Psychiatrie #15 Ein paar Gedanken


Liebes Leben,
vielleicht fangen wir so an, ehe wir mit Briefen an den verstorbenen Freund anfangen. Ich sollte mich dran wagen, oder? Das ist sonst langsam auch… - unfair ihm gegenüber.
Aber ich komme immer noch nicht weiter. Sobald der Blick morgens aus dem Fenster auf die Baumzipfel fällt, habe ich die ersten Tränen in den Augen. Wie kann es sein, dass Du die nicht mehr siehst? Dass ich nicht auf die wichtigsten Menschen um mich herum aufpassen konnte.

Wobei der Blick auf die Baumzipfel ab morgen auch ein anderer wird. Ich muss umziehen zurück in ein Zweibettzimmer. Ich weiß, Luxusprobleme. Aber die Ruhe hier war gut. Einfach mal die Musik aufdrehen und die Tränen weinen, die hier auf der Station niemand sieht. Dann müsste man sich erklären und das Thema um das es geht, darüber darf man hier auf der Station nicht reden. Und mit dem Seelsorger telefonieren. Und nebenbei zumindest mal ein bisschen was von dieser Last teilen. Natürlich auch mit vielen Tränen. Viel Zeit hat er nicht. Aber mehr als jeder andere hier.
Und dann fragt er, was der Freund jetzt Tröstendes zu mir sagen würde. Und sagt, dass ich mir vorstellen soll, dass er mich einfach mal in den Arm nimmt. Auch fast unvorstellbar, weil es so unfassbar weh tut.

Vermutlich wäre es nicht richtig gewesen, mich damit unwohl zu fühlen, aber mittlerweile mache ich mir Vorwürfe, dass ich es mit ihm nicht wenigstens versucht habe, mit einer echten Beziehung. Was wir hatten, war sowieso eine Art Pseudo – Beziehung, wie die Menschen mir gesagt haben. „Dann habe ich gesagt, ich gehe meine Freundin besuchen“, sagte der Freund öfter mal. „Du musst sagen: Du gehst „eine“ Freundin besuchen“, habe ich dann immer korrigiert. Mittlerweile tut es mir so unglaublich leid, ihn da so verletzt zu haben.
Wäre ich je bereit gewesen für eine Beziehung – aber dazu glaubte und glaube ich erst das Familienproblem lösen zu müssen – wäre er der perfekte Partner gewesen.
„Ich wusste nicht, dass das echt so tief ging“, sagte der Seelsorger gestern irgendwann, als ich schon kaum noch reden konnte.

Liebes Leben, ich habe Angst, dass hier so einiges verkehrt läuft. Im Moment kann man mir hier kaum helfen. Das liegt daran, dass jeder nur wenige Therapiegruppen haben kann wegen Corona, dann fällt urlaubsbedingt viel aus und dann bin ich weit davon entfernt meine Themen in die Gruppe einbringen zu können. So manchmal fühle ich mich wie ein grünes Männchen mit Antennen. So vollkommen alleine und anders als alle hier in der Gruppe.
Diesmal bin ich irgendwie wirklich anders hier. Glaube ich. Nicht so klassisch stockdepressiv, wie viele hier. Sondern einfach unglaublich traurig, mit vielen Selbstzweifel und Vorwürfen. Ich fühle mich so schuldig mit diesem Thema, dass ich einfach auch nicht darüber sprechen möchte mit Menschen, bei denen ich mir nicht ganz sicher bin, dass das klappt. Die Pflege ist im Moment absolut keine Option. Weil man in deren Zimmer wegen Corona sowieso nicht rein darf und die Gespräche dann auf dem Flur stattfinden und ich irgendwie das Gefühl habe, dass dieser Verlust nicht ernst genommen wird. Und dass die ganze Nummer mit der Suizidalität sowieso kein gutes Thema ist. Und die des Freundes oder meine eigene – das ist nun mal alles, um das es gerade geht.
Und ich… - ich bin noch viel schüchterner als sonst. Ich schäme mich einfach so sehr, nicht gut genug auf die Leute um mich herum aufgepasst zu haben. Habe Sorge, dass alle das jetzt nur als Vorwand sehen, wieder in der Klinik zu sein. Ich habe Angst, dass denen nicht klar ist, was ich hier mache. Und was der Auftrag ist. 

Nicht fertig, aber meine neue Beschäftigung hier, wenn die Worte leer sind

Und dann gibt es so verwirrende Dinge. Ein Mitpatient kennt mich noch aus dem letzten Jahr und ist mit einem anderen ehemaligen Mitpatienten noch befreundet. Der kam gestern und wollte mich auch unbedingt sehen. Dann hat er für uns drei Kuchen mitgebracht und dann saßen wir auf dem Gelände, haben Kuchen gegessen, Kaffee getrunken und es war für den Moment wirklich okay. Bis ich mich gefragt habe, was der Freund dazu sagen würde. Ich mit zwei männlichen Wesen – wahrscheinlich hätte er genau nachgefragt, was das darstellen soll. Und es ist immer noch so komisch, hier an diesem Ort zu sein. Und manchmal… - wenn ich so plane, wer wann vorbei kommt, dann ist er immer noch da. Weil er immer die erste Priorität war, neben den Therapieterminen. Alles andere wurde drum herum gebastelt.
Und allgemein… - seitdem einige mitbekommen haben, dass ich wieder in der Stadt bin, muss ich Besuch tatsächlich koordinieren. Wie kann das sein, dass so viele Leute sich an mich erinnern? Mich so viele Leute sehen wollen, trotz der Umstände, unter denen ich hier bin.

Liebes Leben, ich habe Angst.
Angst davor, in ein paar Wochen wieder zwischen den Welten zu hängen.
Angst davor, dass mir die Zeit hier nicht reicht um mich zu sortieren. Weil ich viel Zeit brauche, glaube ich.
Angst davor, wieder arbeiten gehen zu müssen, ohne den Kopf dafür zu haben. Obwohl ich – und das meine ich ganz ernst – die Arbeit vermisse. Aber niemand würde im Moment das Gefühl haben, dass meine Auszeit etwas gebracht hat. 
Angst davor, dass es doch Auswirkungen auf den Job hat, was ich hier mache. 
Angst den Menschen hier nicht vermitteln zu können, was das Problem ist. Weil es mir so unangenehm ist, dass ich erst mit den Randbereichen anfange und nach ausreichender Redezeit zum Punkt komme.Und bei manchen eben gar nicht. Das ist auch meine Sache, das ist mir schon klar...

Ich habe Angst davor, dass nichts von dem das ich hier tue richtig ist. Vielleicht hätte ich in der Ferne bleiben sollen, um wenigstens nicht zwischen den Welten zu hängen. Um wenigstens nicht wieder Leute zu haben, die am Job sägen. Sagen, dass ich doch lieber Mikrobiologie machen sollte. Hätte ich das gewollt, hätte ich das getan. Aber darum geht es auch nicht.
Vielleicht liebes Leben hätten wir versuchen sollen das mit dem Seelsorger in der Ferne zu lösen, auch wenn er nicht begeistert gewesen wäre die ganze Trauerarbeit auf seine Füße zu stellen. Weil er am Ende zu wenig handhabe hat. Sagt er. Er sagt, dass er froh ist, dass ich hier bin. Dass die Klinik auffangen kann. Könnte.

Erstmal bin ich jetzt gespannt, mit wem ich mir in ein paar Stunden das Zimmer teile. Dann bin ich wieder eine von denen, die morgens um kurz nach Fünf schon im Aufenthaltsraum sitzt. Ein Mitpatient hat mir ein Buch über Schematherapie ausgeliehen. Da bin ich dran. Wenn ich es gerade mal schaffe, weil ich eigentlich nur unglaublich müde bin… 

Mondkind

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