Psychiatrie #12 Therapiemotivation und ganz viel Angst
Es tut überall weh, überall dort wo du jetzt fehlst
Du fehlst mir, du fehlst hier
Ich kann dich immer noch sehen immer noch hören wohin ich auch geh
Du fehlst mir, du fehlst hier
Du fehlst hier
(Christina Stürmer – Du fehlst hier)
Der erste Blick morgens aus dem Fenster. Auf ein Gelände, das jetzt
erstmal wieder Sicherheit gibt. Erstmal. Und auch, wenn ich immer noch so
unsicher mit der ganzen Situation bin, bin ich so dankbar hier sein zu dürfen.
Und direkt auf dem Fuße folgt der Gedanke, dass Du diesen Sommer nicht mehr
erleben kannst. Die hellen Tage des Jahres. Auf die wir alle immer warten.
Und dann… - dann zerreißt es mir schon morgens das Herz.
Gestern habe ich all meinen Mut zusammen gefasst und bin zur Pflege
gelaufen – es war auch Jemand da, mit dem ich gut zurecht komme. Weil Schreiben
nicht mehr hilft. Weil ich schreibe wie eine Verrückte und es den Druck einfach
wenig raus nimmt. (Meine neue Idee ist malen, ich muss Montag in der Ergo mal
Mandalas besorgen…).
Mein Plan war, mir einfach mal die Seele leer zu reden. Den Plan fand
die Pflege nicht so gut. Weil ich dann zusammen fallen würde, sagt sie. Das
muss man langsam machen. In der Therapie. Manchmal denke ich mir: „Verdammt, es
ist doch „nur“ ein Freund gestorben – ich habe nicht mal das Recht hier so ein
Theater zu veranstalten…“
Also reden wir stattdessen über Therapiemotivation.
Schnipsel.
„Frau Mondkind, das war das letzte Mal ja auch schwierig mit Ihnen.
Sie wollten ja bis zuletzt nicht einsehen, dass die Kritikerstimmen nicht Recht
haben. Sie haben das ja für die uneingeschränkte Wahrheit gehalten, was die
Ihnen erzählt haben…“
„Wir kriegen das schon hin, Sie innerhalb der nächsten drei bis vier
Wochen wieder auf die Beine zu stellen, sodass Sie wieder arbeiten gehen
können. Die Frage ist, wie lange das gut geht. Oder… - Sie lassen sich jetzt
Ihren sicheren Boden mal unter den Füßen weg ziehen und schauen, ob man das
nicht anders gestalten kann.“
„Ich verstehe schon Ihre Not gerade… - können Sie sich noch daran
erinnern, dass ich Ihnen mal gesagt habe, dass ich glaube, dass die chronische
Suizidalität das ist, was Sie hat überleben lassen? Das klingt für Leute die mit
der Psychiatrie nichts am Hut haben total daneben, aber Sie hatten immer das
Gefühl, dass Sie diese Möglichkeit haben
und haben die sich auch nicht weg nehmen lassen. Und jetzt stehen Sie da und
überlegen, ob das so eine gute Idee ist. Nicht mal wegen Ihnen selbst, sondern
weil Sie mit einer Brutalität eines Suizides konfrontiert sind…“
Ich merke irgendwie gerade, dass da ganz viel wächst. Das ich auch
noch nicht ganz in Worte fassen kann. Aber irgendwie hebt sich die
Engstirnigkeit langsam ein bisschen auf, glaube ich.
Ich habe immer noch wahnsinnige Angst um den Job. Davor, verurteilt zu
werden, für das, was ich hier mache. Ich glaube immer noch nicht so richtig
daran, ein Recht zu haben hier zu sitzen, während ein Kollege am heutigen
Sonntag meinen Dienst übernehmen und im Kittel über den Flur fegen muss.
Ich habe jetzt die letzten neun Monate gesehen, dass meine Ideen nicht
funktioniert haben. Dass es nicht so einfach ist, wie ich dachte. Dass man eine
psychische Erkrankung nicht mal so eben nebenbei managt. Und dass die
Überzeugung, dass das ja auch eigentlich eine gute Sache ist, einen starken
inneren Kritiker zu haben, weil der einen auch sehr beliebt macht, nicht
richtig ist.
Dass einen das am Ende umbringen kann. So wirklich. Ganz. Und wenn ich
meine alten Blogeinträge rückwärts lese, dann tut es richtig weh. Diese ganzen
unerfüllten Bedürfnisse, diese ganzen Hoffnungen, die nie Realität geworden
sind, diese vielen Abende in der Klinik, die alle als selbstverständlich
hingenommen haben. Die vielen Schatten, über die ich springen musste, wenn ich
an das Ziel kommen wollte, das ich nie erreicht habe.
Die Bereitschaft und Therapiemotivation und die Umsetzung sind
vermutlich zwei verschiedene paar Schuhe, aber ich bin bereit. Viel mehr
bereit, als das letzte Mal. Wenn man mir hier den Boden gibt, den ich brauche,
weil ich meinen her gebe, dann bin ich bereit mich fallen und wieder aufrichten
zu lassen. Auch, wenn das loslassen bedeutet. Einige Dinge vielleicht für
immer. Ich werde lernen müssen, dass der einzige Mensch, der sich am Ende
halten kann, ich selbst bin. Dass uns niemand die Entscheidung für oder gegen
das Leben abnimmt. Das wir nicht immer alleine sind, aber in letzter Instanz
eben doch. Dass es meine Aufgabe ist, mir Hilfe zu organisieren und die mir
keiner hinterher trägt. Dass der Job nicht alles ist. Dass ich auch mal Spaß
haben darf. Dass es keine verbotene Tätigkeit ist, mit einem Nicht – Neuro –
Buch herum zu sitzen. Dass ich mich selbst in meinem Job sicher manchmal, aber
nicht regelhaft für die Patienten aufgeben muss. Dass ich ein Recht habe auf
dieser Welt zu existieren, auch wenn ich nicht arbeite. Dass ich gemocht und
vielleicht auch geliebt werden darf, weil ich der Mensch bin, der ich bin und
nicht weil ich der Mensch bin, der exorbitant viel arbeitet. Dass die Welt noch
so wahnsinnig viel bietet, wenn ich mich selbst nicht so beschränke. Und selbst
wenn ich es mit diesem Job nicht hinkriege, bin ich kein schlechter Mensch.
Dann bin ich nur eben einen Weg gegangen, der gerade nichts für mich ist.
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Na wen haben wir da... ? Wer kennt ihn noch... ? Tavor 💕 (An Bildern, die mehr fotogen sind, arbeiten wir noch...) |
Ich hoffe, ich bin bereit. Für den Weg, der vor mir liegt. Der als
erstes ein bisschen Trauerarbeit sein muss, der Umgang mit dem Gedanken, dass
der beste Freund mir auf so tragische Weise so viel mit auf den Weg gegeben
hat. Auch, wenn es die letzten ungeschriebenen Zeilen waren. Aber ein bisschen…
- ein bisschen muss ich jetzt für uns beide kämpfen.
Und dann muss ich den ganzen darunter liegenden Mist in den Griff
kriegen.
Und oha ja, ich habe wahnsinnige Angst. Dass ich das nicht hinkriege.
Dass ich mir die Zeit, ich brauche nicht eingestehen kann, zu nehmen. Dass man
mir die Zeit nicht gibt, die ich brauche. Dass die alten Muster zu verlockend
sind und mich am Ende doch umbringen. Vielleicht ist das zu früh, aber ich habe
wahnsinnige Angst vor dem „nach der Klinik“. Wenn alle wieder mal glauben und
erwarten werden, dass die Mondkind ihr Leben auf der Kette hat. Wenn der
schützende Rahmen hier wieder weg ist, das Verständnis füreinander und ich
wieder damit konfrontiert werde, dass der Arztberuf nun mal brutal sein kann.
Und auch wird. Allein ein völlig katastrophaler Schlafrhythmus und Nachtdienste
werden mich an die Grenzen bringen, ohne dass fachlich etwas passiert ist.
Ich hoffe ab Morgen, wenn hier der Normalbetrieb los geht, können wir anfangen einzufangen. Mittlerweile bin ich seit über zwei Wochen mit immer mehr Mist mehr oder weniger alleine unterwegs. Seele leer reden. Ein Mal. Klar, nicht alles sofort bearbeiten. Aber ein Mal Raum bekommen. Ein Mal gehört werden.
Und ich hoffe… - ich hoffe, wenn Du jetzt da oben sitzt, dann bist Du
nicht zu böse auf mich. Ich habe so sehr gehofft, die Chance zu bekommen,
nochmal an mir zu arbeiten. Aber so… - war das nicht geplant. Es tut mir leid,
wenn ich zu unpräzise war. Es hätte niemand dafür sterben sollen.
Und alles was ich tun kann, ist Dich in meinem Herz zu tragen. Und
irgendwann ganz bald fange ich an Briefe zu schreiben, okay? Ich hab so viel zu
erzählen…
Mondkind
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