Psychiatrie #11 Neue, alte Station
Samstagmorgen
Ich habe mir ein Kopfkissen in den Rücken gesteckt, die Decke über die
Beine gezogen, die Psychiatrie – Infomappe als Unterlage auf meinen Schoß
gelegt und den PC auf die über den Knien angezogenen Wolldecke gestellt, die
ich mir zu meiner normale Bettdecke noch habe geben lassen.
Die Vorhänge sind schon ein kleines Stück zu Seite gezogen und wenn ich
nach draußen schaue, sehe ich eine Menge Wolken und die Bäume auf dem Gelände.
Vom Gang draußen hört man immer mal ein paar Geräusche, aber sonst ist
es ganz still.
Ich bin seit Stunden wach, der Wecker auf dem Nachttisch neben mir
zeigt aber, dass es schon halb sieben ist. Und ich habe endlich die Kraft für
diesen Blogpost gefunden.
Am Ende ging es alles sehr schnell. Ich saß gestern mit meinem Tavor –
vernebelten Hirn nach dem Frühstück auf dem Sofa, als der Stationsarzt mich
ansprach, dass er nur noch schnell seinen alten Kittel in den Abwurf bringen
müsse und dann nochmal mit mir reden wolle. Ich dachte schon, es ginge wieder um
die Endlos – Diskussion, ob ich bleibe oder nicht, weil ich am Abend davor so
einen Druck in meinem Kopf hatte arbeiten gehen zu müssen, dass ich die Pflege
dezent genervt habe.
Am Ende ist der Kollege vielleicht selbst in den Kittelabwurf gefallen
oder was weiß ich – jedenfalls kam nicht er, sondern seine Kollegin und hat
mich mitgenommen. „Sie wollten doch auf [Station xy], oder?“, fragt sie. „Ja….“,
entgegne ich etwas gedehnt. „Dann können Sie da jetzt hin…“, erklärt sie. „Na
das hatten wir doch schon geklärt, der Kollege wollte doch eine Mail schreiben“,
sage ich. „Nein, ich meine, Sie können da jetzt hin“, erklärt die Ärztin. „Jetzt
sofort, oder wie?“, frage ich. „Genau“, antwortet die Ärztin. „Für 11 Uhr ist
die Verlegung geplant…“
Ich habe weniger als eine Stunde Zeit, um alle Sachen wieder in den
Koffer zu schmeißen, der bisher nicht so richtig ausgepackt war (aus guten
Gründen – mit der Sauberkeit war es nicht weit her…). Am Ende händigen sie mir
noch die einkassierten Sachen aus, ich verabschiede mich von den Mitpatienten,
mit denen ich mich doch am Ende mal von Zeit zu Zeit unterhalten habe und dann
darf ich mit der Schülerin zu Fuß einmal quer über das Gelände laufen.
Eigentlich sollte mich die Schülerin ins neue, alte Haus bringen – im Endeffekt
war es aber so, dass sie keine Ahnung hatte, wo wir hin müssen. Aber ich kenne
den Weg ja.
Die Pflege hat mich ganz lieb empfangen – beide die da waren, kannte
ich auch noch vom letzten Mal. Erstmal wurde mir dann mein Zimmer gezeigt,
damit ich das Gepäck abstellen kann und ich habe sowas von Glück gehabt. Ich
habe ein Einzelzimmer ganz am Ende der Station bekommen. Nachdem auf der geschützten
Station das Wort „Privatsphäre“ einfach nicht mehr existierte, ist das wie ein
Sechser im Lotto. (Deshalb konnte ich mir gerade auch bafuß mein Ladekabel vom
Tisch holen, weil Straßenschuhe hier drinnen bei mir ausgezogen werden… ;) ).
Mehr als ein Gespräch mit der Ärztin hat es bislang noch nicht
gegeben. Sie ist neu hier und wir müssen uns erstmal aneinander gewöhnen.
Natürlich hat sie jetzt nicht sofort verstanden, wieso Jemand durch halb
Deutschland fährt, um hier aufgenommen zu werden und die Tragödie mit dem Tod
des Freundes hat sie auch nicht ganz erfasst, weil ich ihr nicht im ersten
Gespräch erklären wollte, dass ich in spätestens zwei Wochen auch nicht mehr
hatte da sein sollen. Sie ist sowieso sehr übervorsichtig was das Thema
Suizidalität angeht, da halte ich besser den Mund, habe ich schon festgestellt.
Während sie festgestellt hat, dass ich wohl Angst vor der geschützten Station
habe. Wir haben uns dann schon mal darauf geeinigt, dass ich auch mit
Meldebögen zurechtkomme, wenn es schlimm wird. Das reicht mir an Sicherheit.
Ich brauche niemanden, der die Türen verschließt, sich aber um sonst nichts
kümmert.
Nach viel Betteln habe ich dann übrigens die Genehmigung bekommen,
heute eine Stunde raus zu dürfen, um Waschmittel zu kaufen. Was soll ich machen…
- ich muss eben waschen.
Wenn ich jetzt schon mal Zeit habe (aber gerade noch nicht darf), muss
ich als Projekt für nächstes Wochenende mal das Vogelnest auf meinem Kopf
angehen. Eigentlich wollte ich schon seit Wochen zum Friseur – da war ich seit
Januar nicht mehr. Aber wenn man nur arbeitet (und ja auch nicht geplant hatte,
noch lange hier zu sein…) - mittlerweile stört es mich aber massiv und es würde
sehr zu meinem Wohlbefinden beitragen, dass das mal wieder vernünftig aussieht.
Aber immer der Reihe nach…
Aufgabe für dieses Wochenende wird es sein, zum zweiten Mal den Stapel
an Eingangsfragebögen für die Therapie auszufüllen. (Eigentlich müsste Herr
Therapeut bestens informiert sein, aber vielleicht ist es für meine Reflektion
nochmal ganz gut). Dann wollte ich mal schauen, ob ich hier ein Buch zum Lesen
finde. Wenn Jemand von der Pflege da ist, mit dem ich gut zurecht komme, wollte
ich vielleicht mal hingehen. Nach über zwei Wochen nach dem Vorfall mit dem
Freund, platzt mir bald das Hirn.
Gestern haben natürlich schon einige Mitpatienten gefragt, wieso ich
hier bin und da habe ich gesagt, dass es eine lange Geschichte ist und ich
(noch) nicht viel erzählen mag, am Ende aber alles explodiert ist, weil der
beste Freund verstorben ist. „Und das kannst Du einfach so erzählen, ohne mit
der Wimper zu zucken?“, fragte eine Mitpatientin. „Naja… - ich verdränge viel
mittlerweile“, habe ich erklärt. „Das glaube ich auch“, hat sie entgegnet. „Ich
kann ja nicht laufend zusammen brechen. Bisher hatte ich auch keinen Raum
dafür. Zum Einen war das auf der geschützten Station nicht der Fokus die Themen
zu bearbeiten, zum Anderen hätten sie mich da nicht gehen lassen, wenn ich da
fünf Mal am Tag zusammen gebrochen wäre…“ Also…
- Herr Therapeut hat zu tun.
Und ich… - ich habe auch zu tun. Ich muss jetzt endlich mal diese
blöde Arbeit aus dem Kopf bekommen, mich auf die Therapie hier einlassen, mich
auffangen lassen, wenn es mal schlecht läuft. Diesmal auch die Pflege nutzen
und auch mit denen reden, keine Angst vor mir selbst und meinen Themen haben.
Den Fokus „einfach“ mal auf mich richten.
Und natürlich nicht vergessen – zwischendurch Kaffee trinken auf der Dachterrasse
und die Gesellschaft der Stationskatze Tavor zu genießen, ohne das Gefühl
haben, das nicht zu dürfen.
(Übrigens schaffe ich mir jetzt glaube ich echt eine Katze an, nachdem
die Nachbarn jetzt einen Hund haben. Und – da die Nachbarn jetzt den Schlüssel
haben und die Wohnung gesehen haben, wollen sie mir auch beim Einrichten
helfen. Vielleicht brauche ich jetzt auch doch endlich ein Auto und wenn es mit
dem Menschen, mit dem die Organisation all dieser Dinge geplant war nicht
funktioniert, finden sich scheinbar doch andere… - also ja, ich plane schon
jetzt das Leben danach, damit es endlich, endlich in ruhige Fahrwasser gerät).
Corona – bedingt läuft natürlich auch hier einiges anders. So dürfen
wir nicht einfach das Gelände verlassen, wie wir lustig sind, sondern nur nach
Genehmigung. Die Gruppen sind kleiner, der Therapieplan ist dadurch etwas
geschrumpft, aber dadurch sind die Gruppen vielleicht intensiver – das muss man
sehen. Noch passt mir mein Therapieplan nicht so ganz – ich muss mit denen mal
reden, dass ich unbedingt in die Schema – Gruppe möchte (um die Vorteile der
Schematherapie in meinem Fall begründen zu können, sollte ich mir vielleicht
zur Auffrischung nochmal ein Youtube – Video anschauen…) und Musik – Therapie hätte
ich auch sehr gern.
Ach so… - und wisst Ihr, was ich gern sehen würde… - das Gesicht von
Herrn Therapeuten am Montag, wenn er aus dem Urlaub kommt, an die Tafel vom
Stationszimmer schaut und meinen Namen dort liest. Dass es so schnell geht,
hätte vermutlich keiner für möglich gehalten.
Und nachdem ich gestern den halben Tag nur geweint hatte – vermutlich irgendeine
Mischung aus ganz viel Dankbarkeit, Erleichterung, aber auch Angst es jetzt
endlich mal schaffen zu müssen und der nach einem Jahr natürlich doch erstmal
ungewohnten Situation, bin ich gerade einfach nur wahnsinnig dankbar.
Ein Kollege hat mir gestern auch nochmal viel Mut dahin gehend
gemacht, mir die Zeit hier auch wirklich zuzugestehen.
„Psychische Probleme zu verarbeiten, ist das Schwierigste überhaupt.
Die alte Rolle durch eine Neue zu ersetzen. Wahnsinnig schwierig. Aber möglich.“
Es ist so schön, mal so etwas zu hören. Nicht nur das von meinen
Eltern gepredigte „Die Mondkind macht Urlaub“. Nein, die Mondkind macht keinen
Urlaub. Die Mondkind kriegt jetzt mal ihr Leben auf die Kette. Und nichts ist
wichtiger als das.
Mondkind
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