Psychiatrie #7 Warten auf Lösungen und Trauern mit dem Seelsorger


Zwei naive Youngstars auf einen Haufen. Das würde einer unserer Oberärzte über die Konstellation zwischen dem Stationsarzt auf der Psychiatrie und mir sagen.
Wie es mir geht, will er wissen. „Och ja, soweit ganz okay…“, entgegne ich. Er berichtet, dass er vor circa einem halben Jahr Examen gemacht hat und auch noch ganz frisch ist. Es geht eine Weile um das Arztleben, bis ich dazu komme ihm zu erzählen was los ist und was mein Plan ist. Von Schematherapie hat er überhaupt keine Ahnung, da muss ich mir gar nicht erst Mühe geben. Aber er möchte eine Mail schreiben. „Ich schreibe die mal an Ihren Therapeuten und an die Oberärztin“, sagt er. „Na herzlichen Glückwunsch, die haben beide Urlaub…“, erkläre ich. „Mh…“, sagt er ratlos, kratzt sich am Kopf und fügt einen dritten Namen ein. Am liebsten hätte ich ja gefragt, ob ich die Mail schreiben darf, dann hätte ich nämlich begründen können, warum Schematherapie in dem Fall wichtig ist – das kann er ganz sicher nicht. Aber natürlich bleibe ich höflich und denke mir nur still: „Das kann ja alles nicht wahr sein, wie kann man so unglaubliches Pech haben, dass gerade jetzt alle Leute Urlaub haben, wo ich sie ganz dringend brauche…“
Er erklärt, dass wir morgen sicher eine Rückmeldung haben (na das möchte ich bezweifeln von den Urlaubern) und wir dann weiter reden.
„Ich muss nämlich ehrlich zugeben, ich verstehe Ihre Geschichte auch nicht so ganz, da ist das schon besser, wenn Sie nochmal auf eine Station gehen, wo man Sie kennt“, sagt er Arzt. „Genau“, sage ich und führe aus, dass ich das einfach nicht nochmal kann und mir nach acht Wochen nicht nochmal Fragen anhören kann bei denen klar ist, dass alle Beteiligten genau nichts verstanden haben. Gleichzeitig sage ich, dass mir die Chefs schon wieder im Nacken hängen und formuliert haben, dass ich „genau einen Schuss“ habe jetzt. Nach Ablauf der Warteliste wieder kommen, geht nicht, schärfe ich ihm ein und bitte ihn das auch so in die Mail zu schreiben.
Ende des Gesprächs.
„Okay also werden wir das morgen sehen und ich denke sonst werde ich mich auch wieder auf die Socken machen und dann am Sonntag auch ganz normal meinen Dienst wieder machen…“

Später am Nachmittag sammelt mich noch ganz kurz der Stationspsychologe ein. Den kenne ich schon von 2017 von der Nachbarstation. Mein Therapeut von der anderen Station meinte, dass der Stationspsychologe ein großes psychotherapeutisches Know – How hat. Davon waren wir schon damals nicht überzeugt und… - krass, dass man nach drei Jahren einfach dort weiter macht, wo wir damals aufgehört haben und er immer noch dieselben Schallplatten runter leiert.
Es geht darum, dass ich in eine Großstadt ziehen und mir Hobbies suchen soll, außerdem würde ich endlich einen Freund brauchen und soll abends mal ausgehen. Diese ganzen küchenpsychologischen Ratschläge sind natürlich nicht so falsch, aber in der jetzigen Situation... Ich habe innerhalb von drei Wochen die beiden wichtigsten Menschen verloren und muss mich jetzt auch hinsichtlich des Wohnortes und wie ich weiter mache, erstmal völlig neu orientieren – da sind das jetzt echt meine geringsten Probleme.
Das spreche ich auch an. Merke an, dass ich gerade keinen Kopf dafür habe und eher noch 27.000 Gedanken wegen des Freundes im Kopf habe. „Na da spreche ich jetzt nicht mit Ihnen drüber, da bin ich hinterher genauso verwirrt wie Sie – oder noch verwirrter… Das ist natürlich tragisch mit dem Freund…“
Verdammte Hacke, für solche allgemeingültigen Ratschläge hätte ich nicht hierher fahren müssen. Warum darf er jetzt nicht Thema sein? Warum darf es nicht zum Mittelpunkt werden, dass ich so einen wichtigen Menschen verloren habe? Warum will niemand zumindest mal ein bisschen Trauerbewältigung machen oder mir zumindest sagen, was ich tun kann?

Ich komme hier nicht weiter… - so ist es einfach. Und muss ganz, ganz dringend runter von dieser Station. Ich kann hier weder zur Ruhe kommen, weil ich versuchen muss die Verlegung auch ein bisschen mit selbst zu organisieren und auseinander fallen kann ich hier auch nicht.

Gegen Abend ruft noch der Seelsorger vom Ort in der Ferne an. Auf seinen Anruf hatte ich auch schon eine Weile gewartet und bin unglaublich froh, dass wir uns mal erwischen.
„Das ist ja der Wahnsinn, was Sie nebenbei alles schon wieder planen und organisieren…“, merkt er an. „Ja, ich habe gar keine Zeit mich zwischendurch mal auf die ganzen Themen einzulassen, weil ich mich gedanklich nur darum drehe, wie ich auf diese Station komme…“
Und dann nehmen wir uns doch mal Zeit. Und ich darf die Fragen endlich stellen, die mich so sehr beschäftigen. Was ist, wenn ich das nur ihm zu verdanken habe, dass ich den August überlebe? Den Monat, der der Monat gewesen wäre in dem ich meinem Plan nach hätte sterben sollen? Warum musste ein Mensch sterben, damit ich mit viel Glück nochmal die Chance bekomme, an meinen auch viel tiefer liegenden Problemen zu arbeiten? Und was ist mit den Schuldgefühlen? Was ist mit dem halben Meter, der ihm gefehlt hat bis zu dem Wissen,  dass es im Ort in der Ferne zwischen mir und der potentiellen Bezugsperson auch nichts wird? Bin ich jetzt Schuld, dass ich da nicht mehr Druck bei der Bezugsperson gemacht habe, wo ich doch wusste, dass er wartet? Und… - wie trauert man eigentlich? Wohin gehen Menschen, wenn sie gegangen sind? Was kann ich jetzt machen, um einen Weg durch den Schmerz zu finden? Und wie kann ich damit leben, dass ich das Glück, das ich hier ganz eventuell doch irgendwann finde, einem anderen Menschen zu verdanken habe? Er hat es ja nicht für mich getan, aber er hat mich wach gerüttelt.
Und was würde er jetzt zu mir sagen, wenn er wüsste, dass ich wegen der ganzen Sache auf einer geschlossenen psychiatrischen Station sitze? „Na was würde er sagen?“, fragt der Seelsorger. „Ich glaube…“, sage ich nach einer langen Zeit, „er wäre stolz auf mich…“ „Das glaube ich auch“, entgegnet der Seelsorger.
Mindestens das halbe Telefonat weine ich und das tut auch mal gut. Auffangen funktioniert mit ihm selbst durch das Telefon einigermaßen.

Sorry für bessere Fotos reicht es hier nicht... - Auf dem Bett liegen und mit dem Seelsorger telefonieren...

Dass die Schuldgefühle bald weniger werden, das glaubt er nicht. Er hat dafür in seinem Fall ein Jahr gebraucht, sagt er. Aber er sagt auch, dass man das Leben immer auf Kosten der anderen lebt. Und immerhin lebe ich jetzt. Das ist vielleicht alles, was zählt. Und vielleicht bin ich langsam innerlich bereit, mich davon zu distanzieren, aus dieser Welt einfach auszusteigen. Wenn auch das so einen tragischen Fall erfordert hat.
Ich soll ihm viele Briefe schreiben, sagt der Seelsorger. Dem verstorbenen Freund. Ihm erzählen, was ich durch ihn gelernt habe und wie es mir geht. Irgendwann werde die Trauer vielleicht auch Dankbarkeit. Und wenn ich das hier alles überlebe, dann wird er vielleicht auf prekäre Art immer der Mensch sein, der mir das Leben gerettet hat.
Er sagt nochmal, dass es okay ist, jetzt Zeit zu brauchen. Niemand kennt die ganze Geschichte auf der Arbeit. Niemand weiß, dass es mit mir und dem Leben so knapp war. Ich soll noch zumindest bis Ende der Woche in der Klinik bleiben, regt er an. Na ich weiß nicht… - wenn sie es nicht schaffen mit der Station… - der Stationspsychologe hat mich heute so aggressiv gemacht. Vielleicht schaffen es auch der Seelsorger und ich. Vielleicht können zwei Menschen, die dasselbe erlebt haben doch besser darüber sprechen, als Professionelle, die den Kern der Sache nicht erfassen.

Von meinen eigenen Anstrengungen hinsichtlich einer Mail an der Oberarzt habe ich übrigens noch nichts gehört. Das wird dann wohl nichts genützt haben... 

Mondkind

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