Psychiatrie #10 Zweifel, Kritiker und Warten auf Hilfe


Stillstand.
Während in mir und um mich herum ganz viel passiert.
Ich habe mir vorgenommen, selbst aus der geschützten Station so viel raus zu holen wie möglich, aber das funktioniert leider nicht ganz.

Langsam werde ich wahnsinnig. Den ganzen Tag 20 Menschen auf einen Haufen, von denen manche Menschen das Wort „Distanz“ noch nie gehört zu haben scheinen. Klar, die können auch nichts dafür und ich will das auch gar nicht verurteilen, aber zur Ruhe kommen und nachdenken ist fast unmöglich. Mittlerweile darf ich ein bisschen raus gehen, da stehen aber nach einer Woche doch auch ein paar Erledigungen an.
Leben gegenüber dem Raucherraum bedeutet übrigens, dass man Tag und Nacht zum Passiv – Kettenraucher wird.  

Um über den verstorbenen Freund zu reden, ist hier kein Platz. Nachdem ich da ein Mal beim Ergotherapeuten zusammen gebrochen bin, erstickt er das Thema mittlerweile im Keim und verweist an den Psychologen, der erstmal Zeit haben muss und der dann auch noch von seiner Schallplatte abweichen müsste. Die Nummer mit: „Sie müssen aus dem Kaff weg ziehen, sich Hobbies und Freunde suchen“, ist gerade einfach unangebracht. Weil die Menschen nicht zuhören. Nicht verstehen. Dass Umziehen keine Lösung mehr ist. Dass Küchenpsychologie aka suchen Sie sich ein Hobby und Freunde gerade einfach nicht mehr hilft. Weil man diesen zwischenmenschlichen Schmerz nicht einfach übertünchen kann und es mit einer neuen Farbe besser aussieht. Weil wir noch so viele Pläne hatten, so viel tun wollten und das jetzt nie mehr machen werden.
„Das mit der Aufarbeitung von seinem Tod, machen Sie dann mal in Haus 10“, erklärt die Pflege. Ja, Danke auch. Mittlerweile weiß ich das seit genau seit zwei Wochen. Vor zwei Wochen ist ein Teil der Welt einfach mal stehen geblieben. Und bis auf den Seelsorger, den ich leider bevor ich abgereist bin nicht mehr gesehen habe, sieht sich niemand in der Lage, einfach mal zuzuhören. Zu begleiten. Selbst das vom Seelsorger vorgeschlagene Briefe schreiben soll ich hier laut Pflege nicht machen, weil mich das gerade einfach überfordert. Wo sie auch nicht Unrecht haben, aber wir sind hier in einer Psychiatrie, das ist verdammt nochmal deren Job. Die sollen nicht warten, bis mir dann der Kopf platzt und mich dann verlegen, damit die Normalstation mich erstmal einfangen kann.

Am Wochenende hätte ich Dienst gehabt. Und wie sehr vermisse ich einfach dieses alte Leben. Natürlich auch nicht unbedingt diese 12-, oder 13 – Stunden – Tage, aber das Gefühl etwas Nützliches zu tun. Was tut man denn hier schon? Auf Schema – therapeutisch gesprochen, macht mich der innere Kritiker und Forderer fast wahnsinnig. Eigentlich haben schon alle versucht, ihn zu beruhigen. Meine beiden Oberärzte, die mir sagen, dass ich mir Zeit lassen soll und der Job auf ich wartet, die Ärzte, die eine Behandlung hier für nötig erachten, weil ich dem Stationsarzt gestern natürlich sagen musste, dass eine Entlassung hier jetzt nicht bedeuten würde, dass ich das überlebe. Noch weiß ich ja nicht, wohin mit meinem Leben. Aber er dreht trotzdem auf, lässt sich nicht in seine Schranken verweisen und selbst das schon am Morgen begonnene Tavor hilft nicht so richtig dabei.

Und irgendwie… - ja, irgendwie vermisse ich auch mein kleines Kaff. Den Bach vor meinem Wintergarten, die Sonne die morgens manchmal schräg darauf scheint, auch wenn ich mit dem Kaffee immer noch auf dem Boden sitzen muss. Der Freund und ich wollten ja im Herbst mal die Wohnung einrichten, da wollte er vielleicht mal ein paar Tage runter kommen zu mir.
Ich vermisse den morgendlichen Spaziergang den Berg hoch auf der Arbeit, am Wochenende den Gang um die Stadtmauer, der – wenn man ehrlich ist – schon wochenlang nicht mehr stattgefunden hatte, weil ich ja seit Mai gearbeitet hatte wie eine Verrückte inklusive der Wochenenden.

Ich muss das heute noch mal mit denen bereden. Ich kann so nicht hier bleiben. Da hilft ja auch keine Therapie, wenn ich 24 / 7 nur im Kopf habe, ein absolut unproduktiver und wertloser Teil der Gesellschaft zu sein.
Aber wenn ich das jetzt nicht durchziehe und der Herr Kliniktherapeut nach seinem Urlaub mitbekommt, dass ich nicht mehr auf der geschützten Station sitze und auf den Platz warte, wird er mich sicher auch nicht mehr unterstützen. Und ich komme so ganz alleine in der Ferne einfach wirklich nicht zurecht.

So… - jetzt gibt es hier gleich erstmal Kaffee und nebenbei beginnen wir das Hirn mit Tavor zu vernebeln. Ich weiß nicht, wann sie das absetzen wollen, aber gerade wenn es so laut ist, bin ich doch noch dankbar dafür.

Mondkind

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