Psychiatrie #4 Die erste Zusammenfassung


Eine knappe Woche ist es jetzt her. Seitdem dieser ganze Wahnsinn angefangen hat, der zuletzt dann irgendwie unkontrollierbar war. Was ist da passiert? Was ist mit mir passiert? Wieso haben sich so viele Menschen plötzlich so viele Sorgen gemacht, wo das doch vorher niemanden interessiert hat… ? Und warum musste dafür erst wer sterben? Warum hat es nie ausgereicht, dass ich gesagt habe, dass es mir nicht gut geht? Warum musste sein Tod die Situation erst zum Dekompensieren bringen und warum sind sofort alle darauf angesprungen als man meinte, dass es nun einen berechtigten Grund gibt, warum es mir schlecht gehen „darf“.

Rekapitulieren wir nochmal. Fangen nochmal an.
Beim Donnerstag.
Ich auf dem Weg zum Herrn Therapeuten. Eigentlich war da nur Angst. Denn diesmal würde es ernst werden. Ich hatte so Angst, dass der Plan nicht funktioniert. „Was machen wir denn, wenn Sie nicht in Haus 10 landen…?“, fragte er vorher. Und ich wusste nicht, ob es diese Option überhaupt gab. Ich glaube, Herr Therapeut wusste, dass es die nicht gab.
Der Herr Therapeut trägt ein lila T – shirt und darüber einen lila Pullover und da fällt mir gerade ein, dass die Karte mit der Katze, die er für meine Trostbox gemalt hat, auch lila ist. Er ist schnellen Fußes unterwegs, während mir fast das Herz zerspringt. „Sie waren doch schon mal bei der Aufnahme?“, fragt er, als wir das gefürchtete Haus mit der Notaufnahme betreten. Nee, war ich noch nicht. Er weiß auch nicht, wo wir hin müssen, aber er fragt. Zum Glück. Die Schwester in der Aufnahme erkundigt sich erstmal was los ist und schon da bin ich völlig überfordert. Aber „Ein Freund ist gestorben“, reicht ihr erstmal. Dann müssen wir noch Fieber messen, sowie Puls und Sättigung und nach ein paar weiteren Fragen zu Vorerkrankungen und Vormedikation, dürfen wir uns dann nochmal rüber in den Wartebereich setzen. Zum Glück ist er immer noch dabei. Sitzt – ganz Corona – konform – mit einem Stuhl Abstand neben mir. Eigentlich ist mir sehr nach reden, aber die Distanz ist schon zu groß für meine leise Stimme und mir ist das einfach zu anstrengend.
Es dauert gar nicht lange, bis der Aufnahmearzt kommt. Und nochmal kurz wissen will, was passiert ist. Diesmal erwähne ich nicht nur den verstorbenen Freund, sondern auch, dass ich vor drei Wochen auch die potentielle Bezugsperson verloren habe und damit je den wichtigsten Menschen beider Welten. Zwischendurch werden wir von ständig herein kommenden Personen unterbrochen, bei denen ich (zum Leidwesen des Arztes) immer eine Redepause einlege. Der Herr Therapeut sitzt immer noch daneben, was mein Herz zumindest etwas ruhiger im Takt schlagen lässt. Eigentlich habe ich mit keiner Silbe gesagt, dass ich mich aktuell umbringen will. Ich weiß halt absolut nicht wohin mit mir, weil das eigentlich der feste Plan für August war, aber nach dem Suizid des Freundes, ich das eigentlich keinen antun kann. Jedenfalls wird befunden, dass die geschützte Station jetzt erstmal besser für mich sei. Ich sehe mit fragenden Augen den Herrn Therapeuten an, der – so das hinter der Maske ersichtlich ist – aufmunternd nickt. Ich habe so, so sehr gehofft, dass es nicht die Geschlossene wird. Und dann auch noch vor dem Wochenende… Auf der Station vom letzten Mal sei ohnehin kein Platz, merkt Herr Therapeut von selbst an.
Dann beschließen sie noch, dass das in der Akutsituation ja mal eine ganz gute Idee wäre, mich mit Tavor abzudecken. „Aber nicht zu viel davon“, werfe ich gleich ein. Nein, nicht zu viel, verspricht man mir.
Gespräche würden jetzt in der Situation gar nichts bringen, merkt der aufnehmende Arzt an. Na, da stimme ich aber gar nicht zu. Das würde mir jetzt am meisten helfen. Ein Mal die Seele leer reden. Einmal gehört werden. Einmal entwirren, diese ganzen Gedanken, die da kreuz und quer und schief springen und ihnen ein Mal ihre Macht nehmen.

Danach wird der Transport gerufen. Der Herr Therapeut muss los, sein nächster Patient wartet und ich werde auf die geschützte Station begleitet. Bis zur Aufnahme durch die Pflege dauert es eine Weile. Und die ist dann auch relativ kurz. Mehr als dass der Freund verstorben ist, ein paar Hinweise über Medikation und Allergien wollen sie gar nicht wissen. Das kenne ich ja anders von meiner letzten Station. Im Grunde weiß hier also keiner was los ist. Und das wird auch so bleiben.
Ich bin mit einer völlig aufgelösten Mitpatientin in einem Zimmer, die nur weint und allen möglichen Menschen Vorwürfe macht. Also so eine Mentalität mit der ich ganz super umgehen kann… - nicht.

Ich gehe an diesem Abend nicht zu spät ins Bett, bekomme aber wie immer an ersten Nächten in der Psychiatrie kein Auge zu. Irgendwann nachts halb 2 Uhr traue ich mich ins Dienstzimmer. Ob man mir irgendetwas zum Schlafen aufgeschrieben hat, will ich wissen. „Tavor“, kommt zur Antwort. Dieses Tavor – Gießkannenprinzip liebe ich ja auch… - nicht.
Aber auch mit dem Tavor schlafe ich nur eine Stunde.

Freitag.
Frühs will der Oberarzt mich sehen. Das ist ehrlich gesagt nicht sehr erquicklich. In einem weißen Kittel muss man meiner Meinung nach nicht unbedingt da sitzen, aber ob es nun eine Outdoor – Jacke sein muss und man quasi auf dem Sprung ist?
Er lässt mich die Sätze  nicht ausreden, versteht demzufolge die ganzen Zusammenhänge überhaupt nicht. Nach wenigen Minuten ist das Gespräch zu Ende – ich bin sehr frustriert. Ich soll bis über das Wochenende auf jeden Fall hier bleiben und es gibt – so wie das für Psychiater üblich ist – ein neues Medikament. Da wir alles Gängige schon durch haben, werden die Namen und Präparate langsam ausgefallener…

Irgendwann später freitags gabelt mich noch der Sozialarbeiter auf. Viel zu regeln gibt es (noch) nicht, solange wie ich den Job noch habe. Also reden wir ein bisschen über meine Pläne hinsichtlich der Station auf der ich beim letzten Mal war, aber da kann mir der Sozialarbeiter auch nicht viel Hoffnung machen.

Die Hausärztin ruft nochmal an. Erwischt mich gerade in einem ganz schlechten Moment. Ich weine eigentlich nur. Nicht sehr förderlich sie davon zu überzeugen, bald wieder arbeiten gehen zu können.

Ansonsten passiert nicht viel. Durch die Gedanken, die geteilt werden wollen bin ich super müde und liege fast den ganzen Tag nur frierend und dabei leicht zitternd im Bett. Ich habe auch schon seit Tagen nicht mehr genug gegessen; daran liegt es sicher auch, aber der Magen rebelliert noch. 

Zumindest Therapeuten - Tee hat der Herr Kliniktherapeut mitgebracht. Also sitzen wir jetzt auf der Geschlossenen mit Therapeutentee und bloggen. Hätte ich ja auch nicht gedacht...


Samstag
Heute Nacht entwickele ich die Idee, ob ich mich nicht einfach Sonntag entlassen lassen sollte. Eigentlich geht es mir – und nein, das ist nicht ironisch gemeint – doch wirklich so gut, dass ich arbeiten gehen könnte. Dann könnte ich Montag zurück in den Ort in der Ferne fahren, Dienstag nochmal bei der Hausärztin vorbei um die Krankschreibung bis zum Wochenende zu verlängern und dann müsste ich zu Hause mal klar Schiff machen und vielleicht hätte der Seelsorger mal Zeit, damit ich das wirklich mal verarbeiten könnte. Und dann könnte ich nächsten Sonntag eigentlich auch planmäßig meinen Dienst machen.

Ich berichte die meiner Meinung nach super Idee einer Kollegin (diejenige, die mir auch die Hausärztin organisiert hatte), die das jetzt eher nicht so gut findet. Auch melde ich an, dass ich gern mit der Pflege sprechen möchte. Nachdem ich ein paar Stunden warten muss, passiert das dann auch mal.
Da kommt der schon erwartete Rüffel. Das wäre jetzt natürlich ungünstig die Behandlung abzubrechen (wobei man sich eben ernstlich fragen muss, was das für eine Form von Behandlung sein soll, die Menschen absolut sich selbst zu überlassen). Ich würde schon irgendwann auf eine Therapiestation kommen, heißt es. Ich schlage vor, dass ich ja jetzt erstmal nach Hause gehen könnte, versuchen könnte zu arbeiten und mich auf die Warteliste für die Station schreiben lasse, auf die ich möchte. Findet man auch nicht gut. Ich könne ja nicht so fixiert auf eine Station sein… Na wieso nicht? Das ist nun mal die einzige Station auf dem Gelände, die Schematherapie anbietet und wieso sollte ich jetzt wieder mit einer anderen Therapieform von vorne anfangen, wo ich doch gerade dabei bin die Schematherapie zu verinnerlichen und mir das auch wirklich gut tut? Und wieso ist das jetzt so eine Schande das blöd zu finden einen anderen Therapeuten zu kriegen? Denn ja, das ist ein Problem, mich jetzt nochmal bei wem anders seelisch auszuziehen. Ich verstehe nicht, wo für die das Problem ist. Nur weil sich jemand Psychologe schimpft, sind das noch lange keine fürsorglichen Menschen.
Natürlich habe ich versucht mein Anliegen so deeskalierend wie möglich zu vermitteln. Ich habe gesagt, dass ich verstehe, dass wir hier nicht bei „wünsch – Dir – was“ sind, es bisher aber immer vom Arbeitgeber hieß, dass ein stationärer Aufenthalt die Kündigung nach sich zieht und ich dann gar nichts davon habe. Dass sich jetzt der Freund umbringt und damit das sowieso instabile System einstürzen lässt, konnte keiner wissen. Trotzdem sehe ich nicht den Sinn für mich mit einem neuen Team von vorne anzufangen, wenn ich wieder sechs bis sieben Wochen brauche, um Vertrauen aufzubauen. Da würde ich doch lieber mit dem Chef reden und fragen, ob es okay wäre, wenn ich dann nochmal weg wäre, jetzt aber sehr zügig wieder komme. Von dieser Lösung hätte ich für mich am meisten (und immerhin sollen wir ja für uns eigenverantwortlich handeln).
Sie wollen mich überzeugen, dass ich doch wenigstens bis Montag da bleiben soll, um das mit dem Oberarzt zu besprechen. Das wird auch nicht sehr viel nützen, ehrlich gesagt; es gibt halt keinen Platz auf der Station. Es ist einfach richtig dämlich gelaufen und dieses Löcher in die Luft starren auf einer geschlossenen Station macht mich verrückt…

Aber irgendwie bin ich mir gerade auch nicht sicher, ob ich die Dinge noch richtig einschätzen kann. Ob das nicht alles dezent kognitiv verzerrt ist, weil ich so dringend von dieser Station weg will. Auf die ich nun mal einfach nicht gehöre. Ich bin nicht verrückt. Nur unglaublich traurig und leer.
Die Pflege merkte schon an, dass ich eigentlich kaum über den gestorbenen Freund rede – was schon auch stimmt. Aber ich will hier einfach nicht zusammen brechen. Nicht so, wie ich letzten Freitag den Therapeuten an der Strippe hatte, zitternd, weinend und gleichzeitig frierend und schwitzend. (Okay, das habe ich schon bei der Hausärztin gestern geschafft, aber die ist auch wahnsinnig einfühlsam und wenn man mich dann so anstupst, falle ich schon noch in mich zusammen…).

Also Leute… - Meinungen sind willkommen (ich weiß nämlich absolut nicht, was ich tun soll) und ansonsten… - werden wir sehen, wie es hier weiter geht… Ob ich bis morgen bleibe. Oder noch bis Montag. Oder, ob hier noch ein kleines Wunder passiert.

Mondkind


P.S. Gerade gibt es freundliche Internet - Unterstützung eines Mitpatienten, daher auch mal ein Bild  :)

Kommentare

  1. Zuerst mal: ich bin kein Anwalt, aber um ehrlich zu sein kann ich mir nicht vorstellen, dass man einen Klinikaufenthalt (egal in welchem Fachbereich) als Kündigungsgrund nutzen könnte

    Zum anderen: was hast du denn zu verlieren, wenn du bis Montag wartest? Wenn du mit dem Oberarzt noch sprichst kann sich im besten Fall eine Lösung ergeben, vielleicht kannst du an Therapiesitzungen teilnehmen, auch wenn du nicht auf der Station bist, auf welche du gerne möchtest. Im schlimmsten Fall bist du einen Tag länger in der Klinik.
    Klar ist es ungünstig, wenn man sich nicht wohl fühlt, aber vielleicht musst du dem Personal erstmal eine Chance geben, dass sie dir helfen können.

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    1. Danke Dir für Dein liebes Kommentar.
      Mittlerweile habe ich mir auch überlegt, zumindest mal noch bis Montag zu warten. Unser Stationsarzt hat heute 24 - h - Dienst - aber nicht bei uns. Ergo muss ich das morgen direkt mit dem Oberarzt klären, obwohl der Stationsarzt eigentlich netter sein soll. Aber ein Kollege hat mir gestern schon geholfen, wie ich das formulieren muss, damit alles nach einem plausiblen Konzept klingt und die mir entweder eine offene Station anbieten, die mir auch etwas bringt, oder ich dann ohne mich gegen ärztlichen Rat zu entlassen, gehen kann.

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