Turbulente Wendungen


 Freitagfrüh. Vor der Frühbesprechung.
„Mondkind, Du siehst komatös aus…“
Damit fing alles an. „Willst Du darüber reden…?“, hat mein Epilepsie – Oberarzt hinterher geschoben. „Nein…“, habe ich entgegnet. Zwar haben wir uns im PJ noch ein Büro geteilt; er war damals noch Assistenzarzt und ich kam damals schon sehr gut mit ihm zurecht, aber eigentlich möchte ich nur den Tag irgendwie überleben. Und nicht reden.
Spät am Nachmittag. Wir müssen Epilepsie – Patienten besprechen. Vermutlich sehe ich schlimmer aus, als es mir geht. Mein Hirn habe ich nämlich tatsächlich noch recht gut beieinander. Das Telefon klingelt. „Mondkind, erstens: Wegen des Epilepsie – Patienten…“, legt er los. „Und Zweitens: Ich mache mir Sorgen. Mondkind ich sitze im Keller in meinem Büro. Ich frage nochmal: Willst Du darüber reden…?“ Ich überlege. Wie soll ich denn das händeln? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob ich so arbeiten sollte… „Wenn es Dich nicht stört und nicht zu viel Deiner Zeit weg nimmt…“, sage ich. „Komm runter…“

Als ich klopfe, telefoniert er gerade noch. Mit einer Handbewegung deutet er mir herein zu kommen und mich auf den freien Stuhl neben ihm zu setzen. Und dann passiert das, was ich geahnt hatte. Ich will etwas sagen, aber es geht einfach nicht. Es dauert ewig, bis ich zwei Sätze gesprochen habe. „Es geht um einen sehr guten Freund. Der gestorben ist…“, sage ich irgendwann. „Wie ist er gestorben?“, fragt er. „Er hat sich das Leben genommen…“, entgegne ich. Er lässt sich auf seinem Stuhl nach hinten fallen. „Nein Mondkind, Du hättest heute nicht arbeiten kommen sollen… - und jetzt fühlst Du Dich schuldig?“, schlussfolgert er. „Ja das auch“, entgegne ich und kann schon wieder nicht anders, als weinen.
Und dann höre ich einen langen Vortrag. Über schwer depressive Menschen und die Behandlungsmöglichkeiten. „Mondkind, deswegen habe ich mein Psychiatrie – Jahr so gehasst. Mit schwer depressiven Menschen gibt es eigentlich immer nur Opfer. Wenn die Leute akut depressiv sind, kannst Du nichts machen. Reden bringt da gar nichts. Du hättest Dich auf den Kopf stellen können und es hätte nichts genützt. Das Einzige, das Du in solchen Phasen machen kannst ist die Menschen stationär aufnehmen und erstmal mit Tavor zuknallen. Und irgendwann geht es denen wieder besser und die sind auch offen für Gespräche. Und leider passieren diese Episoden immer wieder. Und wenn die sich irgendwann umbringen, dann zerstören sie das Leben von im Schnitt fünf anderen Menschen mit. Und jetzt bist Du leider Eine davon…“
Ich schweige. Ich schweige viel. Kommt mir ja streckenweise vor, als würde er über mich reden…

Samstag.
Samstag laufen die Gedanken Amok. Da ist Trauer. Viel Trauer. Aber das ist nur eine von vielen Säulen. Denn da sind auch Schuldgefühle. Wäre ich nicht in den Ort in der Ferne gegangen, wäre er nicht gestorben. Das ist leider Fakt. Und mein Umzug hat nicht mal etwas genützt, denn was er nicht mehr mitbekommen hat ist, dass es mit der potentiellen Bezugsperson ohnehin nicht funktioniert und ich überlege, zurück zu gehen. Dann, drittens, kann ich aber nicht zurück in die Studienstadt, jetzt wo er verstorben ist. Das ist fast wie Verrat. Außerdem wird es ohne ihn nicht wieder dasselbe sein. Wo bleiben denn dann unsere Café – Dates?
Zum Vierten ist Suizidalität ja auch immer mein Thema. Bis zu den ersten Diensten wollte ich es machen – das wäre August. Und was ist wenn – fünftens – ich das nur überlebe, weil er einen Monat früher an dieser Idee verstorben ist. Man kann wirklich immer so argumentieren, dass man im Leben der Anderen nur eine marginale Rolle spielt. Aber das ist dann wohl kognitiv verzerrt. Mein Oberarzt (– jetzt ist Ausnahmesituation, deswegen doch mehr Kontakt), hat mir schon die Ohren lang gezogen und meinte, dass er sehr betroffen wäre. Und wenn irgendwer dann so leiden müsste, wie ich jetzt… - nein, das kann ich nicht machen. Also ist aussteigen nicht möglich, dieses Leben hier aber irgendwie auch nicht. Also wohin jetzt…?

Sonntag. Dienst.
Ich mit meinem vollen Kopf. Mit dem Epilepsie – Oberarzt. Ich kann nicht mehr reden. Nicht mehr laut. Nur noch monoton flüstern.
„Mondkind es geht Dir immer noch nicht besser“, stellt er auf unserer Stroke Visite fest, in der ich einfach nur das in den PC tippe, das er sagt.
Zum Glück ist nicht so viel los heute. Als die Schwestern aber um 17:59 Uhr (also eine Minute vor Dienstschluss) noch mit einer To – Do – Liste um die Ecke kommen, ticke ich fast aus. Kennt man nicht von mir. Aber ich bin einfach nur unendlich müde.

Montag. Frühs.
Ich stehe gerade im Patientenzimmer, als das Telefon läutet. Der Epilepsie – Oberarzt. „Haben wir etwas wegen der Patienten zu besprechen…?“, fragt er. „Ich kriege heute einen Neuen…“, entgegne ich.
„Also Mondkind, jetzt mal zu Dir. Ich bin Dein Oberarzt. Ich habe eine Verantwortung. Und die Arbeit auf Eurer Station ist sehr hart; die Oberärzte können Euch nicht viel helfen. Da musst Du Dich voll konzentrieren, sonst passieren da Fehler. Was ich sagen will Mondkind – das wollte ich Dir eigentlich schon Freitag sagen, aber keiner von uns will, dass Dir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, wenn Du vor Ort niemanden zum Reden hast und Du dann dumme Gedanken bekommst – Du kannst so nicht mehr arbeiten. Spätestens ab Morgen bleibst Du zu Hause. Und Mondkind, ich bin zum Chef gegangen. Es tut mir leid, ich musste das machen. Er hat auch sehr gut reagiert und überlegt, wie er Dir helfen kann. Er meldet sich noch bei Dir.“ Ich schweige vor mich hin. Dass ich ihm unter vier Augen erzählt habe was passiert ist, sollte jetzt eigentlich nicht dazu führen, dass die Story direkt beim Chef persönlich landet. „Mondkind, ich glaube Du bist gerade in so einer Schockstarre. Und ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber ich glaube, das wird jetzt eine Weile dauern. Und ich bin mir auch nicht sicher, dass Du da alleine raus kommst…“
In dem Moment verstehe ich noch gar nicht, was das für mich eigentlich alles bedeutet. Und was er mir da sagen will. „Ja und was soll ich dem Oberarzt hier auf der Station sagen?“, frage ich. „Gar nichts Mondkind. Ich rede mit ihm. Du musst nichts machen, außer morgen zu Hause zu bleiben.“
Eine andere Kollegin stellt mich im Lauf des Tages auch noch zur Rede. Und erfährt dann, dass ich noch einen Hausarzt brauche, der mich ab morgen krank schreibt. „Mondkind, ich kenne da eine Kollegin. Ich rufe die an, ich regel das für Dich.“

Am Nachmittag ruft nochmal mein Epilepsie – Oberarzt an. „Und Mondkind, Du hast meine Handy – Nummer…? Schreib mir morgen bitte. Ich möchte mir keine Sorgen machen müssen.“

Dienstag. 
Erster offizieller Krankheitstag meines Lebens. In der Uni hat eine Krankmeldung niemanden interessiert, deshalb habe ich es gelassen.
Die Ärztin, die mir die Kollegin empfohlen hat, sitzt ein paar Orte weiter und mit dem Zug ist es eine lange, anstrengende Tour. Aber sie ist sehr lieb. Und etwas entsetzt.
Ehrlich gesagt verstehe ich diesen Aufstand nicht ganz. Bisher hat das irgendwie nie jemanden so richtig interessiert, wie es mir geht und plötzlich sind alle so überbesorgt. Das ist irgendwie auch mal eine schöne Erfahrung, aber bisweilen auch etwas überfordert. Ich finde gar nicht, dass ich so desolat aussehe. Aber… - vielleicht nehme ich auch nur noch sehr, sehr wenig wahr.
Ich bin jetzt jedenfalls erstmal krank geschrieben. 



Am Nachmittag bekomme ich eine Mail von „meinem“ Oberarzt. Er war wohl bei dem Gespräch dabei, das mein Epilepsie – Oberarzt und der Chef geführt haben. Der Chef hat wohl ernsthaft nachgedacht, was mir jetzt helfen könnte und die Überlegung in den Raum geworfen, ob nicht ein stationärer psychiatrischer Aufenthalt helfen könnte. Der Epilepsie – Oberarzt kennt meine Geschichte natürlich nicht und weiß nicht, dass ich im Prinzip seit Monaten darauf warte, dass mich Jemand gehen lässt, ohne dass ich meinen Job verliere und hat das deshalb wohl so vorsichtig formuliert. Aber „mein“ Oberarzt weiß ja Bescheid. Stellt mal die Aussage in den Raum, dass jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt wäre.
Und dann sitze ich erstmal da und weine. Warum… - ich weiß es nicht. Es überfordert mich alles so. Auf der einen Seite kann ich mich jetzt endlich um mich selbst kümmern und das ist nach dem Tod des Freundes nochmal wichtiger. „Was Ihr da hattet war – so wie Du es erzählst – wie eine Beziehung nur ohne Intimität…“, wurde mir erklärt. Auf der anderen Seite frage ich mich, ob ich wohl dem Schicksal vergessen habe zu sagen, dass bitte niemand sterben soll, um meinen Wunsch in die Klinik gehen zu können, zu erfüllen. Und dann frage ich mich auch, ob ich seinen Tod nicht vielleicht auch irgendwie ein bisschen ausnutze. Wäre das nicht passiert, hätte sich die Haltung der Menschen um mich herum nicht so geändert.

Am Abend ruft Herr Kliniktherapeut an. Das hat er schon am Morgen versucht, aber da war ich gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Zug. Wir beschließen, dass wir Donnerstag gemeinsam in die Notaufnahme gehen. Natürlich war das so alles nicht mein Plan. Denn dass ich auf die Station vom letzten Mal komme, ist fast unmöglich. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht schlimm ist, aber natürlich ist es schlimm wieder von vorne anzufangen und einsehen zu müssen, dass er mir als Therapeut aufgrund der Strukturen in der Klinik gerade einfach nicht helfen kann, obwohl er die besten Einsichten hat und ich mittlerweile auch nicht mehr das Gefühl habe, mich bei ihm zusammen reißen zu müssen. Wenn ich bei ihm komplett zusammen falle, dann ist das so. Blöd, aber okay. Er stellt mich nicht auf den Flur vor seinem Büro, ohne mich vorher wieder ein bisschen zusammen gesetzt haben. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Bis man mit dem Vertrauen so weit ist, ist der Klinikaufenthalt halt leider um. Und dann gibt es auch viele Stationen, auf denen man nicht landen will. In erster Linie möchte ich einfach ein paar Tage sicher sein und Abstand gewinnen, aber klar – ein bisschen Stabilität erlangen, wäre auch sehr gut.

Spät am Abend fahre ich dann los. In Richtung Studienstadt. Ob sich das richtig anfühlt, weiß ich nicht. Irgendwie nicht. Zu all dem Stress noch Leben zwischen den Welten. 

Letzter Blick auf den Campus vom Zug im Bahnhof aus. Ob das richtig ist, was ich hier mache? Ob es mir besser geht, wenn ich zurück komme? und wann werde ich überhaupt zurück kommen?

 
Zwischenstopp. Auf diesem Bahnhof habe ich immer mit dem verstorbenen Freund telefoniert, der Sorge hatte, dass man mich zu später Stunde entführt. Schwer was auszuhalten. Ihn nicht mehr am Ohr zu haben, während ich auf den Anschluss warte

Früh morgens auf dem Hauptbahhof der Studienstadt

Ich bin sehr, sehr müde und habe jetzt auch ewig für den Blogpost gebraucht. Aber ich versuche Euch auf dem Laufenden zu halten. Es wird schwierig, weil ich gerade diesen Monat den Surfstick gekündigt habe. Nachdem das so unmöglich schien, sobald nochmal in der Klinik sein zu können. Aber egal was morgen passiert – ich werde einfach unfassbar viel weinen. Das ist ganz komisch. Einerseits hoffe ich, dass es mit einer Aufnahme morgen klappt (Herr Therapeut sagte, es könnte auch sein, dass sie mich nach Hause schicken, weil die super voll aktuell sind), auf der anderen Seite habe ich auch Angst davor wieder in der Klinik zu sitzen und zu wissen, dass man es das dritte Mal nicht gepackt hat. Und Herr Therapeut hat auch in der nächsten Woche Urlaub. Wenn etwas passiert, muss ich mich selbst durchschlagen.

Mondkind

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