Labor - News und Gespräch mit einer Genesungsbegleiterin
Heute Morgen beginnt mein Tag – wie eigentlich immer – im Labor.
Ich muss die Färbung heute fertig machen und nach Möglichkeit ein wenig
mikroskopieren.
Die Färbung funktioniert auch astrein und der MTA ist nicht
nur glücklich über die Farbe unter dem Mikroskop, sondern auch darüber, dass er
mir das so gut beigebracht hat… ;) Süß…
Allerdings… - das Labor wäre nicht das Labor, wenn nicht das
nächste Unwetter am Horizont warten würde. Anfang des nächsten Jahres wird
darüber entschieden, ob wir ein Mikroskop bekommen, das die Präparate in einer
vorher eingestellten Vergrößerung einscannen kann. Damit wären 90 % meiner
Arbeit (nämlich alles außer das Färben an sich selbst) seit Beginn der
Semesterferien im Prinzip wieder für umsonst gewesen, weil ein solches Mikroskop
das viel schneller und exakter machen kann.
Ich kriege die Krise Leute, ehrlich. Ich glaube, deshalb
werde ich jetzt auch nur noch halbtags dort sein bis zum Beginn des Lernplans.
Ich werde mit den Endpsurt – Sachen vorne und hinten nicht fertig. Im Moment hoffe
ich auf das Wochenende, aber mit dem Berg von Arbeit wird mich das auch nur
begrenzt retten.
Heute Nachmittag steht dann ein sehr interessanter Termin
an. Ein Freund hat mir von einer Genesungsbegleiterin erzählt und mir empfohlen
ins sozialpsychiatrische Zentrum zu fahren und mit ihr mal zu quatschen.
Vielleicht könnte das helfen. Genesungsbegleiter sind Menschen, die selbst
Erfahrung mit psychischen Krankheiten gemacht haben und sich im Anschluss für
eine Ausbildung zu eben diesem Genesungsbegleiter entschieden haben (ich finde
das Wort ja ein wenig steif), um andere Menschen beim Gesundwerden zu
unterstützen. Ehrlich gesagt hatte ich gar keine Vorstellung was das sein soll,
aber ich habe beschlossen, es mal auszuprobieren.
Ein wenig zu
spät mache ich mich auf den Weg in Richtung Bahn. Die Fahrradkette knackt bedrohlich
unter mir, weil ich so arg in die Pedale treten muss, um die Bahn noch zu
bekommen.
Nachdem ich
mich noch einmal verlaufen hatte und dann aber doch plötzlich wieder den „an
diesem Ort warst Du doch schon mal – Effekt“ hatte, hatte ich das richtige
Gebäude dann gefunden. Je öfter das passiert, desto mehr habe ich das Gefühl
die Stadt kennen zu lernen, in der ich lebe, weil Orte, die vorher nur ein
Punkt auf der Karte waren, plötzlich einen Bezug zu anderen Orten bekommen, die
ich schon kenne.
Ich betrete
ein Gebäude mit einer großen Vorhalle. Es ist laut und ich habe keine Ahnung,
wo ich eigentlich hin muss. An einer grauen Tür, die mich ein wenig an die Türen
zur Umkleidekabine in unserer Sporthalle in der Schule erinnert, lese ich ihren
Namen und klopfe. Da passiert schon mal nichts.
Ich nehme
all meinen Mut zusammen und quatsche einen auf dem Flur stehenden Menschen an. „Entschuldigen
Sie“, lege ich los. Als wir uns beide verwirrt ansehen, komme ich auf die Idee
nachzufragen, ob er überhaupt einer der Mitarbeiter hier ist. Das verneint er,
aber er ist trotzdem so nett und sagt der Dame die ich suche, Bescheid.
Ich möchte
jetzt hier überhaupt kein Klischee vermitteln, aber es hat mich schon ein
bisschen beruhigt, als mir eine Frau im „Sozialarbeiter – Look“ entgegen kam.
Kunterbunt gekleidet, mit einer viel zu weiten Hose, die in ein paar
Gummistiefel gesteckt wurde und ein lila Pullover, über den sie eine viel zu
große, graue Strickjacke trug.
Hinter der
grauen Stahltür verbarg sich dann auch keine Umkleidekabine, sondern ein ganz
nett eingerichtetes Büro.
Ich frage
mich ein bisschen, wo ich jetzt anfange zu erzählen. Es ist nicht so, dass ich
aufgeregt bin. Dazu saß ich mittlerweile schon zu oft fremden Menschen
gegenüber und habe ihnen einen Stück von meiner Lebensgeschichte erzählt. Ich
habe mich nur einfach schon gestern Abend in meinem Bett gefragt, wie ich meine
Geschichte kurz und knapp erzählen kann.
Und dann
springen wir einfach so ins kalte Wasser und fangen ganz anders an. Sie fragt
mich, ob ich meine Färbungen geschafft habe. Ich hatte den Termin so weit wie
möglich nach hinten geschoben mit der Begründung, dass ich im Labor noch färben
muss und neben der Färbezeit ausreichend Puffer einbauen muss, da im Labor auch
immer etwas schief gehen kann.
Ich erzähle
vom Studium und vom Labor, vom herannahenden Examen, von meinen PJ – Plänen.
Ich kenne
die Reaktion der meisten Menschen, die von meinen scheinbar genau durchdachten
Plänen hören und dann alles Folgende nicht mehr verstehen. Denn man hat doch
Ziele und man hat doch einen Plan und dann muss man den doch mit aller Kraft
verfolgen. „Ich weiß, das ist wirklich paradox“ beginne ich, „Aber andersherum
ist es auch schon so, dass das Ding auch gegen die Wand fahren darf. Ich meine –
das ist kein Drama, das ist okay.“
„Das
verstehe ich“, sagt sie. Ich glaube, ich sehe sie ein wenig entgeistert an. Bei
ihr sei das auch so gewesen und man könne das eher als Mechanismus verstehen.
Eher übt dieser Anspruch und der Perfektionismus wohl so viel Druck aus, dass
es der einzige Mechanismus ist, sich da irgendwie noch raus zu ziehen und das überhaupt
auszuhalten. Denn was würde ich machen, wenn ich der vollsten Überzeugung wäre,
dass für mich die Welt untergeht, wenn es nicht klappt? Das wäre so viel Druck –
das könnte ich nicht bewältigen.
Sie fragt,
wie das eigentlich alles angefangen hat und dann berichte ich, dass es alles
schon sehr lange so geht und ich mich aber dennoch gut an den ersten Sommer
erinnern kann, in dem ich in meiner eigenen Welt gelebt habe und so weit weg
von den anderen war.
Ich weiß
nicht mehr auf welchem Weg, aber wir kommen darauf zu sprechen, das ich
eigentlich zwei Leben lebe.
Die eine
Welt, in der ich früher eine erfolgreiche Schülerin war und in der ich jetzt
eine erfolgreiche Studentin bin, die sich auch noch für die Anderen einsetzt.
Lernzettel und Aufzeichnungen weiter reicht, in den Kursen die Stellung mit
einigen wenigen anderen zusammen hält für all die, die für die Klausur lernen
und nicht mehr kommen. Ich könnte das ja einfach auch mal machen. Für die
Klausur lernen und nicht zur Uni kommen. Und nebenbei wird noch auf Hochtouren
an der Doktorarbeit gewerkelt und das Examen vorbereitetet.
Und dann
gibt es die andere Welt in der eine Mondkind lebt, die weit – viel zu weit –
über ihre Grenzen hinaus gegangen ist. Der Teil, der permanent schreit, der
Ruhe möchte, der einfach kaputt und schwach und am Ende ist.
„Ich glaube
eben den zweiten Teil kann ich für mich auch gar nicht annehmen“, sage ich und
berichte, dass ich mein Leben immer ohne diesen Teil plane. Das praktische Jahr
zum Beispiel. Ich möchte mir von der Krankheit nicht mein Handeln vorschreiben
lassen, also werde ich auch dort in die Neuro gehen, wo ich das gern tun würde
auch wenn mir bewusst ist, dass es dort keinerlei psychiatrische Versorgung
geben wird, wenn die Sache schief geht.
So etwas
kann man natürlich nicht gut heißen, auch sie nicht – aber sie regt an „Kranksein“
nicht als Schwäche, sondern als Hinweisschild zu sehen. Ein Symbol, das einem
klar machen möchte, dass man zumindest nachdenken sollte über das was man tut,
dass man vielleicht nach Alternativen sucht oder zumindest überlegt, wie ein Notfallplan
aussehen könnte und wer Ansprechpartner wären.
Und dann kann
dieses Hinweisschild auch ein Lehrer sein und kein Ausdruck davon, etwas nicht
geschafft zu haben.
Ich muss
zugeben – das ist gut. Das ist verdammt gut und motiviert mich jetzt sogar, mir
mal zu überlegen, was ich denn tun könnte, um mir dort unten etwas wie ein
Backup – System aufbauen zu können. Vielleicht hilft es ja schon, wenn ich das
hier in der Ambulanz mal anspreche. Vielleicht können sie mir erlauben
anzurufen, wenn es wirklich nicht mehr geht – manchmal hilft ja Reden schon;
vorbei kommen kann ich natürlich nicht
Es wäre auch
ein Ansatz für die Frage nach dem Umgang mit der Krankheit.
Krankheitsakzeptanz
war wohl auch in der Klinik ein großes Problem, was den Aufenthalt was die
Psyche anbelangt auch ordentlich ausgebremst hat. „Ich möchte halt gar nicht,
dass das ein Teil von mir ist. Es gehört da einfach nicht hin. Es ist ja auch
nicht das, was die Menschen einem wiederspiegeln. Das kann man ihnen ja auch
nicht verdenken, wenn sie mich so sehen“, erkläre ich.
„Man kann ja
nicht in der Visite sitzen, wieder zur Uni gehen und sagen, dass man eigentlich
keine Ahnung hat, wie man das alles hinbekommen soll. Da passt doch irgendetwas
nicht. Ich konnte nicht vermitteln wie es mir geht und die haben es aber auch
gar nicht geahnt und auch nicht nachgefragt.“
Das kenne
sie, erklärt sie mir. In dem Moment, in dem man sagt „Es geht mir gut“, reißt
es einen innerlich komplett auseinander, weil man eigentlich vor Verzweiflung
nur noch Schreien könnte, aber das nicht zulassen kann. Und bei mir kam ja noch
erschwerend hinzu, dass ich die Uni im Rücken hatte.
Und auch
wenn sie mir glaubt weil sie es selbst erlebt hat sagt sie, dass man mir – so entspannt
wie ich vor ihr sitze – gar nichts ansehe. Für einen kurzen Moment verletzt das
immer noch, weil es immer etwas von „stell Dich nicht so an“ hat, aber ich
weiß, dass es so wirklich nicht gemeint war.
Es tut so
gut, verstanden zu werden. Ich habe das Gefühl, dass mir mal jemand glaubt.
Dass jemand genau weiß, was sich hinter der Fassade dieses Menschen, der da so
entspannt auf dem Stuhl sitzt, jeden Tag abspielt.
Ich muss
ganz ehrlich sagen, dass ich bisher selten das Gefühl hatte, dass mein
Gegenüber so genau weiß, was da ab und an los ist, obwohl wir uns nicht mal
eine Stunde kennen.
Und gerade
über so Dinge wie Krankheitsakzeptanz, wurde in der Klinik kaum gesprochen. Ich
glaube, wenn man das nicht selbst erlebt hat, kann man auch schwer
nachvollziehen, wie groß dieses Thema werden kann. Depressionen sind doch
heilbar, hört man. Aber was so ein Einschnitt aus einem Menschen macht, der
sich bisher dadurch definiert hat, geradeaus und erfolgreich durchs Leben zu
gehen kann man eventuell nur verstehen, wenn man es selbst erlebt hat.
Was denn nun
der genaue Grund für die Klinik gewesen sei, will sie wissen.
Und auch das
war und ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Der Ergotherapeut hatte
sie damals auch gestellt. „Ich glaube, ich habe gar nicht richtig begriffen was
da passiert ist und wie das passiert ist. Ich habe ja nichts anders gemacht als
vorher. Und natürlich weißt Du, was Du in der Ambulanz sagst, aber vielleicht
nutzt sich die Dramatik ab, wenn man das über Wochen mit sich rum schleppt oder
man merkt nicht, wie es sich zuspitzt, oder man verdrängt es so lange, bis es
dann echt zu spät ist.“
Wahrscheinlich
habe ich gar nicht gemerkt, wie ich in den Wochen vorher die Grenzen weit
überschritten habe und den Punkt verpasst habe, noch die Bremse rein zu hauen.
Ich kann mich erinnern – damals hat man mir dieses „ich weiß nicht richtig,
warum ich hier bin“, kräftig um die Ohren gehauen – heute stößt es auf
Verständnis bei der Genesungsbegleiterin. Es geht darum, dass es keinen Begriff
für ein vernünftiges Maß mehr gibt. Was ist eine gute Klausur? Ist eine
bestandene Klausur eine gute Klausur? Oder eine Klausur, in der man eine 1 hat?
Oder nur dann, wenn man volle Punktzahl hat?
Für mich ist
das wohl eher letzteres und dann merkt man – weil man so fokussiert auf dieser
Leistungsschiene ist – gar nicht, wie einem nach und nach alles entgleitet und
dann findet man sich in der Psychiatrie wieder und weiß gar nicht warum.
Viele Dinge,
so erklärt mir die Genesungsbegleiterin, habe sie erst im Nachhinein
verstanden. Sie habe sich oft gefragt: Warum ist das so? Wie bin ich in die
Situation gekommen? Was soll das jetzt hier eigentlich? Was mache ich hier?
Die
Antworten gab es teils erst Jahre später.
Sie fragt
mich, ob ich manchmal wütend bin. „Die Frage habe ich schon oft gehört“,
entgegne ich. Ich frage mich schon manchmal: Warum ich? Aber wütend… nein. Ich
kann mich über nichts mehr aufregen. Die Doktorarbeit, bei der so viel schief
geht, meine Lebenssituation. Woher soll ich die Kraft noch nehmen? Das sei ein
deutliches Warnsignal sagt sie und spiegelt im Prinzip wieder, dass ich
wirklich erschöpft bin.
Auch um das
Tagebuch geht es nochmal. Ich glaube – wenn ich genau drüber nachdenke – ist das
für mich auch ein Stück Selbstreflexion. Ich fühle nicht so richtig, wie es mir
geht, aber die Tagebucheinträge spiegeln mir das.
Im Moment
ist zum Beispiel wirklich Aktionismus angesagt. Tagsüber bin ich im Labor,
abends versuche ich noch verzweifelt die Kapitel zusammen zu fassen, wofür
eines davon eigentlich für einen ganzen Tag ohne Labor gedacht ist. Das kann
nicht funktionieren, täuscht aber über die Erschöpfung hinweg.
Und
gleichzeitig geht es in meinem Tagebuch intensiv um die Suche nach Ankern –
inhaltlich gesehen. Das beinhaltet die Sache mit der Genesungsbegleitung und im
Moment versuche ich auch noch ein zweites Projekt ans Laufen zu bringen. Ich
habe zwar überhaupt keine Ahnung, wie das neben der Examensvorbereitung gehen
soll und gleichzeitig denke ich nicht darüber nach, sondern mache einfach und
ich glaube, dass dieses planlose Handeln eher Ausdruck einer Krise ist, von der
ich nicht weiß, wie ich sie bewältigen soll.
Mit einer
Menge Wirrwarr im Kopf lässt sie mich gehen. Ich soll mich nächste Woche mal
melden.
Und es hat
gut getan, da gewesen zu sein. Es tut so gut zu wissen, dass ich nicht alleine
bin. Dass das nicht alles völlig abgefahrene Hirngespinste sind, sondern dass
es anderen Menschen genauso geht, dass sie dasselbe erlebt haben, dass sie vor
den selben Hürden standen und dass ich nicht die Einzige bin die es nicht
geschafft hat den Therapeuten klar zu machen, was eigentlich los ist.
Und jetzt bin ich vollkommen erledigt und muss erstmal etwas essen. Und dann... Endpsurt....? Oder lieber Bett...? Mal sehen... ein paar Seiten müssen es noch werden...
Alles Liebe
Mondkind
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