganz das Gefühl, dass es den gewünschten Erfolg hat. Es bringt mich nur zeitweise ins Fühlen. Denn so wie ich nun mal bin, möchte ich die perfekten Worte wählen. Nichts vergessen zu sagen, nicht anklagend zu sein, ihm keine Vorwürfe machen.
Da stellt sie sich die Frage: Was kann man noch machen? Ich muss da nochmal drüber nachdenken. 



Langsam verlagert sich der Schmerz. Im wahrsten Sinnes des Wortes. Körperlich komme ich mir vor, wie mitten im Examen. Seit Tagen bin ich froh, wenn ich nachts mal zwei Stunden schlafe, auch die Magenschmerzen sind zusammen mit Kopf- und Ohrenschmerzen zurück und ich bin so platt, dass ich echt nicht mehr in die Gänge komme und tatsächlich gerade froh bin, dass der Therapieplan so viele Lücken hat. Tatsächlich sind auch die Hosen, die vor einem Monat nach gepasst haben, zu weit geworden.
Es ist nicht so schlimm, weil ich ja gerade nicht arbeiten muss. Aber schön ist es auch nicht. Und es zeigt: Da ist verdammt viel Redebedarf.

Denn neben der ganzen Geschichte mit dem Freund wäre diese Woche diejenige gewesen, in der ich Urlaub gehabt hätte. Und die ich nicht hätte überleben sollen. Eine Sache, die mich unfassbar viel beschäftigt. Ob das hier Jemand weiß, weiß ich nicht. Eigentlich wäre das ein Grund, diese Woche nochmal mit Herrn Therapeuten zu sprechen. Aber dann müssten wir einen Termin außer der Reihe finden. Und da ist es zum Einen schwer da dran zu kommen und zum Anderen habe ich nicht besonders konstruktive Dinge zu berichten. Und da er in der letzten Sitzung schon angemerkt hat, dass wir uns eigentlich nur im Kreis drehen… (Danke übrigens an alle diejenigen, die mich ermuntert haben, das Ergebnis der Therapiehausaufgaben so zu formulieren, wie ich es aufgeschrieben habe. Es hat… - nicht so funktioniert, weil er echt nicht so erbaut über mangelnde Handlungsorientierung meinerseits war und ich wollte ihm nicht noch mehr Gründe liefern dezent genervt von mir zu sein und habe dann doch – sehr unvorbereitet – über Pro- und Contra – Listen sinniert… Ich weiß nicht, wie er reagiert hätte. Manchmal schätze ich ihn glaube ich viel strenger ein, als er eigentlich ist, aber so hasenfüßig wie ich bin, hatte ich nicht den Mut, das nochmal anzutesten).
Was so die Frage ist… - ändert das jetzt alles was? Oder schiebt es die Katastrophe nur? Ich habe das Gefühl man erwartet aufgrund meines aktuellen Erlebens eine Art Wunderheilung von der Suizidalität, aber meine eigene Lage bessert das jetzt alles überhaupt nicht. Und was kann ich tun, damit es sich irgendwann mal ändert? Damit es mal ein „Ja“ zum Leben wird? Ich sollte irgendwann mal eine Pro- und Contra – Liste zum Thema Suizid schreiben. Ziel war vermutlich mir vor Augen zu führen, dass sich das Leben lohnt, aber auf der Pro – Liste hat sich eben nicht sehr viel mehr als der „Angehörigen – Punkt“ eingefunden.
Es ist alles – wie gesagt – nicht sehr konstruktiv mit mir und der Frage nach dem Leben und ich vermute, dass ich mich damit aktuell nur in die Nesseln setzen kann. Obwohl wir das eigentlich irgendwie klären müssen. Bevor ich zurück gehe.

Ansonsten meldet sich nach und nach mal der ein oder andere Kollege. Fragt nach mir, wünscht mir weiterhin eine gute Besserung oder merkt an, dass Jemand fehlt, der abends um 21 Uhr im Büro das Licht löscht. Langsam vermisse ich die Truppe da. Aber aktuell muss ich selbst einsehen, dass ich weit entfernt von arbeitsfähig bin. 

Beste Begrüßung in der Früh...


Mondkind


Bildquelle erstes Bild: Pixabay

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